: Harte Landung nach Irrflug
Die Deutsche Aerospace (Dasa) steht vor einem Scherbenhaufen: Schrumpfkurs statt Wachstum/ Bilanz durch Rechentricks geschönt ■ Von Erwin Single
München (taz) — So hat sich Jürgen Schrempp seinen Job sicher nicht vorgestellt. Kaum hat der Chef der Deutschen Aerospace (Dasa) dem Luft-, Raumfahrt- und Rüstungsmulti eine neue Struktur verpaßt, droht seine Unternehmensgruppe bereits wieder auseinanderzubrechen. Schuld daran ist jenes Projekt, an dessen Realisierung die selbstbewußten Daimler-Manager scheinbar heute noch glauben: der bereits auf dem Reißbrett flügellahm gewordene Jäger 90. Rund 20 Milliarden Mark wollte sich die Bundesregierung ursprünglich den teuersten Rüstungsauftrag aller Zeiten kosten lassen; der größte Batzen sollte in die Münchner Rüstungsschmiede fließen. Nun ist das Riesengeschäft futsch. Die Umstellung sei nicht völlig schmerzlos zu vollziehen, erklärte gestern Dasa-Commander Schrempp bei der Vorlage der Jahresbilanz 1991. Der Konzern, so Schrempp weiter, sei durch die Straffung der Strukturen, weltweite Kooperationen und die Erschließung neuer Geschäftsfelder „gut gerüstet".
Doch der Zweckoptimismus dürfte dem Dasa-Chef wenig nützen. Sinkende Rüstungsaufträge und schrumpfende Raumfahrtprogramme haben die Aerospace mächtig ins Trudeln gebracht. Knapp ein Fünftel der insgesamt rund 50.000 Arbeitsplätze sind laut Geschäftsleitung und Betriebsrat allein von dem Jäger-Stopp bedroht, und das in einem Bereich, der ohnehin seit Jahren schrumpft. Der Dasa-Chef rechnet mit Tausenden von Entlassungen. Bereits vor Wochen kündigte er die „geräuschlose“ Schließung einiger Fabriken für den Fall an, daß der Auftrag von der Hardthöhe ausbleibt. Doch die Stimmung in der Belegschaft kocht. Konzern-Betriebratsvorsitzender Alois Schwarz ist stinksauer auf die Geschäftsleitung, denn diese habe sich keinerlei Alternativen zu den Rüstungsprojekten überlegt — ein „Armutszeugnis“ für den High-Tech-Konzern.
Der Wundervogel, so hatten die Mega-Manager des zusammengekauften Daimler-Imperiums gehofft, würde der Dasa eine Grundauslastung bis ins nächste Jahrtausend hinein sichern. Der Optimismus war nicht unbegründet, schließlich versprachen nahmhafte Politiker, die Stuttgarter Autobauer könnten nach ihrem Einstieg in das Rüstungsgeschäft mit dem milliardenschweren Jäger-Programm rechnen. Auch das Geschäft mit der Raumfahrt ist vermasselt, wenn sich die Bundesregierung aus Geldmangel aus den Milliardengräbern Columbus und Hermes verabschiedet. Die Daimler-Crew um Konzernlenker Ezard Reuter steht nun vor einem Scherbenhaufen. Sie hat sich mächtig verkalkuliert und auf das falsche Pferd gesetzt: Das Rüstungsgeschäft besitzt wenig Zukunft, im Space-Business gibt es kaum Wachstums- und Ertragschanchen, und im zivilen Geschäft hat die Dasa noch einen weiten und kostspieligen Weg vor sich. Zudem bewahrheitet sich die Skepsis vieler Fachleute, die vor dem wilden Einkaufzug der Stuttgarter Nobelkarossenhersteller gewarnt hatten: Viele der erwarteten Synergieeffekte sind ausgeblieben, und trotz mehrfachen Aus- und Umsortierens hat sich Daimler einen unüberschaubaren Gemischtwarenladen ans Bein gebunden. Auch die Neuordnung des Luft- und Rüstungskonglomerats ist keineswegs abgeschlossen: Die widerspenstigen Dornier-Erben sperren sich erfolgreich gegen die Auslöchung ihres Unternehmens, die übrigen Dasa-Firmen wollen ihre Namen behalten.
Nach seinem Amtsantritt vor drei Jahren hatte der stets forsche Schrempp noch ganz andere Töne gespuckt: In fünf Jahren sollte der Umsatz der Dasa auf über 20 Milliarden Mark hochgeschraubt werden. Damals schien der Markt für Raketen, Drohnen, Flugzeuge, Triebwerke und Satelliten noch erfolgversprechend. Wesentlich kleinlauter mußte der Dasa-Chef gestern eingestehen, daß der Umsatz im letzten Jahr sogar von 12,5 auf 12,348 Millarden eingebrochen war. Nach einem deutlichen Umsatzrückgang rutschte die Dasa-Tochter Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) mit Verlusten von 37 Millionen Mark in die roten Zahlen, auch Dornier wies einen Fehlbetrag aus. Daß am Ende für die Dasa noch ein Minigewinn von 50 Millionen ausgewiesen werden konnte, bemächtigten sich die die Finanzkommissare eines simplen Bilanztricks: Sie setzten die Airbus- Beteiligung höher an.
Geradezu grotesk ist, daß ausgerechnet die Airbus-Produktion der Dasa derzeit den einzigen Wachstumsschub verleiht. Die von Reuter einst geschmähten Passagierjets, die hohe Investitionen und kaum Gewinne versprachen, sollen jetzt zügig integriert werden. Doch auch hier trügt der Schein: Fast die Hälfte der Airbus-Gewinne steuert die Bundesregierung bei, die bis 1996 für Altlasten und Wechselkursrisiken bürgt. Und das Luftfahrtkonzept kann sich bald schon als Fehlschlag entpuppen, wenn die Subventionen wegfallen und es für das geplante Kurzstreckenflugzeug Regioliner keine finanzielle Unterstützung gibt.
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