: „Bulgarien den Bulgaren!“
Ex-Kommunisten nutzen antitürkische Stimmung aus/ Im Parlament geht ohne die Abgeordneten der türkischen Minderheit nichts/ Bulgariens Angst vor seinem großen Nachbarn ■ Aus Sofia Barbara Rogalska
Als sich im Januar dieses Jahres Präsident Zeliu Zelev erneut um seinen Posten bewarb, zeichneten ihm die Anhänger der ehemals Kommunistischen, jetzt Sozialistischen Partei auf seine Wahlplakate ein Türkenkäppi; auf seinen Wahlveranstaltungen erschollen Rufe wie „Zelev ist ein Verräter“ oder „Zelev — Geisel der Türken“. Sie verdächtigten Präsident Zelev, der sich um gute Beziehungen mit allen Nachbarn — also auch mit der Türkei — bemühte, er wolle Bulgarien erneut der Türkei ausliefern oder das Land zumindest von seinem Nachbarn politisch und wirtschaftlich abhängig machen.
Nach den Wahlen ging die nationalistische Welle zurück — um so mehr, als Bulgarien sich zur Aufnahme in den Europarat vorbereitete. Und Bedingung dafür war die Unterzeichnung der Konvention über die Einhaltung der Menschenrechte, die den nationalen Minderheiten weitgehende Rechte garantiert. Die Bulgaren erwiesen sich als durchaus fähig, in staatspolitisch wichtigen Momenten ihre inneren Streitereien hintanzustellen und im Namen höherer Ziele nationalistische Tendenzen zu besänftigen.
Anfang Mai wurde Bulgarien in den Europarat aufgenommen. Aber der Nationalismus blieb, und am liebsten nutzt ihn die Bulgarische Sozialistische Partei, um ihre Position zu stärken. Die derzeit größte postkommunistische Partei Europas zählt über 400.000 Mitglieder, in einem Land mit weniger als 9 Millionen Einwohnern. Sie regiert zwar nicht mehr, hat aber die Oktoberwahlen nur sehr knapp verloren. Die regierende „Union der Demokratischen Kräfte“ verfügt nur über sechs Parlamentsmandate mehr. Um ein Gesetz zu verabschieden, braucht jede Partei die Unterstützung der dritten Kraft, der 23 Abgeordneten der „Bewegung für Rechte und Freiheiten“, die die rund eine Million Personen zählende türkische Minderheit repräsentiert.
Zünglein an der Waage
Nach Ansicht vieler Sozialisten regieren die Türken daher Bulgarien. Die 23 Abgeordneten der „Bewegung“ können jeden Beschluß blockieren und jede Regierung stürzen oder ihr Bedingungen diktieren — ein Bild der „Bewegung“, das die Mehrheit der Bevölkerung teilt. Die Sozialisten sind indessen der Ansicht, die „Bewegung“ habe überhaupt kein Existenzrecht, da die bulgarische Verfassung Parteien auf ethnischer oder religiöser Grundlage verbietet. Ein entsprechender Antrag auf Prüfung der Legalität, eingebracht von den Sozialisten, ließ der Verfassungsgerichtshof ohne das erwartete Verdikt: Ebenso viele Richter hielten die „Bewegung“ für illegal wie für legal — Patt.
Nach Ansicht des 43jährigen Chefs der Sozialisten, Zan Videnov, wird die „Bewegung“ so oder so politisch nicht überleben, denn ihre Aktivitäten stünden im Gegensatz zu ihren Wählern. So unterstützte sie im Parlament das Gesetz über die Reprivatisierung von Grund und Boden — die Türken allerdings, die heute in der Landwirtschaft arbeiten, waren nie die Eigentümer ihres Bodens. Bei der Auflösung der Kolchosen verlieren sie ihre Arbeit, Grund und Boden erhalten sie aber dennoch nicht. Und die „Bewegung“ hat auch für die Erhöhung des Rentenalters im Bergbau gestimmt, obwohl sie bisher von vielen Bergarbeitern unterstützt wurde.
So hofft Sozialistenchef Videnov, die Wahlklientel der „Bewegung“ übernehmen zu können. Die Sozialisten waren nämlich gegen die Reprivatisierung und gegen die Erhöhung des Rentenalters. Und wenn es nach den Sozialisten gegangen wäre, wären die Vertreter der Türken auch gar nicht erst ins Parlament gekommen.
Zwar sind sie nie offiziell gegen türkischsprachigen Unterricht in den von Türken bewohnten Gebieten aufgetreten; doch unterderhand gaben sie stets den Nationalisten recht, die „Bulgarien den Bulgaren!“ riefen. Und das hat die Sozialistische Partei in der Tat mit den meisten Bulgaren gemeinsam, die auch nicht offen nationalistisch sind, aber die Türken am liebsten haben, wenn sie in der Türkei sind. Die 500jährige türkische Unterdrückung Bulgariens hat auch heute noch ihre Spuren im Bewußtsein der Bulgaren hinterlassen. Selbst von Leuten mit westeuropäischer Ausbildung hört man häufig: „Sollen diese Türken doch in Bulgarien bleiben — aber warum soll der Staat ihnen noch Türkisch-Unterricht bezahlen?“
Zan Videnov ist der Ansicht, die Bulgaren seien von allen Balkanvölkern ohnehin die am wenigsten nationalistischen; derartige Tendenzen seien eine Sache der Vergangenheit, als Tedor Zivkov die Zwangsassimilierung der bulgarischen Türken anordnete, von zwangsweisen Namensänderungen bis zur Vertreibung von rund 300.000 Türken kurz vor Zivkovs Abgang 1989. Nur ganz wenige bulgarische Intellektuelle haben damals dagegen protestiert. Die Mehrheit war eher einverstanden.
Der Feind heißt Türkei
Heute wolle die Bulgarische Sozialistische Partei nur darauf achten, daß Bulgarien seine Identität behalte, erklärt Videnov. Die Bulgaren hätten vor allem vor zwei Dingen Angst: einer Aufteilung ihres Landes und der Abhängigkeit von einem ihrer Nachbarn. Natürlich ist damit die Türkei gemeint. Deshalb ist Bulgarien auch sehr zurückhaltend, was die Pläne des türkischen Präsidenten Turgut Özal angeht, der in der Region eine Schwarzmeer-Freihandelszone errichten möchte. Und auf dieser Ebene treffen sich alle, von radikalen Antikommunisten bis zu Videnovs Ex-Kommunisten. Der Feind heißt Türkei. Jeder Politiker, der in Bulgarien auf antitürkische Sentiments setzt, kann mit Unterstützung rechnen. Nur daß die Sozialisten das gerne offen tun, während andere sich darauf beschränken, antitürkische Propaganda unterderhand zu verbreiten, wohl wissend, daß solche Töne in Europa, zu dem Bulgarien so gerne gezählt werden möchte, nicht gerne gehört werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen