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R. Hickel: Es bleibt die Knappheit

■ Eine kritische Durchsicht des BVG-Urteils ohne lokalpatriotische Überhöhung

Am Mittwoch vergangener Woche erfolgte der mit großer Spannung erwartete Urteilsspruch. Die adäquate Bewertung dieser 179 Seiten drohte zuerst im überschäumenden Jubel des Bremer Senats, der auch die Medien infizierte, unterzugehen. Bei Lichte besehen, gemessen an den in der Klageschrift aufgestellten Forderungen, liegen Sieg und Niederlage für den Staadtstaat Bremen dieses mal nahe zusammen. Dieses Dokument spiegelt eine Kompromißbildung im zweiten Senat wider, dieser Hintergrund der Urteilsbildung kann jedoch bei einer objektiven Wertung des Schriftsatzes kaum Geltung erhalten.

1. Bei der Verteilung seiner Ergänzungszuweisungen hat der Bund den Stadtstaat - interessanterweise gegenüber dem Saarland - systematisch benachteiligt. Dies betrifft die Beteiligung des Bundes an den Kosten der politischen Führung sowie die Regelung der Haushaltsnotlage, die seit 1987 bis 1991 für das Saarland pro Jahr 75 Mio. DM und für Bremen erst ab 1989 50 Mio. DM betrug. Hier ist sicherlich mit einem Nachschlag aus Bonn zu rechnen. Alles in allem wären 535 Mio. DM Nachteilsausgleich fällig. Diese Aufforderung zur Nachzahlung verbindet übrigens das Gericht mit der Verpflichtung des Bundes, nicht nach dem „Grundsatz divide et impera“ einige Länder zu bevorteilen, andere zu benachteiligen.

2. Zweifellos, im Streitpunkt Überwindung der Haushaltsnotlage hat das Land Bremen einen, jedoch nicht nur problemlosen Erfolg zu verzeichen. Zur Höhe des Notopfers und zur Art der Abwicklung gibt das Gericht keine Regelungen vor. Zwar wird im Rahmen einer Vergleichsrechnung gegenüber Schleswig-Holstein eine Gesamtlast der Haushaltssanierung von 8,5 Mrd. DM für Bremen genannt. Schön wäre es, wenn diese Summe zur Halbierung des Schuldenbergs verfügbar gemacht würde. Dieser Befreiungsschlag ist nicht zu erwarten. Letztlich hängt das Ergebnis vom Willen der Beteiligten und der Verhandlungsmacht Bremens ab. Es kann auch sein, daß Investitionshilfen gegeben und Forschungseinrichtungen in Bremen über den Bund gestärkt werden. Der Stadtstaat Bremen wird auf der Basis dieses Notopfers durch die zahlenden Länder und den Bund genau beäugt werden. Die Grundlage bildet ein Sanierungsprogramm. Ein Hauch der Mitwirkung eines idellen Gesamt-Staatskommissars bei der bremischen Haushaltspolitik ist nicht wegzureden. Er wird um so spürbarer, je stärker der Einsparungsimperativ die Köpfe der Haushälter ergreifen wird. (...)

4. Die finanzpolitische Zukunft Bremens hängt maßgeblich von der Einwohnerwertung ab. Das hat der Senat zu recht immer wieder begründet. Diese Veredelung gilt dem Ziel, einem/r EinwohnerIn in Bremen ein höheres Steueraufkommen gegenüber dem Bundesdurchschnitt zuzugestehen. Damit soll die Finanzkraft einer Großstadt mit Hauptstadtfunktionen im Flächenland erreicht werden. Das Land Bremen hat eine Erhöhung der derzeitigen Einwohnerwertung von 135% auf 163% gefordert. In einem Forschungsprojekt kam ich, mit Axel Troost und Bernhard Roth zusammen, in einem komplizierten Großstadtvergleich zu einer ähnlichen Forderung, mit der erst etwa die Finanzkraft Stuttgarts oder Münchens erreicht würde. Das Bundesverfassungsgericht hat dieser gut begründeten Erhöhung eine klare Absage erteilt. Gefordert werden zwar „verläßliche und objektive Indikatoren“, um der „strukturellen Eigenart der Stadtstaaten“ gerecht zu werden. Das zur Festlegung des Gesetzgebers für 135% herangezogene IFO-Gutachten wird jedoch als objektive Grundlage anerkannt. Die im Gutachten unter bestimmten Voraussetzungen geltende Bandbreite von 127% - 140% findet sich im Urteil wieder. Selbst wenn die Finanzkraft der Gemeinden voll angerechnet würde, und sich die Bandbreite um 8 Prozentpunkte erhöhte, gäbe es keinen Grund, die derzeitigen Einwohnerwertung zu erhöhen. Übrigens, diese Bandbreite darf nicht als Aufforderung zu einer Anhebung durch den Gesetzgeber auf den oberen Wert - etwa von 148% bei voller kommunaler Finanzkraft - gedeutet werden. Durch diese Einfrierung der Einwohnerveredelung wird auch in den nächsten Jahren der Stadtstaat nicht mit der Finanzkraft von Großstädten in Flächenländern gleichgestellt. Die Hochschulausgaben Münchens etwa werden nicht die Meßlatte der finanziellen Absicherung der Hochschulen Bremens im Länderfinanzausgleich bilden.

5. Schließlich gibt es im Urteil auf S. 167 einen Hinweis, der im ersten Jubel unterzugehen drohte. Als für dessen Verbreitung gesorgt wurde, da hieß es, diese Formulierung stelle einen Kompromiß dar, um Einstimmigkeit beim Urteilsspruch zu erzielen. Aber zu recht wird die Frage gestellt, was eigentlich passiert, wenn die Töpfe Länderfinanzausgleich (4,04 Mrd. DM 1990) und Bundesergänzungszuweisungen (3,4 Mrd. DM 1991) zu groß werden. Würden die neuen Bundesländer nach den geltenden Regeln übernommen, dann müßte der Topf auf ca. 28 Mrd. DM hochspringen. Die Geberländer, etwa Baden-Württemberg, werden nicht bereit sein, über die derzeit ca. 2,5 Mrd. DM hinaus deutlich mehr aufzubringen. Die Ausgleichsidee zwischen armen und reichen Ländern stößt damit an ihre Grenzen. Das könnte auch bei den Ergänzungszuweisungen des Bundes nach Übernahme des gesamten Notopfers für Bremen passieren. Dann bleibt lt. Urteil die Möglichkeit, das „Bundesgebiet neu zu gliedern, um ... zu gewährleisten, daß die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.“

Bremen hat das Notopfer und den Ausgleich für die bisherige Benachteiligung vor der Neuregelung des Finanzausgleichs mit den neuen Ländern erstritten. Wenn alles gut geht, gibt es eine Verschnaufpause für Bremen. Das ist zweifellos ein Erfolg. Eine den Großstädten vergleichbare Finanzkraft, die dieses Land dringend braucht, wird verfassungsrechtlich nicht abgesichert und ist politisch nicht durchsetzbar. Die Gefahr einer Flucht in ein Neugliederung der Länder, der Verlust der Selbständigkeit des Stadtstaats, ist nicht gebannt.

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