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Schicksal, das keins ist

■ Schlicht beliebig, schlicht schwul: Rainer Bielfeldts „Nachtzug“-Schlager

Ganz offiziell kommt jetzt zueinander, was zusammengehört: Schwule und Schlager. Die leichte Kost mit den sentimentalen Wahrheiten findet zurück zu den sensiblen Gemütern vom anderen Ufer. Rainer Bielfeldt heißt der Mann für das musikalische Bündnis. Der 28jährige Pianist und Komponist hat seine erste Solo-CD vorgelegt. Und ist damit rausgetreten aus dem Schatten der anderen, die er bislang musikalisch kompetent begleitete. Da war die Schlagersängerin Nana Gualdi, mit der er auf Kreuzfahrten unterwegs war. Und der schwule Kabarettist Monty Arnold, den er am Piano bei seinen Biestigkeiten unterstützte. Da war sein erstes Musical Kennwort Einsames Herz, das er im letzten Jahr mit großem Erfolg auf die Bretter des Stadttheaters in Wilhelmshaven hievte. Und da war der Durchbruch mit Tim Fischer, dem 18jährigen Leander- Double und Everybody's Darling der letzten schwulen Saison.

Jetzt will Bielfeldt mit dem Nachtzug, so der Titel seiner CD, es selbst wissen, ganz für sich allein. Und legt los mit dem Intercity, in dem es zum „Spontanfick“ kommt, wie ihn einst Erica Jong schon beschrieb, diesmal „kurz vor Osnabrück“: „Bis daß der Kontrolleur uns scheidet.“ Und dann singt er noch von Willi, der ersten Liebe unterm Dach, und dem Regen dazu, der seitdem untrennbar verbunden ist mit dem großen Gefühl.

Das kommt so deutlich schwul daher, meint nichts anderes als die Liebesdinge von Mann zu Mann. Und ist doch so schlicht beliebig dabei, daß jeder andere sich akustisch darin tummeln kann. Da werden es die schwulen Zuhörer schwer haben, daß ihr Schicksal diesmal so leicht daherkommt und eigentlich gar keins ist. Kam bislang die musikalische Identifikation für Gleichgeschlechtliche von starken Frauen oder hatte nur Bestand, wenn die arg gebeutelte Seele ordentlich diskriminiert war, so verwandelt Bielfeldt jetzt die Klage in ganz gewöhnliche Schlagerreime.

Aber auch die Heteros bekommen ihr Fett weg. „Hat die Putzfrau keine Lust und keine Zeit / Ist dein Arm lahm von der vielen Handarbeit / Warst du immer schon ein Freund der Dritten Welt / Kaufst du gern was Gutes ein für wenig Geld: / Kauf dir eine Frau.“ So infam der Rat, bleibt die Hinterhalt musikalisch auf dem Teppich eines Gassenhauers. Ganz wie bei der Sportschau, ein Stück über den ganz normalen Hetero-Terror: „Hugo Lehmann möchte fernsehn, auf dem Couchtisch steht das Bier / Heut' spielt Stuttgart gegen Hertha, gleich geht's los, schon fünf vor vier / Da erschient die Angetraute, holt die Vampyrette raus / Saugt mit süffisantem Lächeln kreuz und quer die Stube aus.“

Egal ob böse Satire oder schlichter Quatsch mit Herz, Bielfeldt kennt sich aus mit der Musik, bedient sich souverän bei allen Stilen, ganz wie es der Song verlangt. Da swingt es, dann wird's beinahe ein Couplet, dann wieder wie ein Chanson oder eben der Schlager, ganz rein.

So leicht sich alles anhört, so schwer wird es dennoch sein, mit eindeutig Schwulem oder dem bösen Blick auf die Hetero-Welt, die Sender zu erobern. Das legt dieserorts so schnell keiner auf. Da bleibt nur, die hörenswerte CD zu bestellen beim eigens dafür gegründeten Label. Elmar Kraushaar

Rainer Bielfeldt: Nachtzug , Bielfeldt-Records, Mahlhaus 4a, 2000 Hamburg 72.

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