: Der Meister der Wellentaktik
■ Das Abwahlgesuch des Polizeichefs stellt Leistung und Person des Innensenators Dieter Heckelmann in Frage/ Der CDU-Poliiker zeigt wenig Souveränität im Umgang mit der Öffentlichkeit/ Engagement im Kampf gegen die Hütchenspieler
Selbst in den eigenen Reihen war man seinerzeit überrascht: Als während der zähen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD im Januar 1991 der noch amtierende FU-Präsident Dieter Heckelmann für das Schlüsselressort des Innensenators vorgeschlagen wurde, erweckte dieser Vorstoß des designierten Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen in der CDU nicht nur eitel Freude. Was den 54jährigen Jura-Professor, der noch dazu nicht einmal Parteimitglied war, für dieses schwierige Amt auszeichnete, war auch so manchem Christdemokraten schleierhaft. Der kleinere Koalitionspartner mußte auch diese Kröte zähneknirschend schlucken, nachdem die CDU ihm schon während der Verhandlungen das Innenressort abgetrotzt hatte.
Die Quittung folgte prompt: Bei der Wahl des neuen Senats am 24. Januar 1991 bekam Heckelmann das weitaus schlechteste Ergebnis aller fünfzehn Senatoren. Von den insgesamt 177 Parlamentariern der Großen Koalition gaben ihm lediglich 146 ihre Stimme. Die Stellung des Herrn über die zentralen Felder Innere Sicherheit und Stellenplanung in der wiedervereinten Stadt war von Anfang an schwach, Heckelmann als Person wie als Amtsinhaber innerhalb und außerhalb des Senats höchst umstritten. Als »gravierendste Fehlentscheidung« bezeichnete FDP- Chefin Carola von Braun damals die Wahl Heckelmanns.
An dem langjährigen FU-Präsidenten klebte die von ihm initiierte Skandalgeschichte gegen seinen Vorgänger, den linksliberalen und allseits respektierten Germanisten Eberhard Lämmert (siehe taz vom Freitag, 12.6.). Seine zweifelhafte Qualifikation für das Amt des Innensenators hatte er schon im Wintersemester 1988/89 unter Beweis gestellt, als er während des Uni-Streiks Sondereinsatztruppen der berüchtigten EblT auf den Campus holen ließ. Bei dem Einsatz wurden mehrere Personen verletzt. Und seiner Berufung zum Innensenator haftete nicht zuletzt der Ruch der Seilschaft an, denn es war klar, daß Heckelmann bei den im gleichen Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen an der FU nicht zum dritten Mal kandidieren würde und auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld war. Bereits im November 1990, noch vor den Abgeordnetenhauswahlen am 2. Dezember, wurde der Jurist als Wissenschaftssenator im möglichen Kabinett seines alten Freundes Diepgen gehandelt.
Wer allerdinsg erwartet hatte, daß der als autoritär verschrieene ehemalige FU-Präsident auch als Innensenator mit dem gleichen Habitus an die Öffentlichkeit treten würde, sah sich getäuscht. Am Tag seiner Wahl zum Senator mußte der ansonsten um Sprechblasen nie verlegene Heckelmann im Foyer des Abgeordnetenhauses förmlich vor die Fernsehkameras gezerrt werden. Und auch als die Autorin und eine Kollegin einen Monat später zum Antritts-Interview beim Herrn Senator mit einem Fotografen erschienen, wollte er das Interview daraufhin zunächst ausfallen lassen. Während er spreche, lasse er sich nicht fotografieren, so die lakonische Begründung, er sei in dieser Hinsicht »ein gebranntes Kind« - was immer damit gemeint gewesen sein mag. Mit sichtlich verkrampften Gesichtszügen eröffnete der Senator dann das Interview mit den Worten: »Wir machen das ganz entspannt, nicht wahr, meine Damen?« Schon im Vorfeld des Interviews hatte sich die entspannte Atmosphäre angedeutet: Heckelmann war nur zu einem taz-Interview bereit, wenn ihm in bester alter SED-Manier die Fragen vorher schriftlich vorgelegt würden. Erst nach heftigen Protesten wurde als maximaler Kompromiß ausgehandelt, sich an bestimmten, vorher abgesprochenen Fragenkomplexen entlang zu bewegen.
Bis heute gilt der Innensenator als Schreck jedes Fernsehteams, da er seine Unsicherheit nicht aufs Bild bannen lassen möchte und ständig Verschwörungen gegen sich wittert. Daß er am Tag nach der Rücktrittsankündigung seines Polizeipräsidenten, nach monatelanger Polizeikrise, es nicht für nötig befand, vor die Presse zu treten, spricht nicht dafür, daß er in seiner über einjährigen Amtszeit souveräner im Umgang mit der Öffentlichkeit geworden ist. Auch wer in seiner Behörde als JournalistIn Auskunft bei der Pressestelle haben möchte, hat es nicht leicht. Jedes Komma, das an die Öffentlichkeit geht, darf dieses nur nach Absprache mit dem Herrn Senator. Am Tag der Rücktrittsankündigung von Schertz war die Pressestelle abends um 18 Uhr noch nicht in der Lage, eine Stellungnahme zu dem Vorgang abzugeben.
Im Gegensatz zu dieser Akribie lassen die politischen Konzepte aus der Innenverwaltung indes auf sich warten. Das größte Verdienst des Senators liegt bislang darin, das immense, die Stadt in ihren Grundfesten bedrohende Problem der Hütchenspieler erkannt zu haben und mit aller gebotenen Intensität zu bekämpfen. Die steigende Straßenkriminalität versetzt Heckelmann beständig in Unruhe: Gerade deshalb »unternehmen wir alle Anstrengungen, um ein Bild zu präsentieren, das Berlin nicht als Kriminalitäts- und Schmuddelmetropole, sondern als wahre Hauptstadt Deutschlands ausweist«, sagte er in einem Interview.
Allein im Zeitraum zwischen dem 1. Februar und dem 15. August letzten Jahres ließ der rührige Senator nach eigenen Angaben 1.800 Personen überprüfen, und zwar überwiegend Jugoslawen. Dabei seien 86.000 Mark »Spielgeld« sichergestellt worden.
Immer wieder beglückt der Unermüdliche die Berliner Öffentlichkeit mit Erfolgsmeldungen von Großrazzien gegen Hütchenspieler: So etwa am 18. August letzten Jahres, als in einer »Wellentaktik« 238 Polizeibeamte mehrere Stunden im Einsatz waren, um ihren »bisher größten Erfolg im Kampf gegen die Hütchenspielerplage« zu erzielen. Sage und schreibe 29 Personen wurden dabei vorläufig festgenommen und 1.750 DM beschlagnahmt.
Bis heute hat der Eifer Heckelmanns nicht nachgelassen: Mitte Mai legte er eine Senatsvorlage auf den Tisch, derzufolge Hütchenspieler künftig bestraft werden sollen — und stieß damit auf energischen Widerspruch von Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD).
Auch in Senatssitzungen, so berichten andere Senatoren, ist dies das einzige Thema, wo Heckelmann geradezu Verve entwickelt. Bei den weitaus wichtigeren Themen wie Polizeiführung und Stellenplanung übe sich der Innensenator in Zurückhaltung. »Lediglich bei billigen parteipolitischen Lappalien ist plötzlich Engagement zu erkennen, vor allem, wenn es gegen SPD-Senatoren geht«, beklagt die mitregierende SPD. Selbst CDU-Senatoren geht mitunter der »wolkige Stil« Heckelmanns auf die Nerven. Sozialdemokraten werden hinter vorgehaltener Hand deutlicher: Der Innensenator sei absolut stromlinienförmig und passe sich der jeweiligen Mehrheitsmeinung an. »Eine Nullposition«.
Weniger zimperlich zeigt sich Heckelmann, wenn es um kritische Mitarbeiter seiner eigenen Verwaltung geht: Ende letzten Jahres ließ er Peter Neumann vom Dienst suspendieren, der als Stasi-Beauftragter an der Personalüberprüfung im öffentlichen Dienst beteiligt war. Nachdem Neumann seinem Dienstherren vorgeworfen hatte, »sich nie genügend« um dieses Problem gekümmert zu haben, war er seinen Job los. »Die Kritik entbehrt jeglicher Grundlage«, konterte Heckelmann und entließ Neumann unter dem Vorwand, dieser sei »entgegen ausdrücklicher Hinweise direkt an die Öffentlichkeit gegangen« und damit eine Illoyalität an den Tag gelegt, »die kein Arbeitgeber hinnehmen« könne.
Auch in der Ausländerpolitik greift der Innensenator hart durch. Selbst unter seinen Vorgängern aus der CDU habe die Ausländerbehörde nicht so rigide mit Abschiebungen hantiert, beklagen Anwälte und Flüchtlingsorganisationen. Der Professor, der als FU-Präsident emsig durch die Welt reiste und in Bolivien und Taiwan gelehrt hat, empfing im Frühjahr 1991 die nach Berlin reisenden polnischen Touristen mit Presseerklärungen zu ihren »unerträglichen Straftaten, Verschmutzungen und Belästigungen«.
Privat indessen gibt sich Heckelmann polyglott: Gegenüber einer Boulevard-Zeitung gab er als seine Lieblingsspeise chinesische Küche an, als Lieblingsurlaubsort die Toskana. Und Teng Hsiao Ping wolle er gern kennenlernen, verriet er weiter. Die Eigenschaft, die er am meisten verabscheut: Scheinheiligkeit, die, die er am meisten bewundert: Mut. Da verwundert es doch, daß sein Lieblingstier ausgerechnet das Schaf ist. Kordula Doerfler
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