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In Sorge um die Kunstmitte der Stadt

■ Soho in der Auguststraße: Vor den Bauspekulanten sind die Kuratoren und Kuratorinnen der Kunst gekommen. Sie haben 37 Räume besetzt — mit Kunst, mit Künstlern und mit sich selber

Juni in Kassel, documenta IX, der Fremdenverkehrsbetrieb ist auf Hochtouren, und weil sich das Ganze als Kunstereignis von internationalem Rang behauptet, wird auch anderswo in der Republik der Kunstbetrieb in Bewegung versetzt. In Berlin wurden bereits Ankündigungen für ein »offizielles Begleitprogramm zur documenta« (sic!) gesichtet. Zumindest orthographisch unverfänglicher ist die Namensgebung »Juni in Berlin«. Zentrales der so benannten Ereignisse ist eine am 14. Juni beginnende achttägige Kunst-Schau: 37 Räume. Ausgangspunkt war die Einladung des Vereins »Kunst-Werke« an 17 Ausstellungsmacher (beiderlei Geschlechts), die wiederum je eine weitere Kollegin einladen durften. Zufällig kamen noch drei dazu — macht insgesamt 23 berufene Kuratorinnen und 18 Kuratoren, deren Vormundschaft, Sorge und Pflege — je nach dem lexikalischen Sinn des Wortes— eine entsprechende Zahl von Räumen anvertraut wurde.

Nach wochenlangen Diskussionen aller Beteiligten hat man sich darauf geeinigt, daß der Zeitpunkt pragmatisch zu begründen sei. Wenn weltweites Kunstinteresse in Kassel sich vereint, wird sich vielleicht die eine oder der andere auch nach Berlin verirren. Unentschiedener blieb die Werbung für die örtlichen Gegebenheiten. Man machte sich den Umstand zunutze, daß die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte in dieser schon seit DDR-Zeiten dem Verfall preisgegebenen Gegend reichlich über leerstehende Räume verfügt. Die Verbreitung des wohlriechenden Optimismus, daß mit diesem Kunstereignis ein weiterer Schritt nach Soho an der Auguststraße getan ist, kann wohl am wenigsten den unangenehmen Geruch an der Sache vertreiben, daß man sich in einem zum Kadaver erklärten Viertel eingenistet hat.

Andererseits ist das Sorgerecht für die Räume nur ein großzügig gewährtes. Den jetzigen Kuratoren obliegt es nicht zu entscheiden, was nachfolgende Spekulanten tun oder lassen. Und frei nach Vespasian, dem Erfinder der Kloakensteuer, könnte es auch hier heißen: Gelegenheit stinkt nicht.

Programm und nicht nur Zufall von Zeit und Ort ist es, Kuratoren statt Künstler zu laden. Den Begriff »Kurator« aufzupolieren, dessen lateinische Herkunft wie altes Silber einiges hermacht, liegt im Trend. Künstlerische Praxis und Theorie der Kunst haben sich nicht erst seit gestern der Frage der Vermittlung zugewandt.

Anspruchsvoll im Klang und doch Bescheidenheit bedeutend, läßt die Präsentation alles offen. Wenn der für die Idee verantwortlich Zeichnende die Ausstellung damit anpreist, daß jeder in Ruhe — an drei, vier Tagen — sich ergehen und sehen könne, was Berlin an innovativen Kräften zur Organisation der zukünftigen Kunstlandschaft zu bieten habe, dann fragt sich, für welche Müßiggänger ausgestellt wird. Ist die Eröffnung der Schau mit einem Fußballspiel zwischen Kuratoren und Künstlern symbolisch zu verstehen? — Ein Heimspiel für beide Mannschaften. Im übrigen wird, mit Rücksicht auf die Konstitution der Spieler, jede Spielhälfte nur zwanzig Minuten dauern.

Gerechter wird es sein, sich anzusehen, was Kuratoren und Künstler in der Sache beizutragen haben. Die vorliegenden Konzepte fallen extrem verschieden aus: Zwischen einer Aktion unter dem Motto »Raumpflege statt Kunst«, als produktive Verweigerung der Beteiligung am Betrieb, und einem Koordinationsbüro für den Austausch zwischen Kuratoren aus Ost und West, ist so ziemlich alles möglich: von der Selbstinszenierung des Kurators, an der zu entscheiden ist, ob die Eigendynamik der Vermittlung den Künstler überflüssig macht oder der Kurator zum Kunstproduzenten avanciert, bis zu sorgfältigen Präsentationen von KünstlerInnen.

Die Konzepte zeigen, daß nur ein Teil der geladenen Frauen und Männer in der Lage ist, die »Cura« als ein tragendes Thema der Ausstellung aufzugreifen. Eine paralysierende Wirkung hat obendrein die Gleichzeitigkeit mit der documenta und das nicht durchschaute Kräftefeld von Interessen auf dem Immobilienmarkt. Die daraus sich ergebende Vielfalt kann nur noch das Urteil der Betrachter vor der Beliebigkeit retten. Steht zu hoffen, daß die nicht überfordert sind. Ullmann-M. Hakert

Fußballspiel: So, 14.6., 14 Uhr, Sportplatz Auguststraße 64/67; Ausstellung 15.-21.6., 15-19 Uhr; ein Plan zur Orientierung ist bei Kunst-Werke, Augustraße 69, zu haben.

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