: Mach schnell, ich muß pusten!
■ „Asthma Training“ stellt sich vor / In Bremen gibt es ca. 2.000 Asthma-Kinder
Bewunderte Natur, den Asthma-Krankenden kann sie zum Schrecken werdenFoto: Jörg Oberheide
Ann-Katrin ist vier. Vor einem Jahr, bei Spielen draußen, kriegte sie plötzlich keine Luft mehr und wurde ganz blau. Die Mutter raste mit ihr im Taxi ins Krankenhaus. Nach einer ordentlichen Kortisongabe ebbte der Anfall ab. Diagnose: Asthma. „Das ist wie ein Urteil,“ sagt ihr Vater, ein Arzt, heute. Wolldecken, Federbetten, Teppichböden, Kuscheltiere: alles raus aus der Wohnung. Täglich wischen, jede Nacht ein Atemnot-Anfall, die Mutter hat ihren Job an den Nagel gehängt. Das Schlimmste aber ist die Angst des Kindes vor dem Asthma, eine Angst, in der, so vermutet der Vater, viele andere Ängste von Ann- Katrin gleich mit aufgehoben sind. Eine Angst, die das Asthma schlimmer macht.
Am Mittwoch abend trafen sich Kinderärzte aus Bremen und Niedersachsen und einige betroffene Eltern im „Gewerbegebiet Spittaler Straße“ bei der Uni, um das Bremer Asthma Training kennenzulernen. Der neue Lehrstuhl für Klinische Psychologie (s.Kasten) von Prof.Franz Petermann hat in der Grazer Straße eine „Kinderambulanz“ eingerichtet, die u.a. ein Asthma-Verhaltenstraining für Kinder von 8-12 Jahren anbietet. Grundlage des „Trainings“ ist die Verhaltenstherapie, mit deren Hilfe richtiges Verhalten eingeübt werden soll. Rollenspiel, autogenes Training, „Lungenfunktionsschulung“, Atemtherapie — in sechs Wochen lernen die kleinen Patienten vor allem eins: „Ich bin mein eigener Doktor.“ Oder, moderner: self
management.
In Deutschland gibt es keine Statistik über Kinderasthma. Schätzungen gehen von 4-5% aus. Sicher ist, daß die Tendenz
steigend ist (z.B. England: zwischen 1956 und '74 stieg die Rate von 1.8 auf 5.6%). Im Land Bremen rechnet Prof.Petermann mit 2.000 asthmakranken Kindern. Die Ursache der chronischen Atemwegserkrankungen, die unter „Asthma“ zusammengefaßt werden, ist unbekannt. Genetische Disposition spielt sicher eine Rolle. Der Zusammenhang mit mütterlicherlichem Rauchen ist untersucht und bewiesen. Von Schadstoffen in der Luft ist der Asthmatiker doppelt betroffen. Durch die weltweite Urbanisierung gibt es immer mehr Raumklima, das Milben begünstigt. Und: jedes Jahr kommen etliche neue „Auslöser“ hinzu. Verbreitet ist die asthmatische Reaktion auf Milben (z.B. im Hausstaub), auf Tierhaare bzw. —schuppen, auf Blütenpollen. Schwere Anfälle können tödlich sein — über 100 Asthma-Kinder ersticken bundesweit in einem Jahr (vgl.: 300 Kinder sterben jährlich an Krebs). Die Prognose für Asthma-Kinder: 2/3 bis 1/2 werden wieder gesund, meist im jungen Erwachsenenalter.
„Das verwächst sich von selbst“: So lautet eine landläufige Meinung. Viele Betroffene und deren Eltern sprechen auch lieber von „chronischer Bronchitis“ statt von Asthma. Das ist die eine Gefahr, vor der Petermann warnt - die Bagatellisierung. Die andere Gefahr: Panik. Das Bremer Asthma Training möchte die Selbstwahrnehmung der kleinen Patienten schulen; sie sollen selbst über ihren Körper Bescheid wissen. „Bei Kindern, die bei sich unterscheiden können, ob sie einen schweren oder mittleren Anfall haben, reduziert sich die Anzahl der Anfälle um 2/3,“ preist Petermann die Erfolge der Psychologie auf einem zunächst rein medizinischen Territorium an. Weitere Schwerpunkte: Wie erkenne ich die „Vorboten“ des Anfalls? Wie reagiere ich auf einen Anfall, wie beuge ich vor? Wie kann ich mich auf schwierige Situationen vorbereiten, wie spreche ich in der Schule über meine Krankheit? Sport ist ganz wichtig, wie trainiere ich richtig?
Abends, am Inhalator, bekommt Ann-Katrin vorgelesen — schon ein Ritual. Nachts wacht sie auf: „Mach schnell — ich muß pusten.“ Vielleicht hat sie nur Angst, alleingelassen zu werden. Für das Bremer Asthma Training ist sie noch zu jung. Im letzten Urlaub übrigens war die Familie auf Langeroog. Da hat sie drei Wochen lang keinen Anfall gehabt. Bus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen