STANDBILD: Der lauwarme Stuhl
■ "espresso": Diestel allein unter Frauen, MDR, Mo., 20.15 Uhr
Ganz locker sitzt er da, grünes Jackett, darunter ein schwarzes Hemd, teure Uhr und breiter Ring, und insgeheim ist seine linke Hand zur Faust geballt. Flott sieht er aus und redet äußerst gewandt. Ein Ostler der besonderen Art, ein Mann mit Selbstbewußtsein.
Peter-Michael Diestel gehört zu den wenigen auffallenden Gestalten des Beitrittsgebiets, die den Sprung auf die bundesdeutsche Medienbühne geschafft haben. Als jungdynamischer Politiker ist er den einen bekannt, die Hausfrauenpresse schätzt mehr seinen männlichen Charme. Höchste Zeit also, daß er von drei Frauen ins Kreuzverhör genommen wird. Zumal er jetzt ohnehin dauernd durch die Medienlande tingelt, um für seine Sammlungsbewegung Ost zu werben.
Im zunächst lockeren Plauderauftakt bleibt er keine Antwort schuldig, dann steht der Rotwein bereit und die Sache wird ernst. Die elegante Moderatorin Molsen wirft ihm die Ostbälle zu, hinter ihr lauern West-Gewerkschafterin Engelen-Käfer und Bürgerrechtlerin Wollenberger.
Er will der neue Mann im Osten sein. Alle Ostler müssen zusammenhalten. Die Sammlungsbewegung Ost auch mit PDSlern und Reps? Wir wollen niemanden ausgrenzen, sagt der Populist eilfertig, wir mußten uns damals ja alle unseren Weg suchen. Ob er deswegen als Innenminister 1.500 Stasi-Leute in den öffentlichen Dienst übernommen habe? Stimmt alles nicht, das war nur die Stasi-Fälscherwerkstatt. Keine Blöße gibt sich der Mann, redet ruhig. Vera Wollenberger völlig neben der Wäsche, verstrickt sich in schwammige Anklagen. Die Gewerkschafterin beherrscht das Medienspiel schon besser, fragt nach Stolpe und Fink, wird damit aber allgemein abgewimmelt. Folgt ein langes Lamento über die Lage der Frauen im Osten, womit Diestel in seinem Element ist. Für Frauen hat er ein besonders großes Herz. »Stimmts, Stefanie?« lehnt er sich selbstgewiß zu seiner Gattin herüber. Allgemeine Rührung. Ein hübsches Lied über die Sehnsüchte der Ost-Frauen schmeichelt ihm noch mehr. »Ob angezogen oder als ein Nackter, der Diestel hat Charakter.«
Nun werden wir mal ganz persönlich. Und schon sitzt der Mensch Diestel vor uns, der Politik aus selbstlosen Motiven betreibt, den Leuten im Osten helfen, ihnen die Richtung weisen will. So einfach ist die Mediengestalt Diestel nicht zu fassen. Auf jede Frage eine prompte Antwort, das Kreuzverhör als harmonische Stichwortgabe. Die Selbstdarstellung ist ihm geglückt. Doch dazu ist das Fernsehen uns eigentlich zu schade. Der espresso war ein fader Café au lait. Olga O'Groschen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen