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Per Bauchplatscher gen Barcelona

Der Dopingskandal um die mittlerweile gesperrte Astrid Strauß verdarb die Stimmung bei den Deutschen Meisterschaften im Schwimmen/Enttäuschungen für Rudolph und Hoffman  ■ Aus München K-W. Götte

Kristin Otto und Michael Groß trohnten erhöht auf ihrem Kommentatoren-Aufbau und gingen harmlos ihrer Arbeit nach. Doch das Rekord- Niveau, das sie hinterlassen haben, läßt ihre Nachfolger verzweifeln. Nur die Kraul-Schwimmerin Simone Osygos konnte der langen Leipzigerin in 25,46 Sekunden wenigstens ihrer Gold-Zeit von Seoul über 50 Meter abnehmen.

Doping, Tränen, ein Wunderkind, ein entzauberter Weltmeister und absurde Richtzeiten als Maß aller Dinge waren die bestimmenden Momente dieser 104. Titelkämpfe der Schwimmer in München. Astrid Strauß, der Dopingfall, der das sportliche Geschehen zweitrangig, eher belanglos werden ließ, weinte bereits vor Beginn der Wettkämpfe Tränen der Ahnungslosigkeit. Die Magdeburger Weltmeisterin über 800 Meter Freistil 1986 und Olympia-Zweite von Seoul hatte „keine Erklärung“ für die extrem hohen Testosteron-Werte. Zur Erhellung ihres Falls trug die 23jährige nicht bei. Ebensowenig ihr Trainer Bernd Henneberg der „die Hände dafür ins Feuer legen würde, daß Astrid nichts nimmt“. Starterlaubnis durch einstweilige Verfügung, kurz vor dem Sprung ins Becken dann doch sechs Monate Sperre durch den deutschen Schwimmverband (DSV), die man Astrid Strauß auf Bitten des Trainers jedoch nicht mitteilte. Buh-Rufe und Pfiffe des Publikums. Schwimmen außer Konkurrenz und zweiter Platz. Die Olympia-Norm geschafft, doch alles umsonst. Am Schlußtag verzichtete Astrid Strauß auf den 400-Meter-Freistil-Start.

Dazu ein aufgebrachter Ex- Schwimmpräsident und jetziger Doping-Fahnder Harm Beyer, im Hauptberuf Richter: „Wenn ein solcher Wert nicht gerichtsverwertbar wäre, weiß ich nicht, was noch verwertbar sein soll“, ließ er die Gedanken abseits von den vier so weltbewegenden Schwimmlagen kreisen. Tatsache ist, daß alle Blauäugigkeit fehl am Platz ist, neben der Leichtathletik ist auch die zweite Hauptsportart offensichtlich Doping verseucht. Für Fans ein schlimmes Gefühl, doch auch das ist belanglos.

„Hinter jeder Leistung steht die Frage, ob sie durch Doping erzielt wurde“, jammerte Frauen-Bundestrainer Achim Jedamsky, traf jedoch den Nagel auf den Kopf — daß die LUM, die „leistungsunterstützenden Maßnahmen“ in der DDR flächendeckend waren, ist ein offenes Geheimnis. Petra Schneiders zehn Jahre alter 400-Meter-Lagen- Weltrekord ist von den heutigen Konkurrentinnen, die es anscheinend wirklich nur mit mörderischem Training versuchen, zwölf Sekunden außerhalb der Reichweite.

Doch auch jetzt werden weiter „Zeiten gemacht“. Müssen, weil sich die „Richtwerte“ des Verbandes für die Olympia-Qualifikation auf die Hundertstel gemessen am zwölften Platz der Weltrangliste orientieren. Die Akteure taten unfreiwillig etwas für ihre Glaubwürdigkeit, reihenweise verfehlten vor allem die Männer die Norm.

Die Prinzipien-Reiter des DSV müssen nun viele Leute zu Hause lassen oder Richtwerte im Doping-Zeitalter in den Wind schreiben. Doch ohne Sportler keine Funktionäre bei Olympia. Letztere werden schon einen Weg nach Barcelona finden. Doch wer will schon Medaillen, die auf Leistungsmanipulation basieren? Die Schwimmer, die Trainer, der Verband sicherlich, weil ihre Existenz davon abhängt, aber auch noch das Land? Die Münchner — 400 Zuschauer verloren sich in der Olympia-Halle — demonstrierten ihre Meinung eindeutig.

Keine Tränen der Angst sondern bittere Tränen der Enttäuschung weinte der sonst so überaus coole Potsdamer Schwimmriese Jörg Hoffmann, vor einem Jahr noch Weltmeister über 400 Meter Freistil — ging er doch in München als Vierter baden. Dem an sich schon wortkargen, hochgewetteten Medaillenaspiranten für Barcelona verschlug es nach diesem Debakel völlig die Sprache. „Jörg spricht mit niemanden, nicht einmal mit Harald Herberg seinem Trainer“, verkündete Bundestrainer Manfred Thiesmann den professionellen Fragern.

Wenig Glück hatte auch der Heuschnupfengeplagte Nils Rudolphs. Zwar schafft er über 100 Meter Schmetterling in 55,09 Sekunden Platz zwei hinter dem in den USA studierenden und für den SSF Bonn startenden Martin Herrmann (54,71), doch für die Qualifikation reichte es bei beiden nicht. Die geforderte Norm liegt bei 54,43 Sekunden. Dafür holte er sich über 50 Meter Freistil in 22,75 Sekunden den Titel.

Auch Wunderkinder machen schwere Zeiten durch. Sie werden längst nicht mehr so geknuddelt wie einst. Franziska von Almsick („Ich hasse es, ein Wunderkind genannt zu werden“), der erst 14jährigen Senkrechtstarterin aus Berlin, gelangen bei so wenig Hätschelei auch nicht die ganz großen Wundertaten. Doch über 200 Meter Freistil zeigte das 1,72 Meter große Jungtalent („Ich fühle mich nicht wie vierzehn“) dann doch seine Edelmetall-Perspektiven auf.

Franziska wurde in der DDR- Endzeit 1989 siebenfache Spartakiade-Siegerin und wäre im DDR-Trikot als „Jahrhundert-Talent“ ohne Zweifel auch siebenmal Olympia- Siegerin geworden. Unter neuer, nationaler Regie wird es dafür mit Sicherheit nicht mehr reichen.

FRAUEN: 200 m Lagen: 1. Daniela Hunger (Berlin) 2:14,72 Minuten, 2. Jana Haas (Erfurt) 2:18,47, 3. Marion Zoller (Hamburg) 2:18,88,800 m Freistil, :1. Jana Henke (Potsdam) 8:36,29 Minuten, 2. Carola Kynast (Halle) 8:50,12, 3. Cornelia Schmeißer (Berlin) 8:56,20, 200 m Brust: 1. Daniela Brendel (Köln) 2:32,87 Minuten, 2. Alexandra Hänel (Köln) 2:33,11, 3. Jana Dörries (Potsdam) 2:33,32, 200 m Freistil: 1. Franziska van Almsick (Berlin) 2:00,08 Minuten, 2. Kerstin Kielgaß (Berlin) 2:00,48, 3. Dagmar Hase (Magdeburg) 2:00,92, 2:07,64, 8. Ivonne Gärtner (Halle) 2:07,85, 50 m Freistil: 1. Simone Osygus (Wuppertal) 25,46 (Deutscher Rekord), 2. Franziska van Almsick 25,89, 3. Daniela Hunger (beide Berlin) 26,01, 200 m Schmetterling: 1. Maren Flohr (Köln) 2:15,36 Minuten, 2. Sabine Herbst (Magdeburg) 2:15,92, 3. Peggy Conrad 2:15,98, 100 m Rücken: 1. Dagmar Hase (Magdeburg) 1:02,19 Minuten, 2. Sandra Völker (Hamburg) 1:02,91, 3. Anja Eichhorst (Rostock) 1:04,20.

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