: Trinkwasser für Transportkähne freigegeben
■ Der weitere Ausbau der Flußsysteme Spree und Havel birgt unkalkulierbare Risiken für das Trinkwasser/ Transporte auf dem Wasser sind ökologischer als zu Lande/ Bis zum Jahre 2010 Erhöhung der Mineralölmengen von 285.000 Tonnen auf 679.000
Berlin. Zu einem der folgenschwersten Unfälle auf Berliner Wasserstraßen wurde die Feuerwehr lediglich durch eine Polizeimeldung ohne genaue Angaben alarmiert. Am Nachmittag des 15. Juni 1969, einem schönen Ausflugssonntag, meldet die Polizei um 15.49 Uhr eine Schiffskollision. An einer nur 250 Meter breiten Stelle der Havel in Höhe der Sacrower Fähre hat das Hamburger Tankschiff »Poseidon« das mit rund 200 Personen besetzte Passagierschiff gleichen Namens mittschiffs gerammt und leck geschlagen. Bei dem Zusammenstoß wird das hart am Ufer fahrende Fahrgastschiff aus der Fahrrinne auf flachere Uferbereiche gedrückt. Es nimmt durch ein 60 Mal 40 Zentimeter großes Leck schnell Wasser auf, krängt nach Steuerbord und setzt bald auf Grund auf. Noch vor Eintreffen der Feuerwehr können Bootsschipper zum Glück einen großen Teil der Passagiere aufnehmen, 43 Verletzte müssen in Krankenhäuser transportiert werden. Das mit 570 Tonnen Heizöl beladene Tankschiff ist nur gering beschädigt, so daß keine zusätzliche Gefahr durch auslaufendes Heizöl entsteht.
Schlimme Unfälle wie der von 1969 sind auf Berlins Wasserwegen auch wegen der rückläufigen Gütertransporte die Ausnahme. Wenn die Wasserstraßen zur Hauptstadt wie geplant für große Schubschiffe ausgebaut werden, könnte sich dies jedoch ändern. Bis zum Jahre 2010 prognostiziert das BMV beispielsweise eine Erhöhung der aus Hamburg jährlich herantransportierten Mineralölmengen von heute 285.000 Tonnen auf 679.000 Tonnen. Schon die wachsende Zahl der Großfrachter werde die Wahrscheinlichkeit von schweren Schiffskollisionen und -havarien steigern, befürchtet der TU-Wasserökologe Professor Wilhelm Ripl. Damit aber sei das unkalkulierbare Risiko einer Verunreinigung der natürlichen Wasserstraßen gegeben, aus denen in Berlin und im Land Brandenburg gleichzeitig das Trinkwasser gewonnen wird: der Spree und der Havel. Für die Hauptstadt könne der weitere Ausbau deshalb »keine Lösung« sein, erklärte der Ökologieprofessor.
Gegenwärtig fördert Berlin über die Hälfte seines Trinkwassers aus dem Uferfiltrat von Spree und Havel. Das benachbarte Potsdam bezieht noch zu etwa einem knappen Fünftel sein Wasser aus dem Haveleinzugsgebiet. So sind auch die Wasserwerke beider Städte alles andere als begeistert über den vorgesehenen Ausbau der Havel in Berlin und Brandenburg. Doch sie werden nicht gefragt. Prinzipiell sei es »wünschenswert«, daß der Schiffsverkehr die Gewässerbereiche in unmitelbarer Nähe von Ufer-Tiefbrunnen meide, sagte der Sprecher der Berliner Wasser-Betriebe, Günther Rudolf. Ripl meldete insbesondere gegen den Transport von gefährlichen Gütern auf der Havel »enorme Bedenken« an. Grundsätzlich müsse man indes bei allen Frachten von »Risikotransporten« sprechen. Auch beim normalen Schiffsbetrieb könnten schließlich Ölrückstände die Ufer verschmutzen. Der Ökoprofessor: »Es ist völlig hahnebüchen, daß auf der Havel große Kähne entlangschippern. Im Notfall kann die Trinkwasserversorgung Berlins früher oder später nicht mehr gewährleistet werden.«
Ripl möchte die größeren Binnenschiffe aus Wasserschutzgründen auf die künstlich angelegten Kanäle verbannen. Mittels Schleusen seien diese Kanäle konsequent vom Flußsystem der Spree und Havel abzuschotten. Weil der Güterverkehr auf dem Wasser nun einmal umweltfreundlicher als zu Lande sei, ist dem Wasserökologen durchaus an leistungsfähigen Schiffsverbindungen nach Berlin gelegen. Zur Erschließung der Industriestandorte im Berliner Raum reicht nach Ripls Auffassung allerdings der Neubau einer Umfahrung etwa vom Elbe-Havel- zum Oder-Spree-Kanal mit einem Stichkanal zu einem Hafen am Rand der Stadt.
Die für das Wasserstraßenprojekt von Hannover nach Berlin zuständige Wasser- und Schiffahrtsdirektion Ost hat die Umweltrisiken eines expandierenden Güterverkehrs auf der Spree bislang offenbar völlig ausgeblendet. Um die Berliner Industriegebiete in die West-Ost-Wasserstraße einzubinden, sollen nach den Vorgaben des Bundesverkehrsministeriums der Westhafen, der Südhafen und zahlreiche private Umschlageinrichtungen im Norden des Stadtgebietes über die teilweise staugeregelte Havel und Spree mit ihren Schleusen und den Westhafenkanal vollwertig angeschlossen werden. Im Zeitraum bis zum Jahre 2002 will man die 280 Kilometer lange Wasserstraße Hannover-Berlin nach westeuropäischem Standard für moderne Motorgüterschiffe mit 110 Meter Länge und 185-Meter-Schubverbände flottmachen. Davon ausgenommen ist auch nicht der letzte Abschnitt vor Berlin, das 50 Kilometer lange Teilstück der unteren Havel.
An dem naturnahen Havelabschnitt zwischen Paretz und Brandenburg sind, wie der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) erfuhr, etwa vier Mäander- Durchstiche vorgesehen. Laut dem BUND müssen die Havel sowie die teilweise bereits seit der Jahrhundertwende vorhandenen Verbindungskanäle auf vier Meter vertieft und auf 48 beziehungsweise 60 Meter bei Kurven verbreitert werden. BUND-Urteil: »Ökologisch unverträglich, ökonomisch unrentabel.«
Mit häßlichen Stahlspundwänden wird den Plänen zufolge unter anderem der Sacrow-Paretzer Kanal bei Potsdam eingeschnürt, obwohl das Gewässer durch die Trinkwasserschutzzone II geht und mit das Wasserwerk Nedlitz speist. Folglich beurteilt die Potsdamer Wasserversorgung und Abwasserbehandlung GmbH (PWA) den Spundbau ausgesprochen negativ. Der für Potsdam verantwortliche PWA-Bereichsdirektor Karsten Zühlke äußerte die Sorge, »daß der Anteil des Uferfiltrats und damit das Dargebot des Trinkwassers stark zurückgeht«.
Verkehrsminister Krause läßt freilich sein Ministerium in einer Broschüre über das »Projekt 17« unverdrossen schönfärben: Das über Jahrzehnte gewachsene Landschaftsbild der unteren Havel bleibe »weitgehend unberührt«, heißt es dort. Im wesentlichen würden nur die Kanalstrecken verbreitert, »selbstverständlich schonend und umweltverträglich«. Nur »streckenweise« seien in den natürlichen Flußabschnitten der Havel Fahrrinnenvertiefungen vorgesehen. Dagegen nehmen die BUND-NaturschützerInnen an, daß sich der mit Millionenaufwand betriebene Schutz des Röhrichts an der Havel dann »vermutlich erübrigen« wird. Aufgrund des Wellenschlages der großen Frachtpötte sollten die empfindlichen Ufer nämlich mit Bruch- oder Rasengittersteinen gesichert und nach den Regeln der Wasserstraßenverwaltung von »hinderlichem« Bewuchs freigehalten werden.
Nach Fertigstellung des Wasserstraßenprojekts sind laut einer Übersicht der Schiffahrtsdirektion Ost sowohl das geplante Güterverkehrszentrum Wustermark als auch der West- und Osthafen für die Großschiffahrt erschlossen. Zu den Häfen soll im innerstädtischen Raum jeweils eine Nord- und eine Südwasserstraße führen. Der Planbeschreibung nach besteht die Trasse »Süd« aus Glienicker Lake, Teltowkanal, Britzer Zweigkanal sowie der Spree- Oder-Wasserstraße (Oberspree bis Osthafen — rund 38,5 km). Die Trasse »Nord« besteht aus unterer Havelwasserstraße (Seenstrecke, kanalisierte Havel), Spree-Oder- Wasserstraße (Unterspree), ferner dem Westhafenkanal bis Westhafen (rund 26 km). Zusätzlich will die Schiffahrtsdirektion 85-Meter-Pötten den Weg über die Stadtspree als Verbindung zwischen Ost- und Westhafen bahnen, was größte Probleme aufwirft. Vielfach denkmalgeschützte Brücken müßten wegen der lichten Durchfahrtshöhe von 4,50 Meter angehoben oder gänzlich neugebaut werden.
Die originalgetreue Rekonstruktion dieser Brücken sei »nicht überall möglich«, räumte Baudirektor Heinz-Josef Recker von der Ostberliner Schiffahrtsdirektion ein. Zum Beispiel müßten die Rampen der Weidendammer Brücke rechts und links an das gewünschte Höhenmaß angepaßt werden. Recker gab sich optimistisch: »Ich bin sicher, daß wir die Brückenhöhe a la longue bekommen werden. Wir bemühen uns, daß der Umbau einvernehmlich und ins Ambiente passend geregelt wird.« Vorstellungen, wie die mit dem Wasserstraßenausbau verbundenen mannigfaltigen Probleme wasserwirtschaftlicher Art gelöst werden sollen, wollen die Fachleute in Reckers Amt erst noch erarbeiten. Thomas Knauf
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