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Wischiwaschi auf der Städtekonferenz

Auf dem World Urban Forum in Curitiba hatten die Händler, nicht die Macher das Sagen/ TeilnehmerInnen sprechen von vertaner Chance/ „Selbstverpflichtung“ verdient den Namen nicht  ■ Aus Curitiba H.-J. Tenhagen

Lethargie ist genauso ansteckend wie Masern. Rund 350 Stadtväter aus aller Welt haben am Wochenende in Curitiba in Südbrasilien eine Riesenchance verschlafen — die roten Pusteln im Gesicht aber werden schon noch kommen. Die honorigen Herren und die wenigen Damen konnten sich in der Woche vor dem Umweltgipfel in Rio nämlich nur auf eine ökologische „Selbstverpflichtung von Curitiba“ einigen, die den Namen nicht verdient hat.

Während oben auf dem Podium noch die Erklärung verlesen wurde und die Bürgermeister von Curitiba, Jaime Lerner, und von Montreal, Jean Dore, sich und den anderen Beteiligten auf die Schulter klopften, war das Gemurre unten im Saal schon unüberhörbar.

„Damit werden wir in Rio nichts bewegen“, schimpfte Aydan Erim, die den Bürgermeister von Ankara in Umweltfragen berät. „Alles viel zu nett und zu ladylike.“ Und auch der erklärte Konservative Lutz Wicke vom Berliner Umweltsenat fand nur ein Wort: „Schwaches Papier“. Die Städte hätten wenigstens eine Umweltabgabe fordern müssen, mit der man die globalen Aufgaben lokal angehen kann, so Wicke.

Vergebliche Warnungen

Die Bürgermeister und internationalen Kommunalvereinigungen hatten sich nach vielen Flugstunden und noch mehr Verhandlungsstunden zwar auf so wohlklingende Ziele wie die „Steigerung der Energieeffizienz“, die „Reduzierung der Umweltverschutzung“ und den „Kampf gegen Armut, soziale und geschlechtsspezifische Ungerechtigkeit“ verständigt. Konkrete Zielvorgaben fehlen der Erklärung allerdings völlig, die Verpflichtung, die „Grundbedürfnisse der gesamten Bevölkerung ohne zusätzliche ökologische Schäden zu verwirklichen“, hatten die Väter des Kompromisses gegenüber einem ersten Entwurf sogar noch verwässert.

Nicht daß es an Warnungen vor einem solchen luftigen Beschluß gefehlt hätte. Der Pariser Ökologe Ignacy Sachs hatte frühzeitig prophezeit, daß es schwierig sein werde, konkrete Zielvorgaben für Nord- und Südmetropolen gemeinsam zu verabschieden, und ein Splitting der Selbstverpflichtungen angeraten. Die Städte des Nordens hätten sich zum Beispiel auf eine spürbare Verringerung des C02-Ausstoßes und die des Südens auf eine Verbesserung des Abwassermanagements verpflichten können.

Gleich zu Beginn des „World Urban Forum“ hatte auch der kanadische Stadtforscher David Runhalls den Kommunen ins Gebetbuch geschrieben, daß Klappern zum Geschäft gehört. Keines der Umweltgesetzte der westlichen Länder wäre ohne die konsequente, aggressive und beharrliche Lobbyarbeit der Umweltverbände je zustande gekommen, so Runhalls. Gleichzeitig dürften die Städte von den internationalen Organisationen wie der Weltbank keine goldenen Eier erwarten.

Am vehementesten kritisierte die Bürgermeisterin von Sao Paulo, Luiza Rundina de Souza, den Entwurf. Zugereist und offenbar noch nicht von der allgemeinen Müdigkeit angesteckt, ätzte sie, das sei wirklich nur „ein weiteres durchschnittliches Papier“. Kernprobleme wie die ungleiche Verteilung des Reichtums und die Schuldenkrise, würden gar nicht erst angesprochen. Nur kurz wachte der Saal auf, aber immerhin findet die Schuldenkrise jetzt Erwähnung.

Die Weltbank, personell stark vertreten, versuchte die Begehrlichkeiten der versammelten Kommunalpolitiker von der eigenen Schatulle abzulenken. Er beobachte bei den Regierungen der einzelnen Staaten durchaus mehr „Willen, Geld für städtische Infrastrukturmaßnahmen auszugeben,“ so der Chef der Stadtentwicklungsabteilung der Weltbank, Michael Cohen, abwiegelnd. Die Bank habe zwar seit 1972 rund 30 Milliarden Dollar für 200 Projekte der Stadtentwicklung im Süden verliehen. Die Städte selbst würden aber in jedem Jahr 150 Milliarden Dollar für die gleichen Ziele ausgeben.

„Selbst wenn wir unseren Beitrag verdoppeln, müssen die finanziellen Probleme immer noch primär von den Städten selbst gelöst werden“, resümierte Cohen. Der Weltbanker räumte gegenüber der taz aber ein, daß die Bank derzeit eine „Reorientierung“ zur Armutsbekämpfung vornehme, nachdem im vergangenen Jahrzehnt die Eindämmung der Schuldenkrise sehr im Mittelpunkt gestanden habe.

Das Beispiel Curitiba

Selbst das Beispiel von Curitiba konnte die Stadtväter beim World Urban Forum nicht mehr inspirieren. Die Millionenstadt war als Gastgeber ausgewählt worden, weil sie für ihre vorbildliche Müll- und Verkehrspolitik bekannt ist. Curitibas Bürgermeister Lerner schüttelte auf der internationalen Bühne fleißig Hände. Sein erklärtes Ziel allerdings, „daß die Selbstverpflichtungen der Stadtväter das Treffen zu einem historischen machen“, hatte er sich offenbar zwischendurch abgeschminkt. Der taz erkärte er, die wichtigste Botschaft des Städtetreffens müsse jetzt sein, „daß nur durch lokales Handeln globales Überleben gesichert werden kann. Die Städte als Instrumente des Wandels müssen endlich richtig wahrgenommen werden.“ In seiner Stadt würden bis zum Jahresende 35 bis 40 Prozent der Autofahrer auf den öffentlichen Nahverkehr ungestiegen sein. Curitiba verbraucht heute 35 Prozent weniger Energie im Verkehrsbereich wie das etwas gleich große Brasilia.

Ein Zeichen für Rio wird von der Städtekonferenz also nicht gesetzt. Notorische Optimisten, wie Siegfried Brenke, einst Chef der Stadtentwicklungabteilung der OECD und an dem Kompromißpapier beteiligt, hoffen noch, daß wenigstens ein Signal an die Stadtverwaltungen herausgehe: Die Städte, die die Deklaration unterzeichnen, müssen nach der einzig konkreten Festlegung der „Selbstverpflichtung von Curitiba“ nämlich „innerhalb eines Jahres“ einen Report über ihre lokalen umweltpolitischen Aktivitäten erstellen.

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