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Die Kritiker des Siebenergipfels trafen sich im Schutz der Kirche

■ Trotz Raumnot und massiver Polizeipräsenz anläßlich der Großdemonstration ließen sich die TeilnehmerInnen des „Gegengipfels“ nicht aus dem Konzept bringen

Die kleine Frau mit hüftlangen schwarzen Zöpfen schaute entschlossen drein. Concepcion Quispe von der peruanischen Bauerngewerkschaft hatte den weiten Weg von Südamerika nach Bayern nicht gemacht, um sich von Rektoren, Richtern oder Polizisten einschüchtern zu lassen. Dabei bot sich ihr und den übrigen TeilnehmerInnen am Internationalen Kongreß gegen den Weltwirtschaftsgipfel, der am Wochenende in München stattfand, bei der Ankunft nicht gerade ein rosiges Bild: Die bayerische Justiz hatte die Uni als Tagungsort verboten — und sich damit der Meinung von Rektor Steinmann angeschlossen, der um die denkmalgeschützten Innenräume seiner Universität bangte.

Ab Freitag abend machte dann auch die Exekutive klar, daß politische Kontroversen in Bayern tabu sind. Verhindern konnten die annähernd 6.000 Sicherheitskräfte die Diskussion der Kritiker des Siebenergipfels aber nicht. Während sich am Freitag abend rund 3.000 KongreßteilnehmerInnen vor der Münchner Uni versammelten, bezogen Hundertschaften in der Umgebung Stellung. Die Diskutierwilligen überlegten sich kurzerhand, das Gebäude zu stürmen. Doch entschied sich die Mehrzahl der insgesamt etwa 60 ReferentInnen dagegen. Eingekesselt von Uniformen, zogen die GipfelgegnerInnen zur Lukaskirche im Stadteil Lehel, wo der Kongreß eröffnet wurde; im letzten Moment hatten die VeranstalterInnen für ihren Kongreß Räume der evangelischen Kirche bekommen.

Auch als sich dann am Samstag nachmittag rund 17.000 Menschen zur angemeldeten Großdemonstration gegen das G-7-Treffen einfanden, zu der rund 50 Friedensinitiativen, Umwelt- und kirchliche Gruppen aufgerufen hatten, waren die Uniformierten allgegenwärtig. Die Zufahrtswege wurden kontrolliert, nur wer strenge Leibesvisitationen über sich ergehen ließ, drang zur Auftaktkundgebung auf dem Mariannenplatz vor. Das seit Wackersdorf berüchtigte bayerische „Unabhängige Sonderkommando“ (USK) und der Bundesgrenzschutz versuchten immer wieder, einzelne angeblich vermummte DemonstrantInnen aus dem Zug zu holen. Obwohl nicht einmal ein Farbbeutel flog, wurden 52 Personen festgenommen.

Frauenforum: gegen staatliche Bevormundung

Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl (CSU) fand das Verhalten der Polizei „korrekt“. Der Bürgerrechtler Leo Gurwitz, Bruder des in den USA inhaftierten Indianer-Aktivisten Leonhard Peltier, der in eigener Sache zum Gegengipfel angereist war, war dagegen schockiert: „Auf keiner Demonstration habe ich eine solche Provokation der Polizei erlebt. Die G-7-VertreterInnen müssen schon etwas Schreckliches vorhaben, wenn sie mit Hilfe dieses inszenierten Sperrfeuers ablenken wollen.“ Für Uhl trat der Staat „nur so auf, wie es sich gehört: Der Staat hat keine Angst.“ Gurwitz: „Sie nennen uns Radikale, Terroristen gar. In Wirklichkeit fürchtet der Staat uns. Warum sonst gibt er Millionen aus, um uns auszugrenzen?“

Schon im Vorfeld hatten die bayerischen Sicherheitskräfte nahezu jedes Vorbereitungstreffen in München oder Nürnberg aufgelöst. Innenminister Edmund Stoiber (CSU) hatte alle Gruppen — Friedensinitiativen, Umweltgruppen, Asten und Autonome — in die Schublade „radikal und gewalttätig“ gesteckt und von der „größten Herausforderung der bayerischen Polizei seit den Olympischen Spielen 1972“ gesprochen. Münchner Kneipenbesitzer, die den GipfelgegnerInnen Räume zur Verfügung stellten, wurden unter Druck gesetzt. Zwei Tage vor Beginn des Gegenkongresses wurde ein Organisationszentrum durchsucht und sämtliche handschriftlichen Unterlagen beschlagnahmt. Die monatelange Kriminalisierung der TeilnehmerInnen gipfelte schließlich in der Entscheidung des Münchner Verwaltungsgerichts, die Universitätsräume nicht für den Gegenkongreß zur Verfügung zu stellen.

Vor diesem Hintergrund blieben die DiskutantInnen erstaunlich friedlich. Am Samstag morgen fanden die sieben verschiedenen Foren (500 Jahre Kolonialismus, Migration und Rassismus, Ökologie, Herrschaftssicherung und Rüstungspolitik, Osteuropa, Frauen und Weltwirtschaft) über ganz München verstreut in überwiegend viel zu kleinen Gemeindesälen statt. Trotz des improvisierten Charakters gab es lebhafte Diskussionen. Auf dem Forum „500 Jahre Kolonialismus“ referierten Concepcion Quispe und Leo Gurwitz zur Situation der UreinwohnerInnen in Nord- und Südamerika. Anläßlich der Begegnung „Weltwirtschaft“ übten der Münchner Wirtschaftsexperte Charles Pauli und Vertreter der US-amerikanischen Fair Trade Campaign scharfe Kritik an der bestehenden Weltwirtschaftsordnung: „Die heutige Konzentration von Kapital, Technologie und Marktwirtschaft ist einmalig in der Geschichte. Die beiden Reichtümer der dritten Welt — Naturressourcen und menschliche Arbeitskraft — verlieren unterdessen täglich an Wert.“

Kleine, aber feine Diskussionen gab es im „Frauenforum“. Hanna Jankowska (Polen) und Heather Dashner (Mexiko) machten die unterschiedlichen Entwicklungsstadien ihrer Länder in bezug auf Frauenrechte deutlich. Im katholischen Polen müssen Frauen heute um das Recht auf Verhütungsmittel und Abtreibung kämpfen. Südamerikanerinnen sind diese „Privilegien“ im Rahmen der vom Internationalen Währungsfonds (IWF) verordneten Bevölkerungspolitik schon länger zugänglich. „Unter uns wächst jetzt das Bewußtsein, daß das Recht, keine Kinder zu kriegen, nicht nur eine Befreiung für die Frauen bedeutet“, meinte Dashner. „Es bedeutet auch, daß der Staat uns über unsere Körper kontrollieren kann. Er will weniger Kinder, ohne die soziale Situation der Frauen zu verbessern.“

Ab Montag findet parallel zur G-7-Tagung in einem Kino am Karlsplatz die zweite Gegenveranstaltung statt: der von den Grünen und Jakob von Uexküll, Stifter des Alternativen Nobelpreises, getragene Alternativgipfel „The Other Economic summit“ (TOES). Dieser Gegenkongreß findet schon seit 1984 traditionell zeitgleich zum Weltwirtschaftstreffen statt. Henrike Thomsen, München

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