: Intaktes Gefühlsleben
■ Post-Rave goes mitmenschliche Gefühle: K-Creative aus England kommen nach Berlin
Sonnige Gemüter, diese Engländer. Taumeln von Katastrophe zu Katastrophe und wahren dabei die Contenance wie einst vor Hastings, als Wilhelm der Eroberer die Bauern durch Sussex jagte. Heute jagen britische Party- Hooligans von einer Acid-Party zur anderen, bis zum Montagmorgen, wo den Weekendern die Pupillen aus den Augenhöhlen treten. Doch während der Drogenkonsum immer mehr ausufert, wird die Musik immer flauschiger und lebensbejahender — ganz die Wärme der weißen Strände von Ibiza, ganz Tanztee bei Samba-Rhythmen. Außerdem: Englands Raver-Jugend entdeckt den Jazz wieder — Bebop aus dem Harlem der Fifties. Coltrane wird in den Clubs digital neu aufbereitet. Burroughs' halluzinatorisches Junkie- Elend für das Kino in Cognacfarben verfilmt. The Rebirth of Cool (wie ein neuer Sampler trendgerecht verspricht) kommt nicht mehr ohne große Maschinen aus. Der Computer ersetzt die Clark-Nova.
K-Creative dagegen haben sich für die Philosophie des Kleinen und Feinen entschieden: ein sehr intaktes mitmenschliches Gefühlsleben, Aufrichtigkeit und Selbstbewußtsein als Klassenziel einer irgendwie anthroposophischen Gemeinde. Die Musiker leben in der urdemokratischen Form der Wohngemeinschaft, in der jeder allzeit zum Abwasch bereit ist. Desgleichen werden die Tantiemen schon fast christlich gerecht unter den Musikern verteilt, zwei Pennies für Bier, einer für neue Strümpfe, der Rest geht für Spülmittel in die Haushaltskasse. Darf eine so humanistisch gesonnene Band dann auch noch einen Song mit dem Titel to bee free (brother john) herausbringen, ohne Gefahr zu laufen, als U2 der Tanzböden gekreuzigt zu werden?
Noch überzeugen ein blitzblanker Housebeat, das smootheste Synthieprogramm seit dem Fender-Rhodes-Glöckchenklang und ein zartbitterer Rap der gegen Neo-Rechte im Besonderen und Englands Verfall im Allgemeinen mobil macht. Wenn man überdies bedenkt, daß als Konzertstätte die Erdgeschoßräume des Tresor gewählt wurden, dann scheint auch in Berlin die Technowelle ins Swingen zu geraten. Harald Fricke
Morgen, an Christi Himmelfahrt, im Globus/Tresor, 22 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen