: Ost-Bewegung: Das Gespenst ist schon tätig
■ Der CDU-Dissident Diestel und PDS-Chef Gysi stellen ihre Vorstellungen für eine „Sammlungsbewegung Ost“ vor
Berlin (taz) — Ostdeutsche Partei? Keinesfalls. Ostdeutsche Sammlungsbewegung? Vielleicht. Ein Runder Tisch für Deutschland? Das Kind, das der Brandenburger CDU-Politiker Peter-Michael Diestel gemeinsam mit dem PDS-Vorsitzenden Gregor Gysi in Kürze aus der Taufe heben will, hat noch keinen rechten Namen, es ist aber in aller Munde. Bei einer Diskussionsveranstaltung in Prenzlauer Berg in Berlin brachten die beiden Verfechter einer authentischen Vertretung ostdeutscher Interessen nun einen weiteren Begriff ins Gespräch: den der „qualifizierten Bürgerbewegung“.
Die kleine Galerie „Zunge“ quoll aus allen Nähten. Über hundert BesucherInnen aller Altersstufen wollten beim Kiezpalaver den Streit zwischen Gregor Gysi, Peter-Michael Diestel, dem Bischof Forck und dem Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann über Sinn oder Unsinn einer solchen Sammlungsbewegung verfolgen. Der Name der neuen Organisation steht zwar nicht fest, aber erstmals legten Gysi und Diestel offen, welche Aufgabe das von ihnen gewollte Gremium haben könnte. Es soll, so Gysi, ein Gremium sein, „das das Recht hat, im Sinne der Ostdeutschen auch einmal nein zu sagen.“ Folgt man dem PDS-Vorsitzenden, dann könnte die Initiative in einer „eigenen Körperschaft“ der Ostländer münden, in der keine Parteien, sondern nur Personen vertreten sind. Aufgabe wäre unter anderem, eine Nachbesserung des Einigungsvertrages zu erreichen. Am Beispiel des Deutschen Fernsehfunks und des Jugendradios DT64 hätte sich gezeigt, daß sich in den neuen Ländern eine klare Mehrheit gegen deren Abwicklung ausgesprochen habe, es aber „keine dauerhafte Struktur (gibt), die sich dafür einsetzt“. Diese Struktur wollen die Initiatoren der Bevölkerung allerdings nur vorschlagen. Sich selbst verstehen sie als „Ideengeber“. Ausdrücklich sprachen Diestel und Gysi von einem „Angebot“. Ihre Befugnisse und Kompetenzen müsse die neu geschaffene Bewegung selber erkämpfen.
Den Stand der Initiative beschrieb Diestel mit den Worten: „Wir stehen kurz davor.“ Die „Sache ist im Fluß.“ Mit Prominenten aus Ost und West, aus Gewerkschaften und Kirchen, von Politikern zu Schriftstellern würden Gespräche geführt, „mit der Absicht, einen Appell zu verfassen“. Dieser Appell, so ist aus dem Umfeld Gysis und Diestels zu vernehmen, soll nun Ende dieser oder Anfang nächster Woche veröffentlicht werden. Diestel betonte aber auch die „große Gefahr, daß alles zerredet wird“.
Wolfgang Ullmann, Abgeordneter von Bündnis 90/ Grüne in Bonn und Bürgerrechtler der ersten Stunde, konnte den Plänen für eine „Einspruchskommission“ nur wenig abgewinnen: „Man darf gründen, soviel man will — das Recht hat man in der Demokratie.“ Seine skeptische Frage an das Enfant terrible aus der CDU: „Können sie überhaupt sagen, was sie da wollen?“ Die von Gysi und Diestel beabsichtigte parteiübergreifende Zusammenarbeit in Sachfragen blieb für Wolfgang Ullmann auch am Ende der zweieinhalbstündigen Kontroverse nur eine Floskel. Er sehe nicht, wie mit der Gründung einer Sammlungsbewegung Abstimmungsniederlagen der ostdeutschen Parlamentarier im Bundestag verhindert werden könnten. Wenn Diestel es schon nicht schaffe, auf dem kurzen, parteiinternen Weg beim Kanzler Druck für die Interessen der Ostdeutschen zu machen, dann werde der Weg über die geplante Initiative nur länger, aber nicht zwangsläufig erfolgreicher.
Peter-Michael Diestel wollte, wie auch Gregor Gysi, dieser Kritik nicht folgen. Allein die Ankündigung, eine Sammlungsbewegung ins Leben zu rufen, hätte die Bonner Parteien zutiefst verunsichert. Diestel: „Das Gespenst ist schon am Wirken.“ Wolfgang Gast
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