: Besser kann Bremen es nicht haben
■ Interview zum BVG-Urteil mit dem Verfassungsrechtler Hans-Ernst Böttcher
Die Klage Bremens in Karlsruhe wirft komplizierte verfassungsrechtliche Fragen auf. Einer der wenigen, die die Materie auch aus eigener beruflicher Erfahrung kennen, ist Hans-Ernst Böttcher, seit März 1991 Landgerichtspräsident in Lübeck. Böttcher war 1974-1991 Richter in Bremen und in dieser Zeit 1980-83 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Bundesverfassungsgericht abgeordnet, 1988-1990 als verfassungsrechtlicher Berater zu Finanzsenator Grobecker.
taz: Bedeutet das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Hoffnung auf Licht am Ende des bremischen Schuldentunnels von 15 Milliarden?
Hans-Ernst Böttcher: 535 Millionen als Nachschlag für eklatante Versäumnisse des Bundes in den vergangenen Jahren ist schon mal nicht schlecht. Das Verfassungsgericht hat darüber hinaus sehr präzise gesagt, daß in der Größenordnung, die zur wirklichen, dauerhaften Hilfe notwendig ist, über fünf Jahre Beträge zwischen 1,4 und zwei Milliarden oder eine Teilentschuldung in Höhe von 8,5 Milliarden nötig sind. Solche massiven Hilfen lassen sich aus dem bisherigen Instrumentarium der Bundesergänzungszuweisung nicht direkt herleiten. Andererseits — so das Bundesverfassungsgericht — entsteht aus dem bundesstaatlichen Prinzip die Pflicht, Bremen und dem Saarland zu helfen — „unverzüglich“, so steht es da. Es kann also nicht noch einmal auf die lange Bank geschoben werden. Besser und deutlicher kann Bremen es sich nicht wünschen.
Vor dem 9. November 1989 hätte mir das eingeleuchtet. Aber heute sind die Kassen überall leer...
Das Stichwort 9. November '89 ist doppelt interessant. Im Oktober 1989 saßen die Finanzminister im Reichstag in Berlin zusammen, die Mauer war noch von oben zu sehen, und da war die Verpflichtung für Bremen und das Saarland schon Thema. Der Bundesfinanzminister hat damals nur die Achseln gezuckt, einen eigenen Beitrag des Bundes verweigert und die Länder auf sich selbst verwiesen.
Und heute?
Heute haben wir es als Pflicht vom Bundesverfassungsgericht ins Urteil geschrieben bekommen. Der Kern der Frage ist aber: Wo soll das Geld herkommen. Die Tatsache, daß der Bund und die West-Länder in der Lage sind, auf zehn Jahre pro Jahr Größenordnungen von 100 Milliarden zu bewegen, zeigt doch, daß es möglich ist, auch vergleichsweise geringe zusätzliche Beträge, wie sie für Bremen und für das Saarland benötigt werden, aufzubringen. Es ist für alles Geld da, es wird z.B. längst noch nicht genügend abgerüstet.
Das Problem der neuen Bundesländer hat auf eine überraschende Weise Auswirkung auf das bremische Problem: Die neuen Länder sollen sich nicht von vornherein in derselben Höhe verschulden müssen wie Bremen, sie sollen handlungsfähig bleiben. Implizit wird für die ostdeutschen Länder der Maßstab gesetzt, welche Schuldenmenge tragbar wäre. Bremen und das Saarland liegen weit darüber, müssen aber gleichbehandelt werden — auch mit den ostdeutschen Ländern.
Dauerhafte Haushalts-Entlastung hat sich Bremen davon versprochen, daß die „Einwohnerwertung“ von 135 auf 160 Prozent angehoben wird: jedes Jahr wollte Bremen 350 Millionen mehr.
Das war in der Tat einer der beiden Hauptpunkte, da ist kein Erfolg errungen worden. Das bedeutet aber nicht, daß zu diesem Thema nicht neu verhandelt werden muß. Das Verfassungsgericht hatte ja nicht zu entscheiden, was der richtige Wert wäre, sondern nur, ob die derzeitige Praxis verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Sachkundige Ökonomen im Hause des Finanzsenators haben auch zu diesem Thema im Urteil Ansatzpunkte gefunden.
Punkt zwei: Die Hafenlasten. Bremens Selbständigkeit begründet sich auch aus der Bedeutung des Hafens. Daß die Republik dafür mehr zahlen soll, fanden die Richter nicht.
Die Hafenfunktion war schon bei dem ersten Urteil 1986 anerkannt worden, die Summe im Finnzausgleich war angehoben worden. Daß es ein wesentlich höherer Betrag als 90 Millonen sein muß, war für das Gericht nicht aus Verfassungsgrundsätzen zwingend herzuleiten.
Wo hat Bremen denn Erfolg gehabt?
Beim zweiten Hauptpunkt, der Haushaltsnotlage. Nicht nur bei der Gleichstellung mit dem Saarland, die Bremen für die Vergangenheit einen wesentlichen Teil der 535 Millionen bringen muß.
Bremen hat vom Gericht seine Hilfsbedürftigkeit attestiert bekommen. Bremen hat nicht gewonnen dort, wo das Selbstbewußtsein dieses Bundeslandes mehr vom Steuerkuchen jedes Jahr verlangt hat. Das strukturelle Dilemma des Nehmerlandes bleibt bestehen...
Das Problem fängt schon mit der Terminologie an. „Nehmerland“ — Bremen hat ein Steueraufkommen von mehr als 7 Milliarden. Davon bleiben nicht einmal 3,5 Milliarden im Land. Mit anderen Worten: Bremen „nimmt“ nur, weil es auf den ersten Stufen der Steuerverteilung und des Finanzausgleichs gibt. Ein anderer Finanzausgleich ab 1995 würde das Ganze optisch anders aussehen lassen. Genauso könnte man sagen: Wenn Bremen nicht seit 10 Jahren Beträge von knapp 700 Millionen jährlich für Sozialhilfe ausgeben müßte, gäbe es kein Problem des Schuldenberges. Bremen ist in seiner strukturellen Eigenart einschließlich der Häfen anerkannt, es ist mit dem Urteil auch anerkannt, daß das strukturelle Defizit nicht aus falscher Politik in Bremen herrührt...
... das steht im Urteil drin?
So muß man das Urteil lesen. Int.: Klaus Wolschner
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