piwik no script img

Körperfragen

■ Die Bad Boys der internationalen Tanz-Avantgarde in der Deutschen Oper

Wenn ein so scheußliches Gebäude wie das der Deutschen Oper auszuhalten ist und gar als weiteren Reiz eine Aufführung ergänzt, dann ist das ein Kunststück.

Drei Choreographen der Tanz- Avantgarde haben das Ballettensemble in die Extreme geführt: Michael Clark mit BOG 3.0, Stephen Petronio mit Laytext und Bill T. Jones mit der Öffnung. Das Resultat sind Bewegungsabläufe, die neben Präzision auch Ecken, Kanten, rauhe Flächen bieten — und Körper, die Fragen stellen. BOG 3.0 von Michael Clark geht umgehend in die volle Dynamik. Es zieht gleich hinein in die turns. Die Musik ist gewaltig (Bruce Gilbert), die Bewegungen der acht Tänzer wirken dagegen minutiös und präzise. Eine der Figuren, eingehüllt in eine Goldhaut, sticht heraus, ist außen vor. Eine separate Figur, vielleicht ein wunderschöner Todesengel. Das Bühnenbild, ein projiziertes 2XU, eine Mund-zu- Mund-Beatmung, ein BOG. — Bei Clark liegt die Finesse im Detail. Er benutzt die Normen des klassischen Balletts, verändert die Dynamik und zehrt das Pathos aus. Sein Pas de deux wird von Männern getanzt — sie wälzen sich auf der Erde. Er klärt die Verhältnisse subversiv. Seine Raumordnungen sind betörend einfach und superb akzentuiert.

Das Bühnenbild zu Stephen Petronios Laytext besteht aus Worten, Sätzen, Floskeln. Alles sprachliche Versatzstücke — lüsterne, überdeutliche Erotismen. ...suck me..., I feel hot... Wie eine Vertextung des Sex & Drug & Rock 'n' Roll — aber dem Grabgesang nahe. Die Töne sind kollagiert. Permanente Bewegung auf verschiedenen Raumebenen, multiple Abläufe über Reklametafeln à la Jenny Holzer, Dia-Schriftzüge und durch Vorhänge — dazwischen die tanzenden Körper. Alle sind hochgestiefelt, die Trikots den Tänzern auf den Leib geschneiderte Panzer. Separate Wesen auf der Bühne, deren Bewegungen schmerzen. Zwei der Tänzer mit einem sehr raffinierten Maß an entblößtem Hinterteil, böten sich als Objekt der Begierde an — wäre da nicht die Brutalität der sich so unendlich getrennt bewegenden Körper, ihre Leere. In Petronios Stück gibt es kein Entkommen. Er präsentiert den Ruf der Begierde und den Tanz der UnSINNlichkeit. Alles wirkt beängstigend hohl. Selbst ein Pas de deux wird zur befremdenden Handlung.

Bill T. Jones dagegen geht in die Groteske. Er schält in der Öffnung die Charaktere des deutschen Universums heraus: vom Fußballer bis zum Gründgens-Verschnitt, vom Schwimmeister bis zum jungen Alten Fritz. Die Frauen reihen sich als wandelnde Miederware oder bedeckte Feldlazarett-Schwester, als Primaballerina, Rotkäppchen, Perlon-Schickse oder Rokoko-Trampel nebeneinander. Dieses überdrehte Sammelsurium läßt Jones unablässig zu einem Soundtrack des Kanadiers John Oswald auf Spitze staksen. Seine Gruppenkonstellationen ähneln archaischen afrikanischen Tanzformationen: Kreise, Kreuze, Geraden. Jones ist Schwarzer. In seinem Deutschen-Bild werden die Figuren zu Figurinen, Männer zu Marionetten und Frauen zu unproportionierten Schrecklichkeiten. Nach diesem letzten Stück kann man dann wieder über sich selbst lachen. Fulminant sind alle drei. Barbara E. Dutz

Letzte Aufführung: 24.6., Deutsche Oper, Bismarckstraße

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen