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Jeder will die Ost-Meiler privat "ertüchtigen"

■ Für die "Zeitbomben jenseits der Oder" bedarf es nach Aussage der Bundesregierung eines Sofortprogramms. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in München gab es am Dienstag für einen von deutscher...

Jeder will die Ost-Meiler privat „ertüchtigen“ Für die „Zeitbomben jenseits der Oder“ bedarf es nach Aussage der Bundesregierung eines Sofortprogramms. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in München gab es am Dienstag für einen von deutscher Seite favorisierten gemeinsamen Hilfsfonds jedoch keine Mehrheit.

Tschernobyl kann jederzeit wieder passieren. 15 Reaktoren des Tschernobyl-Typs RMBK stehen in den GUS- Staaten weiter unter Strom, dazu 42 Ostreaktoren der Typenreihe VVER, von denen 20 weitere noch im Bau sind. Jenseits der Oder „tickt eine Zeitbombe“, warnte auf dem Weltwirtschaftsgipfel Kanzler- Sprecher Dieter Vogel. Und Gipfelgastgeber Helmut Kohl machte Druck auf seine Kollegen aus den USA, Japan, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada: Sie sollten einen gemeinsamen Hilfsfonds ins Leben rufen, damit die Europäer ruhiger schlafen können.

Die Gruppe der sieben führenden Industrienationen (G-7) nahm sich des Kanzlers Eile zu Herzen und beriet bereits gestern, einen Tag eher als geplant, über das „Sofortprogramm zur Erhöhung der Sicherheit von Kernkraftwerken sowjetischer Bauart“. Mindestens 700 Millionen Dollar sollten dafür in den nächsten fünf Jahren ausgegeben werden. Die sieben „Sherpas“, Staatssekretäre, die jeweils im Regierungsauftrag den Gipfel vorbereitet haben, hatten sich schon im Vorfeld grundsätzlich auf das Reparaturprogramm verständigt.

Über diese grundsätzliche Einigung kamen die Regierungschefs allerdings in München nicht hinaus. Der von Kohl gewünschte Gemeinschaftsfonds kam gestern nicht zustande; statt dessen wollen die G-7- Staaten ihre Hilfsleistungen für die maroden Ostreaktoren lediglich enger abstimmen. Als Gremium dafür ist die Organisation für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) anvisiert. Bundesfinanzminister Theo Waigel hatte schon am Morgen einen Teilrückzug eingeläutet, als er vor der Presse die OECD als Programmträger ins Gespräch brachte.

Die USA schlugen im Gegensatz zum Kohlschen Sofortprogramm Patenschaften einzelner Länder für einzelne Atomkraftwerke vor und veranschlagten dafür zunächst 25 Millionen Dollar. In den nächsten fünf Jahren könnte dieser Betrag nach Aussagen eines Regierungsbeamten auf 100 Millionen Dollar erhöht werden. Während Japan noch zögert, hat Kanada 30 Millionen Dollar für die nächsten drei Jahre versprochen.

Die Regierungschefs faßten gestern zunächst nur den Grundsatzbeschluß, bilaterale Hilfe auf jeden Fall multilateral zu koordinieren, damit nicht ausgerechnet die gefährlichsten Reaktoren aus dem Hilfsprogramm herausfallen. Über die Höhe der Hilfe sei, so Regierungssprecher Vogel, nicht gesprochen worden. Diese sei aber als Zuschuß, nicht als Kredit gedacht.

Westgeld nur für Westfirmen

Die Hilfsleistungen erhöhen nur bedingt die Sicherheit der Ost- AKWs— auch die G-7-Staatsmänner waren sich einig, daß selbst die moderneren Sowjet-AKWs auch nach einer Nachrüstung keinesfalls westliche Sicherheitsstandards erreichen werden. Die Tschernobyl- Reaktoren und die älteren VVER- Reaktoren des Greifswald-Typs gelten ohnehin als „nicht nachrüstbar“. In den Diskussionen der Regierungschefs ging es gestern dennoch nicht um den Sinn von Nachrüstungen, sondern allein um die Finanzierung.

Die mit Westgeld bezahlten zweierlei Sicherheitsstandards für EG- AKWs und Ost-AKWs werden — neben dem Hinweis, daß es Atomkraftwerke ohne das berühmte Restrisiko auch im Westen nicht gibt — von Anti-Atom-Initiativen aus aller Welt als lebensgefährlich kritisiert. Das bundesdeutsche Anti-Atom-Forum, zu dem sich elf Umweltinitiativen und Verbände mit mehreren hunderttausend Mitgliedern zusammengeschlossen haben, stellt vor allem die amtlichen Sanierungsrechnungen in Frage. Nicht nur, daß die Nachrüstung viel zu lange dauert, kritisieren unter anderem der BUND, Greenpeace und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) in einem Memorandum zum Gipfel. Auch die Kosten würden völlig unterschätzt. Zum Forum gehören außerdem der Dachverband der deutschen Umweltschützer DNR, der Naturschutzbund, die Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW), Eltern für unbelastete Nahrung, die Mütter gegen Atomkraft, die Bürgerinitiativen Unrast und AG Schacht Konrad sowie das Netzwerk dezentrale Energienutzung.

Nach den Erfahrungen bei der Nachrüstung von westlichen Atomkraftwerken und den ursprünglichen Berechnungen für die später stillgelegten Reaktoren in Greifswald müsse man realistischerweise pro Reaktorblock mit einer Milliarde Mark rechnen. Demgegenüber rechneten die Regierungs-Sherpas mit 180 Millionen Mark pro Reaktorblock. Das entspricht etwa den Kosten für einen Satz westlicher Leittechnik. Der hohe Kapitalaufwand, heißt es in dem Memorandum weiter, verhindert „gerade durch diese Kapitalbindung an die Atomstrategie entscheidend das notwendige Umsteigen in eine ökologische Energiewirtschaft“.

Für das Nachrüstprogramm, das weitgehend Technologie von Westkonzernen finanzieren soll, müßten letztlich die westlichen SteuerzahlerInnen aufkommen. Indirekt sei daher Kohls Sofortprogramm vor allem eine Subvention für die westeuropäische Atomindustrie, die unter der Nichtdurchsetzbarkeit neuer Atomkraftwerke im Westen leidet.

Um den Energieausfall durch stillgelegte Atomkraftwerke zu überbrücken, schlagen die Initiativen neben schnellen Energieeinsparungen auch mobile Container-Heizkraftwerke vor. Diese Kleinkraftwerke von zehn oder 20 Megawatt seien vor allem billig (zehn Millionen Mark pro zehn Megawatt) und effizient, weil sie die eingesetzte Energie durch die gleichzeitige Nutzung von Abwärme und Strom dreimal besser ausnutzten als konventionelle Kraftwerke. Mit ihnen könnten noch 1992 alle Tschernobyl-Reaktoren ersetzt werden.

Sicherheitskultur an letzter Stelle

Auch ein Vertreter der EG-Kommission mahnte gestern am Rande des Weltwirtschaftsgipfels, Energieeinsparen könne „das Problem der nuklearen Sicherheit zu großen Teilen lösen“. Das 700-Millionen-Programm könne nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer neuen Energiewirtschaft sein. Der mittelfristige Investitionsbedarf für neue AKWs betrüge allein für die GUS- Staaten mehr als sieben Milliarden Dollar. Im übrigen habe die Europäische Gemeinschaft bereits 270 Millionen Dollar für erste Verbesserungen eingesetzt, in den nächsten zwei Jahren käme die EG automatisch auf einen Anteil von 400 Millionen Dollar an dem Sofortprogramm. In den Beratungen der G-7 könne es also nur noch darum gehen, daß die USA, Japan und Kanada ihren Teil zur Osteuropahilfe beitragen.

Die technischen Hilfen, mit denen die EG in den vergangenen zwei Jahren begonnen hat, waren bislang keineswegs Investitionen in die Technik. Im ersten Schritt sei es der EG um Verbesserungen im Management der Kraftwerke gegangen, im zweiten um kleinere technische Verbesserungen und im dritten Schritt darum, eine Sicherheitskultur zu schaffen, in der unabhängige Instanzen die Kontrolle übernehmen. „Am besten wäre es, die alten Reaktoren abzuschalten“, sagte der EG-Sprecher. Die Überkapazität in der Energieerzeugung betrage im Osten nur drei Prozent — gegenüber den 20 Prozent, die im Westen üblich seien, so der EG-Sprecher. In Osteuropa und der früheren Sowjetunion sei bei den Regierungen zudem noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. So sieht der russische Vizepremier Alexander Schochin vor allem ein finanzielles Problem: Rußland, so sagte er am Rande des Gipfels, könnte durchaus finanzielle Kompensation für den Ersatz der RBWK-Reaktoren durch fossile Kraftwerke erwarten. Donata Riedel, München

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