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DURCHS DRÖHNLANDVertreter im Eisenwarengeschäft

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der nächsten Woche

Für Leute, die ihr Bild von Skinheads vielleicht revidieren wollen, führt kein Weg am Ex vorbei. Blitz und vor allem Red Alert sind ursächliche und ursprüngliche Vertreter des Streetpunks, einer Gegenbewegung zu den etablierten Punkbands um 1980 herum. Ein Journalist namens Gery Bushell verpaßte der Musik dieser Neo- Punks die Bezeichnung Oi! und die wiederum mutierte schnell (neben Ska) zur einschlägigen Skinmusik mit später auch rechten Tendenzen. Ursprünglich waren die Inhalte von Oi! zwar kämpferisch, aber unpolitisch und vor allem verankert in der Geschichte und dem Ethos der britischen Arbeiterbewegung. Gerade Red Alert genießen bei Redskins und S.H.A.R.P.-Skins immer noch geradezu kultische Verehrung. Musikalisch ist Oi! ein wenig brutaler als klassischer Endsiebziger-Punk, aber natürlich bei weitem nicht so entwickelt wie moderner Hardcore.

Am 15.5. um 22Uhr im Ex, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg

Daß bestimmte Crossovers noch fehlten, fällt einem oft erst auf, wenn sie einem über den Weg laufen. Ob das wohl daran liegt, daß man sie nicht vermißt hat? Man stelle sich vor, Andrew Eldritch und seine Sisters of Mercy wären nicht auf die krude Idee verfallen, ihr Glück mit Biker- Rock zu versuchen, sondern hätten sich — ganz wie es sich für einen zünftigen Darkrocker eigentlich geziemt — dem neu aufgekommenen Doom-Metal zugewandt und dessen immense Schnelligkeit und Hektik gebremst. Hätte sich höchstwahrscheinlich so angehört wie Asylum. Deren Sänger könnte zwar gut in der Doom-Liga mittun, aber die Gitarren sind zu zäh. Für den guten alten Gruftrock sind sie aber wieder zu sehr metal, und für den Metal haben sie zu eingängige Melodien. So zwischen den Stühlen diese Band, daß sie gut sein muß.

Am 15.5. um 22Uhr auf der Insel, Alt-Treptow6, Treptow

Unsere Protagonisten gingen aus einer Band hervor, die sich Highway Star nannten — nach dem Song von Deep Purple. Als sie die Clash gesehen hatten, benannten sie sich nach einem Vibrators-Song um und machten fortan Punk. Die Stiff Little Fingers waren geboren und mit ihnen der Bubblegum-Punk, was an sich ja keine schlechte Idee gewesen sein mag. Aber sie glaubten, daß man unbedingt noch sozialkritische Texte dazu verfassen müßte, anstatt einfach den doofen Funpunk zu machen, wie zum Beispiel die Toy Dolls. 1982 lösten sie sich auf, aber die Zeiten sind eben reif für jede Reunion. Inzwischen sind Stiff Little Fingers — wie zu erwarten — nur noch nett und hausbacken, aber für manche Menschen ist die Zeit ja auch vor zehn Jahren stehengeblieben.

Am 15.5. um 20Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Brasilien ist spätestens seit Sepultura auf der Metal-Landkarte verzeichnet. Gerade im Trash-Bereich tun sich die Südamerikaner — aus was für Gründen auch immer — hervor. Korzus begannen vor fast zehn Jahren als Black-Sabbath- Fans, und mit den technischen Fähigkeiten kam der Drang zur Schnelligkeit. Korzus sind eine durchschnittliche Trash-Metal-Band, und wer erwartet, daß vielleicht Bossanova oder Samba Einfluß auf sie genommen haben könnten, wird enttäuscht werden. Wench sind eine fünfköpfige Frauenband aus New York, die zwei, drei Jahre früher ansetzt, als der Metal langsam die Geschwindigkeitshysterie bekam. Sie spielen Speed, aber allein durch die weibliche Stimme bekommt ihre Musik eine Eleganz, die allen männlichen Vertretern des Eisenwarengeschäfts notgedrungen abgehen muß. Wer L7 gesehen hat, ist dieses Wochenende vielleicht reif für Wench.

Am 16.5. um 22Uhr im Ex

Ich habe ja nie so recht daran geglaubt, daß Deutsche wirklich guten Metal machen können. In letzter Zeit nehmen allerdings die Ausnahmen von der Regel überhand. Day Housten aus Fürth, Franken, gehören dazu. Sie könnten (aufgrund ihrer Jugend) zwar vom Hardcore kommen, anzunehmen ist allerdings eher, daß sie sich (aufgrund ihrer Herkunft) durch die Plattensammlungen ihrer größeren Brüder gewühlt haben, um bei Led Zeppelin und Black Sabbath hängenzubleiben. Dann wurde fleißig in Vaters Garage geübt, und fertig war eine, wenn nicht die beste deutsche Metalband. Ihr Stil mag reines Kopistentum sein, überführt die Siebziger aber doch zart in die Jetztzeit und kappt vor allem die Soli rechtzeitig. Ab und an taucht sogar eine Original- Dudelorgel auf, und die Riffs sind sowieso, ja wie soll ich's sagen... klasse. Ich kann mir nicht helfen, ich liebe elektrische Gitarren.

Am 16.5. um 22Uhr auf der Insel

Namen sollten Programm sein, auch wenn sie es zu oft nicht sind. Ein Name wie Sharon Tate's Children muß Programm sein: Diese Kinder wurden bekanntermaßen ja nicht geboren, weil Charles Manson Miss Tate entleibte. So wie Manson den Hippietraum anknackste, so destruieren Sharon Tate's Children aus Stuttgart die Süßlichkeit von Flowerpop. Auf Gitarren verzichten sie völlig, und trotzdem nimmt die Klebrigkeit nicht überhand. Bass und Orgel tragen die alleinige harmonische Last, und gerade weil diese drogenkrank delirieren, machen Sharon Tate's Children keine Kiffmusik. Viel zu hart (jenseits von Lautstärke) und viel zu fies (jenseits von überzogener Atonalität) für weichgerauchte Birnen, strafen sie einen mit dem konsequent zu Ende gedachten Drogenmusikentwurf der Endsechziger, der visuell am besten durch über die Decke wandernde, bunte Lichtkleckse unterstützt wird. Drogen müssen nicht mitgebracht werden.

Am 16.5. um 22Uhr mit This Shrinking Feeling im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Immer noch steht sein Ruf bei der (gar nicht mal so kleinen) In-Crowd im umgekehrten Verhältnis zu seinem kommerziellen Erfolg: Elliott Sharp ist, ähnlich wie John Zorn oder auch Bill Laswell, eine der Integrationsfiguren der modernen urbanen E-Musik, die nicht einfach nur E sein will, sondern sich der Strategien des Pop bedient, will sagen: Showelemente einbaut und hemmungslos crossovert. Daß die Musik leicht verdaulich wäre, soll damit allerdings nicht gesagt sein, im Gegenteil: Man braucht schon eine gewisse Hartgesottenheit, um ein Sharp-Konzert in voller Länge zu überstehen, und nicht nur das Bauchfell fühlt sich hinterher irgendwie anders an. Ein Musikerkollege von Sharp brachte es einmal auf den Punkt: »klingt ja wie in der New Yorker U-Bahn«.

Am 16.5. um 22Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Berlin-Mitte

Für Freunde der Postmoderne ist dies der Tag. Wer Unvereinbares gern vereint hört, der hört Waltari aus Finnland. Auf Fotos posieren sie wie entsprungen aus dem letzten Druidenschinken von Marion Zimmer Bradley, aber Mystik kann man in ihrer Musik — abgesehen von einem Gewieher hier und einem Kreischen da — mit der Wünschelrute suchen. Statt dessen spielen sie einen oftmals viel zu schnellen Hardcore, der weder Core noch hart sein will, sondern mit kleinen Trommelschritten dahinhetzt wie Ben Johnson — Gott hab ihn selig. Dabei sind sie leicht und sommerlich, selbst wenn sie dann doch versuchen, etwas zu fabrizieren, was vielleicht Metal sein könnte. Noch mehr Comic sind die Münchner Freaky Fukin Weirdoz, die so ziemlich die erste deutsche Band sein dürften, die direkt von einem amerikanischen Major verpflichtet wurde. Irgendwie sehr modern, irgendwie sehr Red Hot Chili Peppers, aber die FFW entziehen sich noch wesentlich konsequenter einer Beschreibung als Waltari, also lassen wir sie selbst sprechen: »Hendrix auf der Streckbank gequält, Townsend im Entsafter zerfetzt, Slayer in der Tiefkühltruhe erstickt.« Noch Fragen? Bitte nicht an mich.

Am 19.5. um 20.30Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Ihre neueste Platte heißt C.O.D., was für Children of Doom steht, wenn sie selbst sich auch gerne als die »Godfathers of Doom« bezeichnen. Saint Vitus sind das zäheste seit Black Sabbath, vielleicht sogar das zäheste, was sich denken läßt. In Interviews wird gerne darüber parliert, daß man diese oder jene Version eines Songs hörte und entdeckte, daß die noch langsamer war als die eigene, um dann flugs eine zusätzliche aufzunehmen, die niemand sonst unterbieten möge. Zuletzt hatten sie etwas Ärger mit Sänger Wino, dem Mann mit den eindrucksvollsten Koteletten im Geschäft, woraufhin der ging. Ursprünglich glaubte man, daß Wino der bestimmende Mann des Vitus-Sounds sei, aber mit C.O.D. beweist Gitarrist Dave Chandler, daß er auch ohne Wino gut auskommt. Christian Linderson, Ex-Count- Raven, läßt nun die Stimmbänder düster vibrieren und Saint Vitus sind — nach zwischenzeitlichen unverständlichen Ausflügen in Schnelleres — zu den großen, schweren Brocken zurückgekehrt. Wenn moderner Metal der TGV ist, stehen Saint Vitus vor der Erfindung der Dampflok.

Am 20.5. um 21Uhr im JoJo, Wilhelm-Pieck- Straße 216, Mitte

Dieser Mann hat definitiv ein paar Räder zuviel locker. Sein Name ist Joseph Smalkowski, er ist Mitte fünfzig, hat halblange, graue Haare und nennt sich Copernicus. Nicht nur, daß er sich für einen Philosophen hält (vielleicht auch für einen Propheten), im Info legt er Wert darauf, daß er sieben Tage, bevor die Mauer geöffnet wurde, in Berlin gastiert hat. Jetzt wissen wir also, bei wem wir uns bedanken müssen. Im CD-Inlet wird für jeden Song (oder sollte man besser sagen: jedes Kunstwerk?) dezidiert dargelegt, woher der Meister seine Inspiration bezieht: »Als ein Teil des Suchens reiste Copernicus 1988 für zwölf Tage nach Ägypten. In Ägypten wurde ihm klar, daß die gesamte christliche Erziehung seiner Kindheit ursprünglich aus dem alten Ägypten kam. Er befand sich in den Armen der Mutter des westlichen Denkens. Amon Ra, Osiris und Isis [...noch mehr Namen] waren immer noch am Leben, sprachen zu ihm, führten ihn ein und gaben ihm die Kraft, spontan diesen Text nonstop in elf Minuten mit 18 delirierenden Musikanten zu verfassen.« Noch jemand, der von sich in der dritten Person zu sprechen pflegt. Copernicus ist mehr Parodie als sonst was. Wer seine Lyrics ernst nimmt, kann sich auch auf die Suche nach den eigenen Jugendergüssen machen, das dürfte erbaulicher enden. Immerhin machte Copernicus' Band auf seinen Platten einen solch kruden, zwischen New-Age-Getröpfel und gnadenloser Atonalität hin- und herwankenden Lärm, daß man seine Texte getrost übersehen konnte. Jetzt will er es aber wissen und kommt solo auf Tournee. Nur er, seine Stimme und das ein oder andere Instrument. Wir wissen nicht, was der freundliche Henker empfiehlt. Wir empfehlen Friedrich Nietzsche im Orginal und ein Kaffeekränzchen mit dem eigenen Vater.

Am 20.5. um 20Uhr in der Passionskirche, Marheinekeplatz, Kreuzberg Thomas Winkler

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