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Akne Stracciatella

Über Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.]  ■ Von Michael Sonnabend

Als er noch durch die kleineren Konzertsäle im Revier tingelte, wurde Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] auf den Werbeplakaten als „singende Herrentorte aus dem Ruhrgebiet“ angekündigt. Abgebildet war ein dürres Männlein, eingezwängt in einen engen Polyester-Anzug aus den Siebzigern, in Hosen mit riesigem Schlag und Schuhen mit fünfzehn Zentimeter hohen Plateausohlen. Mittlerweile füllt dieses schlaksige Unikum aus Mülheim an der Ruhr, das sich auch gern als „schlechtester Entertainer der Welt“ bezeichnet, mühelos die großen Säle von Berlin bis München. Der Aufstieg des Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.], dessen Show und Lieder nichts anderes sind als das ins Groteske gesteigerte Abbild einer zunehmend verblödenden Gesellschaft, kommt nicht von ungefähr. Als Figur des öffentlichen Lebens, wo Flachköpfigkeit die Regel ist, kann man nur erfolgreich sein, wenn man selbst der größte Dummkopf ist; dort, wo das Absondern von Worthülsen die besten Posten zu ergattern hilft, wird man selbst der König, wenn man keine Peinlichkeit dieser Art ausläßt. Weil Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] dies begriffen hat, stellt er all jene in den Schatten, die sich auf deutschen Bühnen bemühen, spaßhaft zu enthüllen, witzig aufzuklären oder — schlimmer noch — den „Spiegel vorzuhalten“ nach Studienrats Art.

Das deutsche Kabarett ist langweilig, weil es bewußtlos an das bessere Bewußtsein der Menschen appelliert. Auf der Bühne tummeln sich überaus wortgewandte Menschen, deren, wie die Satirezeitschrift 'Titanic‘ ihnen bescheinigte, „Schwer- Besserwisser-Attitüde“ nur einen Erfolg zeitigt: daß man nie wieder ins Kabarett gehen mag. Die behäbige Umständlichkeit, mit der ein deutscher Kabarettist eine seiner nervtötenden sogenannten „Kunstfiguren“ bis zur Erkenntlichkeit überzeichnet, wird nur noch übertroffen von Eduard Zimmermanns Nepper, Schlepper, Bauernfänger, wo Tölpel-Ossis zur allgemeinen Warnung dazu verdammt sind, Hütchen-Spielern ihr Arbeitslosengeld zu übereignen. Der deutsche Kabarettist läßt immer durchblicken, daß er ja eigentlich alles viel besser weiß, bei Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] hat man diesen Eindruck nie. Seine Bühnenshow ist ein dichtes Konglomerat aus kurzen, manchmal nur eine Minute langen Liedern und irrwitzigen Geschichten aus dem Leben als solchem, dargebracht im Ruhrgebiets-Idiom mit all seinen Fallstricken und gemischt mit einer höchst seltsamen, von Zisch-Lauten durchsetzten Aussprachetechnik, die keinen Sinn macht, sondern einfach nur lustig ist. Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] beherrscht es meisterlich, die Inhaltslosigkeit seines Programms aufzublähen. Am bekanntesten ist wohl sein Benelux- Intro, jene nervenzerreißende Ansage — mal fünf, mal acht Minuten lang —, die darüber Auskunft gibt, in welchen Ländern das angekündigte Lied ein großer Erfolg ist. Munter purzeln dort Hauptstädte der Benelux-Staaten durcheinander, Landstriche werden kurzerhand verlegt, wieder und wieder werden dieselben Länder aufgezählt: Ohne Sinn und Verstand setzt Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] der Selbstüberschätzung ein Denkmal. Er versucht nicht, die selbstgefällige Überheblichkeit, die dem sogenannten Entertainment eigen ist, auf plumpe Art zu desavouieren. In der ihm eigenen Art, die an niemanden erinnert, verewigt er in unendlichem Wortschwall, durchsetzt mit allerlei Fäkal-Ausdrücken und derb-überzogenen Allerweltssprüchen, die Dummheit und Verlogenheit unserer showmasterseligen Fernsehabende.

Die Innerlichkeit, des deutschen Michel liebstes Steckenpferd, hat es Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] besonders angetan. Es gelingt wohl keinem außer ihm, das bedenkenschwere Öko-Geplapper unserer Zeit so nahtlos in das ihm ureigene Sprachkompendium zu übersetzen, das sich mit Vorliebe jener deutschen Wörter bedient, denen Ekel und Abscheu innewohnen. Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] kann zehn Minuten lang über die chemische Zusammensetzung von Lippenstift sinnieren und er arbeitet sich in dieser Zeit von „Geleehaufen“ über „Zylinderköpfe“ bis zum Brei „ungeborener Alligatorenweibchen“ vor. Er redet sich um Kopf und Kragen und verwirrt sich unaufhörlich im Urwald deutscher Sprachhülsen. Seine Geschichten kennen keine Chronologie, ihre Inhalte erinnern an S- Bahn-Gespräche, wie sie in Wanne- Eikel oder Oberhausen geführt werden. Nicht selten bricht er Sätze ab, weil er nicht weiter weiß, flüchtet sich ins Englische, das er noch weniger beherrscht und vollführt das Ganze mit einer Virtuosität und Schnelligkeit, daß man mit dem Lachen kaum noch nachkommt. Die irrwitzige Phantasie des Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] kennt keine Grenzen, wenn er über die Schwierigkeiten in der Pubertät lamentiert — „Mädchen bekommen Hauttaschen am Hals, die sich mit der Zeit mit Speck füllen“ — oder Hautunreinheiten — „Akne Fungi“ oder „Akne Stracciatella“ — anprangert. Ständig fällt er aus der Rolle des smarten Entertainers: Sein genialisch ins Deutsche gebachte Wonderful World von Louis Armstrong beendet er mit einer spontanen Widmung an Andrew Lloyd Webber, „der die ganze Welt mit seiner Scheiße besudelt“. Die Programmabfolge stockt allenthalben, sei es, weil Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] urpötzlich keine Lust mehr hat — „Ich kann nicht mehr... alle raus... sofort... I'm ill“ — und unter fadenscheinigem Krächzen den Ausfall seiner Stimme dokumentiert, sei es, weil ihm angeblich nichts mehr einfällt. Dann erzählt er peinliche Geschichten von zu Hause, seiner Tierliebe und seinem an schulischen Leistungen gescheiterten Jugendtraum, Arzt zu werden. Ungerührt beschreibt er dennoch durchgeführte Operationen an durchsichtigen Fischen aus seinem mit Aspik gefüllten 200.000-Liter-Aquarium, „weil man bei denen immer so gut sieht, wenn die krank sind“. Genauso ungerührt entläßt er dann das Publikum in die Pause mit der Bitte, die anwesenden Kinder im zweiten Teil nach draußen zu schicken, „weil dann sage ich Sack“.

Musikalisch begleitet wird Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] von seiner zweiköpfigen Band „Hardcore“: Buddy Casino, angeblich aus Las Vegas, an der Orgel und am Klavier und der vorgeblich 90 Jahre alte Peter Thoms am Schlagzeug, der während seines ganzen Konzerts als Prügelknabe herhalten muß und dessen „Altenstift“, so Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.], die gesamten Einnahmen des Abends zugute kommen. Casino und Thoms schaffen mit der Musik jene Atmosphäre, die den Abend zu einer Mischung aus Verkaufsveranstaltung und Schlagerwettbewerb werden lassen. Die kreischende Orgel und die Backgroundsinger-Versuche der beiden begleitet Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] auf einer Unzahl von Instrumenten, allesamt stümperhaft gespielt: vom gänsehauterzeugenden Schmuse-Saxophon-Sound nach Art der ARD- Nachtprogramme bis hin zum saitenzerfetzenden E-Gitarrero, Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] hat alle Stilrichtungen parat und zerstört sie zum Wohlgefallen des Publikums. Fünf Schallplatten hat Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] mittlerweile aufgenommen, darunter ein Konzertmitschnitt, eine reine Jazz-Platte und eine CD mit 18 Mini- Hörspielen, die zukunftsfroh mit Volume I untertitelt ist und in „Haym Hettners Kellerbar“ in den Jahren 1979 bis 1984 aufgenommen wurde.

Die Illusion des selbstherrlichen, nach außen hin wohltätigen Bühnenstars Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] wird während des Konzerts durch die Helfer hinter der Bühne perfekt gemacht: Ein ehemaliger Sowjet-Bürger aus der Republik „Krokant“ wird als Mikrofonhalter während einer Steppnummer mit Badelatschen mißbraucht und ein „Auszubildender“ hat unter fortwährender Verabreichung von Kopfnüssen durch Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.], die Schuhe des „Meisters“ auf der Bühne zu wechseln. Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.], seine Band und die Helfer ergeben zusammen — eingerahmt von Glitter und Glitzer — ein Jammerbild deutscher Bühnen- und Sangeskunst: unfähig, dumm und verloren. Und Helge Schneider [Oh, wir lieben ihn, d.S.] weiß: „Das, was ich mache, macht kein anderer.“

Tourneedaten: 19.6. Wilhelmshaven, 20.6. Celle, 28.6. Nürnberg, 17.7. Dieburg/Open Air, 18.7. Loreley/Open Air, 20./21.8. Kassel, 28./29.8. Bonn

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