Oioioi — so ein Theater!

■ Im Rahmen des Theatertreffens zeigt das Deutsche Theater am Dienstag eine Ausstellung und das Arsenal Filme zu Fritz Kortners hundertstem Geburtstag

Er ist da, aber seinesgleichen fehlt«, greint die 'FAZ‘ im Nachruf auf Fritz Kortner und stimmt damit ein in den Chorus für den großen alten Schauspieler und Regisseur des deutschen Westens, den »provokativen Störer«, dessen hundertstem Geburtstag das Deutsche Theater nun eine Ausstellung in seinem Foyer widmet.

Phantastisch reproduzierte, gestochen scharfe große Fotos zeigen Kortner in seinen Sternstunden: als Shylock mit gebeugtem weißen Haupt, den Hals in hilfloser Rage reckend, neben Elisabeth Bergner 1927 am Staatstheater; in einem expressionistischen Bühnenbild der scharfen Schatten vor einem Rundbogen als Macbeth, in den leeren Raum starrend, als sei er der letzte Mensch auf der Erde; an der Seite der funkelnden Louise Brooks in dem Film Die Büchse der Pandora; mit Johanna Hofer im sonnigen Israel, im Exil in Hollywood mit Pomade im Haar; oder nach dem Krieg, aus der Froschperspektive der Reumütigen aufgenommen, vor der zerbombten Gedächtniskirche.

Die meisten Leute mögen keine Vitrinen in Ausstellungen, weil sie als Schulkinder von gichtigen Lehrerfingern drauf gestupst worden sind. Wenn Vitrinen aber liebevoll bestückt sind, werden sie zu Schatztruhen, Kuriositätenkabinetten oder geheimnisvollen Herbarien. Hier liegen winzige Fotos mit Kortner als ägyptischer Hoheit aus, oder eine Druckgrafik zum Tod eines Handlungsreisenden, bei der ein Mann — unverkennbar Kortner — mit zwei schweren Koffern auf eine Mauerecke zuläuft, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Auch ein altes Reclamheft liegt da, in dem Kortner kleinhutzelig herumgekritzelt hat, immer auf Knappheit bedacht. Becketts Estragon sagt dann nur noch knapp: »Da täuschst du dich.«

Bei der Eröffnung wurde der Alte sehr präsent, durch Briefe und in einer Aufnahme von Lesungen (Krauss), bei denen er mit rrrrollendem R gegen den Römerkopf des klassischen Theaterhelden und für den Kindskopf, gegen die »epileptischen Konvulsionen des oioioi-Theaters« und für das »höhere Denken« wetterte. Mit schmunzelndem Nicken goutiert das Publikum (auch Minetti war da) Kortners Tiraden gegen das »fronhofartige Gewerkschaftswesen«, gegen die »berserkerhafte Klasse«, die einen Arbeiter wie ihn am Schaffen hindert und statt dessen staatlich subventionierten Pfusch betreibt.

So entsteht das Porträt eines Künstlers vom alten Schlage: leidenschaftlich, dem modernen Kulturbetrieb entfremdet, ganz im Theater aufgehend.

Als eben jenes letzte zürnende Theatergenie im tintenklecksenden Säkulum der unproduktiven Störer trauert die 'FAZ‘ um ihn, und als solchen hat ihn auch Hans Jürgen Syberberg verehrt, der 1964/65 zwei Dokumentarfilme für das Bayerische Fernsehen über Kortner drehte. Der erste zeichnet einen Teil der Proben für Kabale und Liebe auf, der zweite eine Schallplattenaufnahme von Kortner-Monologen. An den Kabalen interessierte Syberberg — wie sollte es anders sein — die Todesszene im 5. Akt, als die Liebenden Ferdinand und Luise vom Gift getrunken haben, das sie demnächst beide dahinraffen wird. Indem Syberberg auf jeden Kommentar, jede Anekdote, alles Voyeuristische verzichet, erzeugt er zunächst eine angenehm klare, konzentrierte Arbeitsatmosphäre, bei der man in Ruhe die zähe Interaktion zwischen Schauspieler und Regisseur beobachten kann. Man wird Zeuge von Kortners auf den unmittelbaren, schmucklosen Ausdruck zusteuernden Arbeitsmethode, und man sieht, wenn er helfend einspringt, noch einmal den Schauspieler Kortner. »Mörder! Vater!« — von Kortner geschrien, geht einem durch Mark und Bein, und das ist es, worauf Syberberg letztlich hinauswill: die Kleinheit menschlicher Arbeit vor dem Geniestreich, die mysteriöse Verbindung zwischen Schiller und Kortner, das Faszinosum der einen, donnernden Stimme des Wahren, Guten und Schönen. Mariam Niroumand

Ausstellung im Foyer des Deutschen Theaters zu den Spielzeiten.

Fritz Kortner probt »Kabale und Liebe« am 17.5. um 11.30 und Fritz Kortner spricht Monologe für eine Schallplatte am 24.5. um 11.30 Uhr im Arsenal, Welserstr. 25