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Britische Eisenbahn wird privatisiert

Regierung beschließt, „British Rail“ aufzuteilen/ Zuerst wird der Güterverkehr verkauft/ Kritiker sehen in den Plänen einen „Freifahrschein für Geschäftsleute, die gerne mit der Eisenbahn spielen“  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Nach Wasser, Telefon und Strom verkauft die britische Regierung jetzt auch die Eisenbahn. Die Torys haben am Dienstag abend im Unterhaus bekanntgegeben, daß „British Rail“ (BR), das letzte große öffentliche Dienstleistungsunternehmen, in mehreren Schritten privatisiert werden soll. Der Güterverkehr wird zuerst verkauft. Premierminister John Major hofft, daß BR-Direktoren und Angestellte ihre eigenen Unternehmen gründen und bei der Versteigerung mitbieten. Bereits bestehende Zuschüsse sollen zunächst weiterlaufen, jedoch „überprüft werden“.

Nach dem Gesetzentwurf, den Transportminister John MacGregor vorgelegt hat, soll der Personenverkehr in zwei Gesellschaften aufgeteilt werden. Ein neues Unternehmen, „Railtrack“, wird für die Unterhaltung des Schienennetzes und der Infrastruktur zuständig sein. Railtrack bleibt zunächst im Staatsbesitz, soll später jedoch ebenfalls privatisiert werden. British Rail, das bis zur Privatisierung Anfang 1994 für den Personentransport zuständig bleibt, wird in 40 Regionalunternehmen unterteilt. Diese werden dann an die Meistbietenden versteigert. Findet sich kein Käufer für bestimmte Regionen, wird ein Rumpf-BR diese Netze weiterführen. Die Bahnhöfe sollen verkauft oder vermietet werden. Dadurch, so hofft MacGregor, werde das Angebot an Geschäften und Dienstleistungen in den Bahnhöfen attraktiver.

„Unser Ziel ist einfach“, sagte MacGregor. „Die Qualität der Leistungen für die Öffentlichkeit und für die Kunden im Güterverkehr sollen verbessert werden.“ Die Staatsbahn ist für ihre Unzuverlässigkeit seit Jahrzehnten berüchtigt. Die Züge sind unpünktlich oder werden in letzter Minute vom Fahrplan gestrichen. Die Privatisierung bringe mehr Wettbewerb und dadurch größere Effizienz, glaubt der Minister. Gleichzeitig schränkte er jedoch ein, daß er keine langfristige Garantie für alle Leistungen geben könne. „Wir erwarten aber, daß das Eisenbahnnetz im großen und ganzen erhalten bleibt“, sagte MacGregor.

Der Gesetzentwurf ist jedoch sehr vage, was die Miete von Zügen, Preisnachlässe und Fahrpläne betrifft sowie die Möglichkeit, eine durchgehende Strecke über mehrere Unternehmen hinweg zu buchen.

Einige Punkte sind sogar widersprüchlich: So soll der mit hohen Verlusten fahrende Intercity zwar später geschlossen verkauft, die Strecken jedoch jetzt schon einzeln angeboten werden.

Große Einnahmen für die Staatskasse erwartet sich MacGregor durch die Privatisierung der Eisenbahngesellschaft nicht. Das marode Staatsunternehmen hat allein im vergangenen Jahr 145 Millionen Pfund (430 Millionen Mark) Verlust gemacht. Dennoch begrüßte der Verband der britischen Industrie die Regierungspläne. Sein Direktor, Howard Davies, schränkte jedoch ein: „Es ist absolut entscheidend, daß die Privatisierung nicht als Alibi für Kürzungen der notwendigen Investitionen mißbraucht wird.“

Zu den potentiellen Kunden gehören Busgesellschaften, die britische Flughafengesellschaft und der Besitzer der Virgin-Fluglinie, Richard Branson. Die größte private Stromgesellschaft, „National Power“, will mit eigenen Zügen die Kohle von den Bergwerken zu den Elektrizitätswerken schaffen. Und ein Hongkonger Unternehmen, das vor kurzem den südenglischen Hafen Felixstowe gekauft hat, will vom Wasser auf die Schiene expandieren. Verschiedene Reiseunternehmen haben bereits Interesse angemeldet, nostalgische Züge wie den Orientexpreß oder die Great Scottish and Western Railway wiederauferstehen zu lassen. Im Zeitalter der Dampflokomotive, so schwärmten zahlreiche Kabinettsminister, waren die Bahnhöfe sauber, die Gepäckträger höflich und die Züge pünktlich.

Ob die Privatisierung für die Kunden von heute jedoch zu Verbesserungen führt, ist fraglich. Drei verschiedene Behörden sollen darüber wachen, daß Sicherheitsbestimmungen, Qualitätsanforderungen und Preisgrenzen eingehalten und die Monopole in den einzelnen Regionen nicht mißbraucht werden. Die Verträge der einzelnen Betreiber mit Railtrack laufen lediglich fünf Jahre und können danach gekündigt werden, falls das Unternehmen gegen die Richtlinien verstößt. So sind größere Investitionen kaum zu erwarten. Warum sollte ein Unternehmen auch Geld für neue Waggons mit einer Lebenszeit von 30 Jahren ausgeben, wenn sie befürchten müssen, daß ihnen nach fünf Jahren die Benutzung der Schienen entzogen wird? Darüber hinaus ist Railtrack verpflichtet, schwarze Zahlen zu schreiben, was nur durch eine Erhöhung der Gebühren möglich ist.

So rechnet John Prescott, Transportminister im Labour-Schattenkabinett, nicht mit einer Verbesserung der Leistungen: „Dieser Gesetzentwurf läßt die finanziellen Anforderungen für eine adäquate Infrastruktur und Investitionen in Züge und Waggons völlig außer acht.“ Nick Harvey von den Liberalen Demokraten drückte es drastischer aus: „Der Entwurf der Regierung ist ein Freifahrschein für exzentrische Geschäftsleute, die gerne mal mit der Eisenbahn spielen wollen.“ Die Zugführergewerkschaft warnte, daß viele Strecken eingestellt und die Preise in die Höhe schnellen werden. Ihr Generalsekretär Derrick Fullick meinte: „Die Privatisierungsfanatiker haben einen Fahrplan in die Katastrophe aufgestellt.“

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