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Zen oder die Kunst, aufs Visum zu warten

■ Kolbenklemmer schon in Bremen? Norman McElroy (64), Michigan, will mit seiner Honda um die Welt und hängt vorerst fest

Er hat Mühe, mich über den Cafehaus-Tisch länger anzusehen: Der Blick der undefinierbar grün- grau-braunen Augen geht immer gleich wieder in die Ferne, genauer nach Rußland, noch genauer in das big mysterious country, das der gemeine Amerikaner für Rußland hält. Ein Rußland voller Melancholie, ursprünglicher Kraft, voller Herz und Kälte und Wodka.

Norman McElroy ist 64 Jahre alt, kommt aus der nordamerikanischen Industriemetropole Detroit und hat in der Wulwesstraße im „Viertel“ sein kleines blau- weißes Motorrad geparkt, eine 250er Honda Viertakt, Baujahr '76. Abenteuerlich zurechtgemacht fürs Abenteuer: einmal rund um die Welt. Sturzbügel aus Aluprofil, Scheinwerferschutz aus einer Kaffeedose, mit viel geschweißtem Gestänge und verschraubtem Holz wurde Stauraum für Sprit, eine Ersatzkette, zwei Agua-BFlaschen, Motoröl sowie Zelt und Schlafsack geschaffen.

Billigste türkisfarbene Plastetaschen nehmen Werkzeug und Garderobe auf. Auf dem Tank hockt ein unbeschreiblich vom Leben gezeichneter „Kulturbeutel“ samt Zahnbürste. Ein Frickel-Bike, das auffällt. Michigan FF990 steht auf dem Nummernschild, und darunter in Kyrillisch DRUG, was — behüte! — nichts mit Drogen zu tun hat: Das heißt „Freund“. Denn eigentlich geht es Norman um Rußland. Das hat er sich in den Kopf gesetzt.

Norman sitzt jetzt seit drei Wochen in Bremen bei einem Freund und dreht Däumchen. Am 20. Mai flogen er und seine Maschine in Bremen ein, ein Zwischenstop sollte es sein. Doch so schwierig hatte er es sich nicht vorgestellt, an ein russisches Visum zu kommen. Ein bürokratischer Akt ohnegleichen. „Sechs Wochen brauche ich bis Wladiwostok“, sagt Norman, “dann wird es da schon richtig kalt. Da gibt es Berge!“ Die Zeit läuft.

Ich hatte ihn, den Motorradfahrer, nur an den Lederboots erkannt, die wie festgewachsen erscheinen. Der Rest ist Karohemd und graue Hose, was außer ihm noch Millionen Alte tragen. Norman McElroy ist kein Verrückter, er hat keine Botschaft außer DRUG und ist frei von Markenfetischismus. Nor

hierhin bitte das

Motorradvorderteil

mit Männerkopf

im Spiegel

man hat seiner Stadt 28 Jahre lang als Feuerwehrmann gedient, zuletzt im Rang eines Captain, und

sagt seinen ebenfalls pensionierten Freunden, die ihn für einen Spinner halten: „It's better than watching TV!“

Was natürlich leicht untertrieben ist. Und auch nicht die ganze Wahrheit. Nach oben und nach ganz weit weg zieht es den Piloten (Kleinstflieger, Hängegleiter) und Weltumsegler (1969 mit der ruhmreichen Rennyacht Ondine) schon immer. Frau und Kinder, die diesbezügliche Pläne hätten stören können, gab es nicht. 1979, da war er Anfang 50, hat er auch noch den Motorradführerschein gemacht. Seitdem testet er hier seine Grenzen. Die hat er noch nicht gefunden.

Einsamkeit auf der Piste? „Kenn' ich nicht“, so der Alt-Single. Angst? „Nur vor Matsch auf der Straße.“ Und als ging's um Fingernägelschneiden, erzählt er von seinen Stürzen in Arizona und Brasilien — einmal wartete er vier Wochen in einem Winzhotel, daß seine Knochen zusammenwuchsen. Mit handgeschnitzten Krücken. Angst! Pah, die Freunde hatten vor den Mexikanern gewarnt,

die Mexikaner vor den Guatemalteken: They shoot Gringos! Und was passierte? „Sie haben mich nicht einmal erschossen!“

Ach was, Harley Davidson! Leicht muß das Motorrad für die Weltrunde sein; wenn's umkippt, muß man es aufheben können! (Unser Globetrotter ist eher ein Hänfling.) Und in Feuerland,

„In sechs Wochen ist es in Wladiwostok schon bitterkalt“ - Die Zeit läuft

Tierra del Fuego steht auf dem Sticker am Tank, da unten, da gibt's oft Hunderte von Meilen keine Tankstelle, da kommt es auf günstigsten Verbrauch an. Ja, so muß ein Motorrad sein, wenn es Rußland überleben will: 20.000 Meilen, der ganze amerikanische Kontinent: ein Platten, eine Kette gerissen!

Am russischen Wintereinbruch sind schon andere gescheitert. Norman ist unruhig. Eine andere Route, etwa Indien? Interes

siert ihn nicht, Rußland muß sein. Er will das rauskriegen, ob es hinter Chita an der Transsibirischen Eisenbahn wirklich, wie seine Karte sagt, keine Straßen mehr gibt. Ob er es ohne Visum, etwa mit Dollars im Reisepaß versuchen soll?

„Ja, ich habe eine,“ sagt Norman, offensichtlich verstimmt, auf die Frage nach einer Alternative. Man merkt: Das bedeutete Scheitern. Norman täte, was der gemeine Amerikaner in Europa eben tut: Er würde das Dorf seines Vaters besuchen. Der alte McElroy stammt aus Irland, da soll es auch noch einen Verwandten geben... Und dann Nordschottland, und dann einmal round Island... Und dann nach Hause.

Norman schaut aus dem Fenster, mindestens bis nach Moskau, und dabei ahnt er vielleicht schon, daß es dieses Jahr nichts mehr wird. Keine Frage, nächstes Jahr ist er wieder da. „Aber ich bin schon 64,“ gibt er zu bedenken, als fände ich das alt. Als wäre das ein Alter! Burkhard Straßmann

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