piwik no script img

Is: 42. Looks: 25. Acts: 16.

■ Jonathan Richman trieb das Loft in den Wahnsinn

Als der Vorhang zur Seite rutschte, war alles, wie es sein mußte. Richman mit seinen dicken lockigen Haaren, im dunklen schlicht-einfarbigen T-Shirt und den blauen Jeans, die Halbakustische um den Hals, spielt ein Instrumental zur Einstimmung. Er schaut gewollt ernst ins Publikum, aber seine Gesichtszüge wollen nicht so wie er, die Mundwinkel rutschen ihm immer wieder nach oben.

Der nächste, der erste richtige Song ist dann natürlich I Love Hot Nights, eine dieser Hymnen, die zwei oder drei der wichtigsten Banalitäten des Alltags zum Thema hat. Der auf Platte auch schon nicht kurze Monologue about Bermuda wird zum ausufernden Ausflug in seine eigene Vergangenheit. Danach lösten sich die Modern Lovers angeblich auf, weil Richman bei einem Gastspiel auf den Bermudas dem Calypso verfiel und Punkrock mit Calypso- Einflüssen spielen wollte.

Diesmal beschränkt er sich auf die in die Songs eingebauten Selbstgespräche, überraschend kurze Ansagen, keine Witze zwischen den Songs, statt dessen herzzerreißende Tanzeinlagen, die nicht nur meiner Begleitung ein Glitzern in die Augen treiben. Er schwingt die Hüften, tanzt mit seiner Gitarre, schlägt den Rhythmus auf ihr, aber eigentlich ist es mehr ein liebevolles Tätscheln ihrer halbakustischen Rundungen. Er weiß, daß er das Publikum damit zum Wahnsinn treibt. Genauso wie mit dem schelmischen — man kann es nicht anders nennen — Lachen und den bis zum Haaransatz hochgezogenen Augenbrauen. Richman kann auch nur mit den Augen grinsen, daß man es noch in der letzten Reihe sieht. Der Mann ist 42, sieht aus wie 25 und benimmt sich wie 16.

Nie sah man vorher so viele Menschen im Loft glücklich lächeln. Selbst Menschen, die sonst an öffentlichen Orten wohlweislich keine Miene verziehen, gaben sich einem debilen Grinsen hin. Keiner konnte sich wehren gegen die schlichten Wahrheiten JoJos. Oder was kann man sagen, wenn jemand über Vincent van Gogh »He loved the colour, and he let it show« behauptet?

Doch tragischerweise und viel, viel zu schnell, ist alles zu Ende. Als er zur Zugabe auf die Bühne kommt, stellt er die Bedingung, daß nicht mehr geraucht werden darf. Und als alle seine Anweisung befolgen und sich auf eine weitere Stunde Amüsement eingestellt haben, kommt nur noch Closer in einer wunderschönen Herzschmerzwehundachversion, und Richman rollt sein Gitarrenkabel auf, und als er das Mikro mit hinter die Bühne nimmt, wissen alle, daß dies nun kein Scherz mehr ist.

Und zwei Dinge hab' ich gelernt: Nimm nie deine Freundin zu einem Jonathan-Richman-Konzert mit, wenn du sie behalten willst. Und rausziehbare Autokassettenrecorder sind Mist, weil man sie immer zu Hause vergißt und dann nach solchen Konzerten nicht mehr all die nicht gespielten Lieblingssongs hören kann. Thomas Winkler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen