: Befreites Schweden
■ „Gustaf Wasa“ knäckig in Dresden
Die Dresdner Musikfestspiele werden heuer in vergessenen Partituren auf die überraschendste Weise fündig: zum Beispiel mit Gustaf Wasa.
Das ist Schwedens Nationaloper, überhaupt die meistgespielte schwedische Oper aller Zeiten. In den hundert Jahren seit der Uraufführung 1786 befreite der schwedische Reichsvorsteher und nachmalige König Gustaf Wasa mit Piccoloflöten und Trompeten 177mal das Land vom Eroberer Christjern Tyrann, König von Dänemark und Norwegen. Zu neueren Taten hat er allerdings erst 1991 ausholen können.
Zwischendurch, so sagt man, sei die Oper aus politischen Gründen nicht gespielt worden, denn der Komponist des schwedisch-patriotischen Werkes ist ein Deutscher, Johann Gottlieb Naumann aus Dresden. Er lebte von 1741 bis 1801, war mithin Zeitgenosse Mozarts und Haydns, berühmter als die beiden und vor allem wohlhabender. Naumanns Palais in Dresden-Blasewitz präsentiert sich auf historischen Abbildungen als herrschaftlicher Sitz. Seine Zeitgenossenschaft ist Naumanns Musik anzuhören. Aber halt, keine vorschnellen Schlüsse: Dies kratzt weniger an der vormaligen europäischen Berühmtheit Naumanns als an der unbedingten Heiligsprechung auch mittlerer Produktionen des Genius von Salzburg. Über den römischen Titus kann der schwedische Gustaf allemal triumphieren.
Die schwedischen Frauen klagen mit einer melodischen Innigkeit, als sängen sie Mozarts Requiem, eine herrlich ausschwingende Sopranarie, mit Soloklarinette und -fagott auch ganz mozartisch klanggefärbt, zaubert dieselbe Gänsehaut wie das Figaro-Finale. Chorsätze strahlen wie die Morgensonne, Geistererscheinungen dräuen von oben, Bravourarien perlen, geschmeidige Hymnen erheben das Herze. Leider war das aufgeklärte Schlachtenpanorama und Fürstentableau (König Gustav III. hatte das Libretto über seinen ruhmreichen Vorfahren höchstselbst angeregt) nur konzertant zu erleben. Wie es hieß, mochte Nicolai Gedda weder Kostüm noch Maske — 1991er Stockholmer Premierenberichte sprechen aber von so katastrophaler Regie des Schweriners Detlef Rogge, daß man möglicherweise die Peinlichkeit hinter dem breiten Rücken des Stars verstecken wollte.
Von der noch immer in erstaunlicher Form sich befindenden Berühmtheit Gedda, der Christjerns trotzige Tyrannen-Scalen rauf und runter sang, abgesehen, haben die Solisten der Stockholmer Königlichen Oper noch keine Rundflugkarten im internationalen Solisten-Kettenkarussell gebucht. Dabei waren Lena Nordin, Marianne Myrsten, Anders Andersson, Tord Wallström und das Orchester unter Philip Brunelle so was von gut! Irene Tüngler
Johann Gottlieb Naumann: Gustaf Wasa. Chor und Orchester der Stockholmer Königlichen Oper, Dirigent: Philip Brunelle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen