: Mode machen, weil man sie haßt
■ Jott W. Dee — ein Modekollektiv zeigt »Conversation in Blue« und designte Mode mit weiten Ärmeln
Stell dir vor, du sitzt mit Tom Waits an der Bar, indirekte Beleuchtung wirft schummeriges Licht auf die Gesichter, der Tag verschwindet im Nichts. Die Nacht begnügt sich vorerst mit einer Andeutung von totaler Finsternis, ein paar Whiskys hinter euch, ein paar noch vor euch — stell es dir vor. Und was trägt du in dieser Situation? Keine Ahnung? Auch dann noch nicht, wenn die Klamotten querbeet durchwühlt sind? Tja dann — dann gibt es nur noch drei Stichworte: Jott W. Dee.
Jott W. Dee? Wie »Janz weit draußen« oder wie Christine Seehofer, Dana Liebe, Vera Lazaredou, Birgit Scheuch, Connie Fetzer und Christine Birkle oder wie: das Feeling- Blue zum Sprechen bringen. Oder: der Versuch, Mode zu machen, weil sie sie hassen. Oder wie: das definitv einzige Experiment, als Frauenkollektiv autonom seit dem StudentInnenstreik von Anno 1988/89 an der Berliner HdK Modedesign zu studieren. Einfach J.W.D., weit weg von ehrgeizigen Ellenbogen, eitlen Entwürfen und glitzernden Träumen vom Traum vom Kleid, Geld und Ruhm.
Jott W. Dee ist der Name des Kollektivs, zwei bissige Hunde, die fast an Kampfhunde erinnern, blitzen gefährlich vom Etikett der Kollektion. Apropos Kampfhunde: So kämpferisch die Gruppe ihren Platz an der HdK erstritten hat — nach einigem Hin und Her rannten die Studentinnen einer Professorin quasi offene Türen ein und haben seitdem ihre Schein- und Studienprobleme beseitigt —, so bissig, scharf und geistreich sie ihre Idee von Mode einerseits darlegen und verteidigen — so sanft wirkt die Kollektion andererseits. Eine Kollektion, die nach der Grammatik des Feeling-Blue, aber auch — wie alle Mode und jeder Kleidungsstil — von den Zeichen der Zeit spricht. Diese Kollektion erzählt vom gemeinschaftlichen Arbeiten, von dem ganzheitlichen Ansatz — und redet doch keiner der sechs Entwerferinnen und Gestalterinnen nach dem Mund.
Vielleicht aber erscheint die Kollektion gerade deshalb so »rein« — es bleibt wirklich kein anderes Wort dafür übrig. Die Silhouetten der fließenden (Kurz-)Jacken, Blusen, Hosenanzüge und Kleider in Rauchgrau, Creme, Wasserblau und gedecktem Grün haben in ihrer Schlichtheit und Gradlinigkeit eine ästhetische Sprache gefunden, der man die Distanz zu den einzelnen Macherinnen ansieht. Die Kollektion ist ein Gemeinschaftsprodukt, geboren in einem langen Prozeß aus der Idee, dem Geist, der Diskussion — und dem erklärten Gefühl.
Wie das? Zurück zu Tom Waits. »Feeling Blue« war das Thema — Tom Waits und die Bar-Stimmung zur Heure Bleue ein Weg zur Idee von einer Kollektion. Eine Feeling- Blue-Kollektion mit endloslangen Krägen, in denen sich melancholische Gedanken verstecken lassen, und viel zu langen Ärmeln — geschaffen fürs Nichtstun. Sechs Interpretationen dieses blauen »Zwischendrin«-Gefühls sind in die Gewandhüllen geflossen, nun folgt eine »Conversation in Blue« als Performance.
Mode machen allein reicht den autonomen HdK-Studentinnen nämlich nicht, sie haben eine Philosophie und Gesellschaftskritik daraus gemacht. Die Performance (Eröffnung am 20. Mai in der Design Transfer Galerie in der Grolmannstraße) ist im Grunde die Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe.
Während die KommilitonInnen in der HdK sich im Alleingang auf die Modeindustrie trimmen und eine Kollektion nach der anderen auf Marktmechanismus und Konfektionsgeschmack ausrichten, überlegen sich die sechs aus dem Kollektiv lang und breit, wenig effektiv und kaum zielgerichtet, wie sie überhaupt zur Idee kommen. Vera setzt sich hin und raucht eine nach der anderen, Dana inszeniert in Gedanken eine Szene à la Tom Waits — ein Thema brauchen sie alle. Das Experiment besteht darin, daß Vera nach Danas Methode arbeitet und diese sich in die Welt von Conni, die sich spielerisch-kritzelnd an Körperformen, nicht Idealmaßen inspiriert, hineindenkt.
Diese ungewöhnliche Form der Zusammenarbeit sei zwar »irre anstrengend« — aber nur so komme es, »daß wir die durchschnittliche Lebensdauer von eineinhalb Jahren, die Kollektiven allgemein gegeben wird, überlebt haben«, ist das Fazit der Gruppe. »Irgendwie sitzen wir halt in einem Boot: Jede von uns ist mit fünf Frauen verheiratet.« Wie in jeder Ehe gibt es in dieser die Amplituden des launigen Auf und Ab — bis sich die sechs irgendwann ein solches Maß an Toleranz zulegten, das nicht mehr jede Diskussion um einen Abnäher oder eine bestimmte Farbnuance in Sinne des Konsensprinzips zur Endlos-Prozedur ausarten ließ. Dennoch: Chris entdeckt, daß sich »Ideen abschleifen zu etwas, was vorher nicht gemeint war« — aber das sei nicht unbedingt schlecht. Wozu muß denn auch eine Frau wissen, wieviel Feeling-Blue von wem im Kleid stecke?
Die Designerinnen tragen ihre eigenen Kleider, Hosen, Röcke, Jacken und Blusen nicht. Sie könnten es sich nicht einmal vorstellen, in diesem »ästhetischen, sehr künstlichen, vergeistigten Stil« über die Straße zu gehen. Nein, Jeans und Pulli oder T- Shirt, am besten in Schwarz, das ist Danas Privatlösung für alles, seit Jahr und Tag — zur Not auch für Tom Waits an der Bar... Vera gesteht sich gerade noch schlichtes Understatement zu: Unauffälliges von guter Qualität trägt sie. Wozu auch die Staffage?
Birgit haßt Mode und droht ein knappes Pamphlet über die ausbeuterische, umweltzerstörerische Modeindustrie an, nach dessen Lektüre sich auch die aufgemotzteste Modepuppe erst einmal in Sack und Asche hüllen würde. Und Tom Waits — was trägt der in seinem Feeling Blue? Sollte er auf die Idee kommen, sich bei Jott W. Dee umzuschauen — er müßte ganz in Natura an der Bar sitzen. Bei Männerklamotten gehen den sechs Frauen nämlich bisher die Ideen aus. Petra Brändle
Conversation in Blue — Mode als Performance heute in der Design Transfer Galerie, Grolmannstraße, Eröffnung 20 Uhr, Performance 21 Uhr
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