: „Wir müssen den Weg weitergehen“
■ Die neue Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will Kinkels Pläne zur Haftentlassung von RAF-Gefangenen fortsetzen/ Vermögensfragen in den neuen Ländern müssen schnell geklärt werden
taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sind im Kabinett das drittjüngste Mitglied und mit Sicherheit das unbekannteste. Ist das aus Ihrer Sicht ein Vorteil oder ein Nachteil?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Das birgt einen gewissen Charme in sich. Es ist doch keine Schande, wenn man nicht so bekannt ist. Wenn man erst fünfzehn Monate im Bundestag vertreten ist und vorher zwölf Jahre beruflich tätig war, dann kann das anders gar nicht sein.
Sie müssen mit dem Vorwurf leben, nur gewählt worden zu sein, weil der Altliberale Burkhardt Hirsch als Justizminister verhindert werden sollte und weil die FDP eine Frau als Ministerin brauchte. Glauben Sie, vor diesem Hintergrund von Ihren Kabinettskollegen ernst genommen zu werden?
Diese Darstellung ist einseitig und nicht richtig. Mit Sicherheit hat eine Rolle gespielt, daß ich — wie Burkhardt Hirsch auch — mich in der Rechts- und Innenpolitik immer engagiert habe und aus einem beruflichen Umfeld komme, das unmittelbar mit dem Bundesjustizministerium in Berührung stand. Dazu kommt, daß ich mich seit fünfzehn Monaten im Rechtsausschuß schwerpunktmäßig mit Vermögensfragen beschäftige. Bei manch einem mag es eine Rolle gespielt haben, daß ich eine Frau bin. Das kann ich ja nun schlecht abstreiten, aber ich habe nach meiner Wahl keine Motivforschung betrieben.
Was sind die dringlichsten Projekte, mit denen Sie im Kabinett einsteigen wollen?
Der wichtigste Punkt ist für mich, daß wir eine Änderung des Vermögensgesetzes so schnell wie möglich versuchen.
Sie denken dabei aber an keine Umkehrung des Grundsatzes Rückgabe vor Entschädigung?
Nein, das wäre auch gar nicht möglich. Zum einen aus verfassungsrechtlichen Gründen, zum anderen können wir die jetzt in Gang gekommene Entwicklung nicht stoppen oder umkehren. Wir würden sonst Gefahr laufen, daß es zu einem Stillstand bei den Möglichkeiten kommt, in den neuen Bundesländern Investionen zu fördern und zu erleichtern. Jetzt nach gut einem Jahr sehen wir allerdings, an welchen Ecken es klemmt. Die Entscheidungen bei den noch offenen Vermögensfragen können viel zu lange herausgezögert werden, deshalb muß das ganze Verfahren viel schlanker werden. Das wichtigste, was wir in den neuen Bundesländern brauchen, sind schließlich Investitionen, damit neue Arbeitsplätze entstehen können.
Für die Menschen in den neuen Bundesländern ist ein weiterer wesentlicher Punkt, daß wir zu einer vernünftigen Entscheidung in der Regelung des Schwangerschaftsabbruches kommen. Den jetzt vorliegenden Gruppenantrag, den ich mit unterzeichnet habe, begrüße ich sehr. Ich halte ihn für ein ausgewogenes Modell. Eine Fristenregelung mit einer verpflichtenden Beratung, einer Formulierung des Beratungszieles und der Einbettung in soziale Begleitmaßnahmen entspricht auch der Grundhaltung der FDP. Den Menschen in den neuen Bundesländern müssen wir deutlich machen, daß es uns nicht darum geht, mit einem Mal altes Recht der Bundesrepublik einfach auf die Neuländer auszudehnen.
Die Frauen in den neuen Bundesländern werden aber damit konfrontiert, daß der Schwangerschaftsabbruch jetzt prinzipiell unter Strafe steht.
Aus den Diskussionen mit den Abgeordneten aus den Neuländern, auch aus der Union, habe ich den Eindruck gewonnen, daß der Gruppenantrag positiv aufgenommen wird. Mit der noch gültigen alten DDR-Regelung sind viele unzufrieden, auch weil das DDR-Gesetz eine andere gesellschaftliche Zielrichtung verfolgt hat. Die Abgeordneten wollen eine vernünftige Beratungsmöglichkeit eingeführt sehen. Und die bieten wir mit dem Gesetzentwurf. In den neuen Bundesländern sehe ich da eine ganz große Akzeptanz. Deshalb setzte ich auch auf die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern, damit wir im Bundestag eine Mehrheit bekommen.
Das sensibelste Projekt, das ihr Vorgänger und Parteikollege Klaus Kinkel angeschoben hat, heißt Aussöhnung des Staates mit der Rote Armee Fraktion. Er hat sein ganzes Renommee in dieses Anliegen gesetzt. Wird die Kinkel-Initiative unter Ihrer Amtsführung mit dem selben Nachdruck verfolgt?
Es ist entscheidend, in dieser Frage vorsichtig und behutsam vorzugehen. Es gilt, den bereits eingeschlagenen Weg fortzusetzen und die Signale, die der Staat gesetzt hat, als Grundlage zu nehmen, um letztendlich dahin zu kommen, daß möglichst viele der RAF-Gefangenen sagen, wir lehnen die Gewalt ab, weil wir sehen, daß dies nicht der richtige Weg ist. Dies ist bereits in dem RAF-Brief vom 10. April angeklungen. Mit der Entscheidung, Günther Sonnenberg aus der Haft zu entlassen, ist ein weiterer Schritt hinzugekommen. Wir dürfen jetzt zwar keine Entscheidungen über das Knie brechen, wir müssen den Weg aber weitergehen.
Gerhard Baum hat Ende letzter Woche vorgeschlagen, die Gefangenen im Sinne der Fortführung der angefangenen Diskussion in größere Gruppen zusammenzulegen.
Ich werde mich hüten, den Gesprächen, die mit den Länderjustizministern geführt werden müssen, vorzugreifen. Es gibt Überlegungen, wie die Häftlingssituation verändert werden kann. Ich kann aber nicht sagen, das und das wird sich in der und der Zeit realisieren lassen. Ich habe mir vorgenommen, in diesen Fragen in intensivem Gesprächskontakt mit den Justizministern der Länder zu stehen. Der weitere Weg kann nur in diesem Kreis beschritten werden.
Die RAF-Gefangenen haben am Wochenende in Interviews den Begriff der Versöhnung abgelehnt. Rückblickend haben sie den bewaffneten Kampf auch als legitim bezeichnet. Die Kinkel-Initiative wird dadurch in der Öffentlichkeit nicht gerade unterstützt.
Es haben sich nur einige, die in Lübeck inhaftierten Frauen, geäußert. Wenn es um die Aussetzung der Haftvollstreckung geht, spielt natürlich — wie im Fall von Günther Sonnenberg — die Frage eine entscheidende Rolle, wie glaubwürdig der ein oder andere seiner Verstrickung in den Terrorismus absagt. Nach den Äußerungen vom Wochenende bin ich aber keinesfalls der Meinung, daß nun ein Ende des Weges erreicht ist und wir die Initiative nicht fortsetzen sollten. Egal, wie das Wort Versöhnung gesehen wird, es hat seine Signalwirkung gehabt. Auch wenn am Wochenende solche Äußerungen gemacht wurden, sollten wir auf diesem Weg fortfahren.
Wenn Sie am Donnerstag in Ihr Amt eingeführt werden, müssen Sie sich möglicherweise schon bald mit dem Antrag auf eine Grundgesetzänderung befassen, mit dem Rechtspolitiker aus der SPD den sogenannten großen Lauschangriff gesetzlich absichern wollen. Danach könnten Gespräche in privaten Wohnungen überwacht werden, ohne daß ein verdeckter Ermittler zugegen sein muß. Ihre Partei hat bisher die Auffassung vertreten, daß schon der „kleine“ Lauschangriff, die Koppelung an den verdeckten Ermittler, verfassungsrechtlich problematisch ist.
Wenn man den großen Lauschangriff einführen wollte, müßte man in der Tat eine Grundgesetzänderung herbeiführen. Ich weiß aber nicht, was dafür sprechen sollte, den Artikel 13 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert, zu ändern. Damit würde in einen ganz persönlichen Bereich jedes einzelnen Bürgers eingegriffen. Unter bestimmten Voraussetzungen, etwa bei Hausdurchsuchungen, kann ohnehin in dieses Grundrecht eingegriffen werden. Wir müssen die Abwägung vornehmen: Greifen wir noch weiter ein, und was erreichen wir dadurch?
Ich bin ziemlich skeptisch, ob man sich davon so große Erfolge etwa bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität erwarten kann, daß dies einen solchen Eingriff rechtfertigen würde.
Ich denke, wir sollten den Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in der vorliegenden Fassung, also ohne den großen Lauschangriff und auch ohne die Befugnis zur Begehung milieubedingter Straftaten, für verdeckte Ermittler verabschieden. Ein Staat, der festschreibt, welche Straftaten verdeckte Ermittler begehen können, gibt sich selber auf.
Das Organisierte Verbrechen ließe sich doch auch von anderer Seite bekämpfen. Wenn man weiche Drogen freigeben würde, wie es jüngst ein Gericht in Lübeck gefordert hat, dann würde der Organisierten Kriminalität wenigstens in diesem Teilbereich der Boden unter den Füßen weggezogen.
Davon halte ich nicht allzuviel. Ich fürchte, daß mit der Freigabe leichter Drogen der Einstieg in die Abhängigkeit von schweren Drogen schnell geöffnet ist.
Glauben Sie, über eine repressive Schiene diese Probleme lösen zu können? Die USA sind beispielsweise in den Methoden der Rauschgiftbekämpfung sehr viel weiter gegangen. Ohne sonderlichen Erfolg.
Das heißt aber nicht, daß wir in diesem Bereich kein Strafrecht mehr brauchen, um gegen die Rauschgiftkriminalität vorzugehen. Nur lösen läßt sich das Problem damit alleine nicht. Ein wichtiger Schritt ist, die Strafrechtsverschärfungen etwa bei der Geldwäsche wie geplant zu verabschieden. Wir müssen darüber hinaus Möglichkeiten schaffen, verstärkt auf das Vermögen wegen Rauschgiftdelikten Verurteilter zugreifen zu können. Eine andere wichtige Fragestellung ist aber, wieweit etwa Methadon von Ärzten eingesetzt werden darf und wie wir mehr Therapieplätze schaffen können. Eine Arbeitsgruppe der FDP arbeitet gerade an einem Konzept für die ganze Drogenproblematik, das wir bis zur Sommerpause sicher noch einmal beraten werden.
Ein anderes anstehendes Thema ist die Anklage führender Repräsentanten der Ex-DDR. Sollte der frühere Staats- und Parteichef Erich Honecker tatsächlich noch einmal bundesrepublikanischen Boden betreten, glauben Sie dann, daß die von der Berliner Justiz vorgelegte Anklageschrift vor Gericht Bestand hält und Honecker verurteilt wird?
Das zu beurteilen will ich mir nicht anmaßen. Die Fertigung der Anklageschrift gegen Honecker und andere Funktionäre ist aber ein wichtiger Schritt, weil er zeigt, daß man nicht nur an die Kleinen herangeht, sondern daß wir auch Herrn Honecker in einem rechtsstaatlichen Verfahren zur Rechenschaft ziehen wollen. Ob er zurückkommt, liegt allerdings nicht in der Entscheidungsgewalt der Justizministerin. Das Gespräch führten Wolfgang Gast und Jürgen Gottschlich
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