■ ARTUR, BERLINOID: Mitleidlose Zeiten
Wenn Artur von seinem Kumpel aus schwerer Zeit spricht, dann fällt irgendwann unweigerlich das Wort »umsichtig«, wohl auch »zuverlässig« und »herzlich«, er sieht ihn gern und sie erzählen sich dann ihre Dönekens.
Neulich, es war einer dieser ersten schönen Maiabende, saßen sie zusammen, erzählt Artur, auf dem Balkon, genossen die letzten Sonnenstrahlen und gaben einem ehrlichen Riesling aus Franken die Ehre, als von der Straße fürchterliche und dazu noch laute Musik zu ihnen — immerhin dritter Stock — hochschallte.
Ein weniger feinnerviger Beschallungsliebhaber war unverdrossen dabei, sein neues Autoradio mit einer erstaunlichen Anzahl von Lautsprechern zu versehen und probierte nun alle Tonlagen und Lautstärken aus.
An Balkongespräche über das Leben war nicht mehr zu denken.
R., so nennt Artur seinen Freund diskret, hatte sich stumm von seinem Balkonstuhl erhoben, war in die Küche gegangen und hatte, wieder zurück und sichtlich empört, eines von zwei rohen Eiern dem Artur in die Hand gedrückt. Im Einverständnis hatten sich beide über die Balkonbrüstung gebeugt und, berichtet Artur, jeder ein Ei dem Beschaller voll aufs Automobil geknallt, eins aufs Dach, das andere auf die Motorhaube, und wie auf Kommando sich wieder in die Deckung des Balkons zurückgezogen.
Sozusagen schlagartig war die Quelle des Lärms verstummt, und der Kraftfahrer hat dann wohl, sinniert Artur, weniger militante Gegenden heimgesucht. Zum Thema Radio muß ich dir ja was erzählen, hatte R. dann, wieder mild gestimmt, angehoben. Vor einigen Wochen hatte er in einem Fachgeschäft ein Cassettengerät zur Reparatur abgeben wollen, und, noch beim Erzählen stockte ihm schier der Atem, stell dir vor, Artur, was da im Regal stand! Ein veritabler SK2, du weißt schon, der mit der gelöcherten Frontplatte und dem Plexirad für die Senderwahl, natürlich schon mit UKW. Aha, sagte Artur schlicht, ich verstehe.
Natürlich, räumt Artur beim Erzählen ein, hätte er nur SK2 verstanden, sonst gar nichts. R. hatte ihn aufklären müssen, daß SK2 nun ein ganz wunderbar designtes Rundfunkgerät eines weltbekannten Herstellers aus den frühen sechziger Jahren ist. Er, R. habe dann mit dem sehnsuchtsfeuchten Blick des Kenners beiläufig nachgefragt, ob es sich denn um ein Kundengerät handele. Nein, nein, habe der Händler geantwortet, das olle Ding sei zu verkaufen, siebzig Mark.
Nun ist R. nicht nur Stil, Design und Funktionalität verpflichtet, sondern eben auch umsichtig, grinst Artur, und so bat er den Geschäftsinhaber, das Gerät doch bitte zurückzustellen, er werde seine Freundin informieren, die brauche dringend ein Radio, nicht wahr. Und wie das manchmal so ist — diese Freundin war zwar hoch erfreut über den Tip, hat's aber wahrhaftig erst nach zwo Wochen hingekriegt, mal bei diesem Radiohändler vorbeizuschauen.
Artur, sagt er, ist dann selbst mal in den Laden gegangen. Nee, hätte der Inhaber gesagt, ham wa nicht mehr. Da war einer, dem sollten wir's aufheben, dann kam 'ne Frau, der konnten wir es ja schlecht verkaufen, wegen unsere Seriosität, aber der erste Kunde ist nie wieder gekommen. Und jetzt Sie! Nee, ham wa weggegeben, an den Neffen von meiner Frau, der kann den Lautsprecher gut gebrauchen, für sein Autoradio. Clemens Walter
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