: Freiheit und Abenteuer
Würde die Bundesregierung ihre Drogenpolitik konsequent auf den Tabak anwenden, müßte das Rauchen sofort verboten werden, die Manager der Tabakindustrie würden als Großdealer gemeinsam mit den Tabakbauern die Knäste übervölkern, den 25 Millionen Rauchern würden Entzugsprogramme angeboten und jeder einzelne Lungenkrebstote müßte als Drogentoter in den Bericht des Innenministers aufgenommen werden. Dem ist nicht so: Die Zigarette, in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen als the big kill um das Zigfache zerstörerischer als jede andere Droge (siehe nebenstehenden Artikel), hat zwar ein leicht bröckelndes Image, wird aber vom Staat über Subventionsprogramme für den Tabakanbau nach Kräften gefördert. Die Zigarette ist zudem an jeder Hausecke zugänglich, und an jeder zweiten Plakattafel nukkeln gutgewachsene junge Frauen und Männer freiheitstrunken an den Glimmstengeln. Dennoch erfüllt der Tabak alle Kriterien einer Droge: Er führt zu Abhängigkeit und Entzugserscheinungen, zu Toleranzentwicklung gegen die Substanz, in Überdosen zum Tod.
Der Widerspruch zwischen den meist aggressiven gesellschaftlichen Reaktionen auf die geächteten Rauschmittel Haschisch, LSD, Marihuana, Kokain, Heroin und der Gleichgültigkeit gegenüber dem „Genußmittel“ Tabak ist frappierend. Haschischraucher und Heroinkonsumenten gelten als Verwahrloste, Kriminelle, Kranke. Tabakraucher sind dagegen „eine Gruppe von Bürgern, die aus einem Nikotinbedürfnis heraus, um dadurch ein bestimmtes Behaglichkeitsgefühl zu entwickeln, rauchen“ (Anhörung im Deutschen Bundestag).
Wie soll bei solchen Verharmlosungen die Raucherepidemie gestoppt werden? Schüchterne Erfolge sind immerhin in den letzten Jahren erzielt worden. Vor allem in den gesellschaftlichen Schichten mit höherer Schulbildung ist der Rückgang der Raucherprävalenz deutlich. Größere Erfolge sind aber nur über eine grundlegende Imageänderung zu erzielen, die nicht ohne ein Werbeverbot für Zigaretten realisierbar ist. Doch die Tabakindustrie ist auf Werbung angewiesen: „Raucher stehen der Tatsache gegenüber, daß sie unlogisch, irrational und blöd sind. Die Leute haben es schwer, mit einem so negativen Selbstbild durchs Leben zu gehen (...) Das Marketing muß entweder gute Gründe für das Rauchen liefern oder helfen, die Beunruhigung über das Rauchen zu verdrängen.“ So eine interne Marketinganalyse der Branche. Mit Cowboys und Abenteurern, mit hünenhaften Beaus auf Segeljachten und ewiglächelnden Models versucht sie ihrem Verdrängungsauftrag gerecht zu werden.
Daß ihr Weg dabei von Leichen gepflastert ist, kann ihre Konzernbilanzen nicht verschlechtern. Daß die Zigarette die häufigste Todesursache geworden ist, ändert nichts an ihrem Expansionskurs. Verglichen mit der Mafia des Tabakoligopols ist die Atomindustrie ein frommer Gesangverein. Manfred Kriener
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