: Nerven verleihen keine Flügel
■ Die deutschen Hochspringer müssen bei den großen internationalen Wettkämpfen vor Barcelona derzeit mit Statistenrollen vorlieb nehmen/ Kubas Weltrekordler Javier Sotomayor auf Goldkurs
Stuttgart (taz) — Da standen sie nebeneinander auf dem Siegerpodest: ganz zuvorderst Javier Sotomayor, der kubanische Weltrekordler, dann Hollis Conway, der Olympiazweite von Seoul, daneben ein gewisser Carlo Thränhardt, und dahinter folgten so ziemlich alle, die in der Welt des internationalen Hochsprungs Titel und Höhen vorzuweisen haben. Ganz am anderen Ende der illustren Reihe, irgendwo bei den Statisten, fanden sich auch Ralf Sonn und Dietmar Mögenburg, die deutschen Olympiateilnehmer.
Nicht, daß sich die beiden deswegen zu schämen gebraucht hätten, das nicht, schließlich waren im württembergischen Eberstadt wirklich nur die Allerbesten am Start gewesen, aber gerade deshalb mag es halt manchem auch programmatisch vorgekommen sein, in Hinblick auf den olympischen Endkampf, der gerade noch knappe vier Wochen entfernt liegt. Anders gesagt: auch Horst Blattgerste, Direktor des Bundesausschusses für Leistung, der den Seinen beim Springen am Fuße idyllischer Weinberge zugeguckt hat, wird sich hüten, auf seiner eh immer schwindsüchtiger geratenden Liste mutmaßlicher Barcelona-Medaillen ein Kreuzchen bei Hochsprung, männlich zu machen.
Daß allerdings die, die sich letztlich die Plaketten um den Hals hängen dürfen, unter jenen zu suchen sind, die im selbsternannten Mekka des Hochsprungs an den Start gegangen waren (Ausnahme: der US-amerikanische Weltmeister Charles Austin), darüber ist man sich in Fachkreisen schnell einig. Und auch darüber, daß jene, die am güldensten blinkt, am Ende doch noch an jenen Springer gehen könnte, der seit Jahren dafür vorgesehen ist. Javier Sotomayor, der Kubaner, mußte vor vier Jahren boykottieren und war danach zwei Jahre verletzt. Im Sommer bei der WM in Tokio eigentlich auch, dennoch reichte es zu Silber. Inzwischen ist er knapp 25 und nähert sich mit körperlichem Wohlbefinden auch wieder altem Leistungsvermögen. Die 2,44 Meter, die seit 1989 Weltrekord bedeuten, sind allerdings derzeit selbst für ihn Vergangenheit.
Nicht nur für Dietmar Mögenburg ist der Kubaner heute klarer Barcelona-Favorit, daneben „wird Matei gut sein, Conway...“ Hollis Conway hat bei den Trials in New Orleans mit 2,35 Meter den Weltmeister Charles Austin abgehängt und hat das Branchensiegel, dann topfit zu sein, wenn's drauf ankommt. Selbiges gilt eigentlich auch und immer noch für Dietmar Mögenburg, aber sein letzter großer Freilufterfolg war der Olympiasieg von Los Angeles, und auch er war zwei Jahre hauptsächlich mit Knieproblemen beschäftigt, wollte fast schon aufhören, aber so sang- und klanglos auch wieder nicht. In München bei den Deutschen Meisterschaften boxte er mit alter Nervenstärke den Kollegen Thränhardt aus dem Aufgebot, doch nun weiß er nicht recht, ob das nicht schon sein letzter Zaubertrick war. Ob Mögenburg schon resigniert hat, läßt der natürlich nicht raus, will auf alle Fälle versuchen, sich jetzt im Trainingslager aufzubauen.
Selbiges plant auch Ralf Sonn, der Deutsche Meister, dessen Bestleistung auf 2,39 Meter steht, allerdings in der Halle erzielt, im Freien kam er nie höher als bei seinem Meistertitel in München (2,32 Meter). Das ist auch Hendrik Beyers Bestleistung. Der 19jährige neue Mann des Gewerbes wurde von seinem Trainer Gerd Osenberg am Start in Eberstadt gehindert, weil der ihn so kurz vor Olympia nicht dem Streß aussetzen wollte, gegen die Allerbesten anzutreten. Doch das wird in Barcelona nicht zu vermeiden sein, und die schwierigste Aufgabe, die es dort zu meistern gilt, so glaubt Dragan Tancic, der einst die jungen Thränhardt und Mögenburg in die Spitze führte, und jetzt die spanischen Hochspringer betreut, wird die Qualifikation sein. Etwa vierzig Springer wollen ins Finale, zwölf dürfen nur.
So werde man, schätzt Tancic, mindestens 2,28 Meter springen müssen. Dazu die Hitze und die schlechte Luft der katalonischen Metropolis, das laufe auf eine psychische Strapaze sondergleichen hinaus. Tancics Folgerung: „Diejenigen, die die Qualifikation überstehen und am nächsten Tag noch die Nerven haben, werden gewinnen.“
Was eine realistische Sicht der Dinge sein mag, die allerdings auch nicht gerade für die Deutschen spricht. Hochspringen können theoretisch sowohl Sonn als auch Beyer, „so am Ende 2,35“, traut ihnen Dietmar Mögenburg zu. Wie es mit den Nerven der beiden steht, ist eine andere Frage. Nerven wiederum hat Mögenburg selbst mehr als jeder andere. Nur tragen die allein ihn nicht über die Latte. Peter Unfried
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen