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Die Amphibienfilme des R.W.F.

Zum 10. Todestag: Werkschau Rainer Werner Fassbinder im deutschen Fernsehen  ■ Von Mariam Niroumand

Aus der unendlichen Trostlosigkeit, in der Papas Kino seit der Ära Adenauer mit Schulmädchenreporten, Lümmel-, Pauker- und Lassiefilmen vor sich hin dümpelte, wurde das schlummernde deutsche Publikum nicht zuletzt von einigen wagemutigen Gesellen beim Fernsehen wachgeküßt. Auf der Suche nach dem „amphibischen Film“, der sich für öffentliches Kinovergnügen und Privatglotze gleichermaßen eignete, schlossen WDR und ZDF mit der Filmindustrie Kooperationsverträge, ohne die der Neue Deutsche Film, der Autorenfilm, völlig undenkbar gewesen wäre.

Daß die Filme dann, auch von der deutschen Filmkritik, nur als Kinofilme gefeiert und der Anteil des Fernsehens an ihrem Zustandekommen so gern verschwiegen wurde, (Fernsehen roch nach „Warenhaus“) das rächt sich jetzt in einem vergleichsweise aseptischen Programm, in dem ein Alexander Kluge höchstens noch eine Nische bewohnt.

Die Rainer-Werner-Fassbinder- Werkschau, die seit April auf verschiedenen dritten Programmen und nun auch auf Einsplus läuft, ist insofern auch eine Reminiszenz an alte, kühnere und spannendere Fernsehzeiten. Für keinen anderen deutschen Filmemacher war die Zusammenarbeit mit dem (Ko-) Produzenten Fernsehen so fruchtbar wie für Fassbinder. Sie ermöglichte ihm das Spiel mit Genres und Medien: in den Bavaria-Studios mit den Geldern vom WDR konnte er seine „Hollywood“-Filme machen (Die Ehe der Maria Braun, Lilli Marleen), Theaterinszenierungen, (Das Kaffeehaus, zu sehen am 11.6. in Einsplus) oder Bremer Freiheit oder auch den wahnwitzigen, weniger bekannten Kostümfilm Die Niklashagener Fahrt (18.6., Einsplus), in dem ein Laienprediger zwischen Mittelalter und flower power (Michael König mit jugendlich wallendem Haar neben der Schygulla mit dümmlicher Engelsmiene), der zwischen Müllhalden und Campingplätzen hin- und hergejagt wird, versucht, die Bürger, Bauern und Bettelsleut zur Revolution anzustacheln. Der Film bezieht seinen ungeheuren Düsenantrieb aus Godard's Weekend und Schroeters schrillem Eika Kappata, und beschreibt, wie auch Die Dritte Generation oder Fassbinders Beitrag zu Deutschland im Herbst, die Schlagseiten revolutionärer Arbeit.

Wiederum von Godard beeinflußt ist seine Science-fiction-Serie Welt am Draht (16.7./23.7., Einsplus), in dem einige Besessene am Computer-Projekt Simulacrom arbeiten — lange vor Baudrillard hat Fassbinder Angst vor der kompletten Verkünstlichung der Verhältnisse gehabt, nicht ohne sie seinerseits eifrig mitzubetreiben (in Querelle ist die ganze Welt ein plüschiger Garten aus Schwänzen und Eiern).

Den Auftakt der Werkschau macht Faustrecht der Freiheit (heute um 23.05 Uhr in der ARD), eine Art Pygmalion im Schwulenmilieu, in dem Fassbinder selbst den zwischen proletenhaftigem Machismo und neudeutscher Larmoyanz hin- und heroszillierenden Franz Biberkopf, genannt FOX, gibt, der von seinem großbürgerlichen Gegenspieler in die Welt der besseren Leute eingeführt wird: „Ich werd' einen Sprachkurs belegen, daß ich mit dir essen gehen kann.“ (Sehr lustig anzusehen ist vor allem old Schmalzlocke Karlheinz Böhm im Moorbad als schwuler Genießer jugendlicher Körper).

Diese Art von education sentimentale zieht sich durch die Fassbinder-Filme und durch die Entwicklung der Schauspieler, die mit ihm gearbeitet haben. Nirgends aber ist sie so brutal wie in Martha (6.8. Einsplus), der Geschichte einer Bibliothekarin, die von ihrem Mann bei lebendigem Leibe zur Puppe gemacht wird, bis sie schließlich im Rollstuhl endet. Höhepunkt der Werkschau ist die fünfteilige Serie Acht Stunden sind kein Tag (ab 22.10. in Einsplus), Fassbinders Beitrag in Sachen Arbeiterfilm (neben Mutter Küster und Angst essen Seele auf), der sich von Vorläufern wie Rote Fahnen sieht man besser vor allem durch sein Mehr an Familienserie und Weniger an Didaktik unterscheidet.

Es geht um real stuff: Leute machen Ausbildungen, verloben sich, lernen eine neue Fräsmaschine kennen, hauen sich das Familienservice um die Ohren, tratschen, kämpfen um eine Leistungszulage, sterben vor Kummer und küssen sich nach zwanzigjähriger Ehe, als sähen sie sich zum ersten Mal. Nur übertroffen von Berlin Alexanderplatz, der schon seit einigen Wochen in den Dritten läuft, zeigt Acht Stunden, welches ungeheure Potential in Serien stecken kann. Anderer Leute Filme setzen im Lauf der Zeit eine gewisse Patina an, die sie zu Klassikern macht. Fassbinders Filme erreichen einen auch noch in Momenten, in denen man sonst nichts mehr sehen und hören will. So was wird kein „Klassiker“.

In Bayern3 läuft heute die Lilli Marleen um 21.20 Uhr, Hessen3 zeigt die Sehnsucht der Veronika Voss um 22.15 Uhr, der ORB zeigt im Dritten Bremer Freiheit . Das ZDF bringt Händler der vier Jahreszeiten (16.6.), Katzelmacher (17.6.), Die bitteren Tränen der Petra von Kant (25.6.) und Angst essen Seele auf (19.7.)

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