DURCHS DRÖHNLAND: Kleine Erlösungen im Sommerloch
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Der Unterschied zwischen guten und schlechten Bands ist oft nur ein sehr feiner. Vor allem bei Bands aus Deutschland, wo es nur wenig originäre Traditionen in der Popkultur gibt. Wo fängt gutes Kopistentum an, wo hört es auf, wo beginnt das bloße Plagiat, wo das dumme Nachäffen? Fragen, die sich meistens nur unter Hinzuziehung des persönlichen Geschmacks beantworten lassen. Bei Terry Hoax ist die Entscheidung selbst bei erhöhter Subjektivität äußerst schwierig. Die Band aus Hannover beschränkt sich nämlich nicht auf einen Stil, um diesen möglichst perfekt zu kopieren, sondern plündert recht schamlos von den Sechzigern bis zur Neuzeit. Da dudelt die Orgel wie bei den seligen Doors, trällern halbreife Männerstimmen Beatles-Chöre, verbratzt die Gitarre mal die Siebziger oder wird funkenstiebend, Lagerfeuerromantik beschwörend, akustisch angeschlagen. Allzu vielen Facetten will auch die Stimme von Sänger Perau gerecht werden. Ohne alle Zweifel ist er in der Lage, ebenso das Raubtier zu machen wie mit leicht zitternder Stimme den Herzensbrecher zu mimen. Manchmal wird mitten in einem feinziselierten Gitarrenpopstück ein stumpfes Riff ausprobiert, als wollten sie einfach mal sehen, was so alles möglich ist. Der letzte Mut fehlt ihnen allerdings, denn niemals überschreiten sie wirklich die Grenzen des guten Geschmacks. Geradezu krampfhaft auf der Hut vor peinlichen Ausrutschern, spielen sie einen nach allen Seiten abgesicherten Gitarrenpop, der schon fast wieder zu brav ist, um in den Charts nach oben zu schießen. Terry Hoax hören sich zu sehr nach Erfolg an, um den wirklich haben zu können. Was aber nicht heißt, daß sie nicht trotzdem eine hervorragende Band sind, die den einen den nötigen Schmalz, den anderen eine stilisierte Dreckigkeit bieten können. Es gibt wahrlich Schlechteres, und jetzt im Sommerloch sind Terry Hoax durchaus erlösend, auch weil ihre Musik in den besten Momenten eingängig und sonnenkompatibel ist.
Am 17.7. um 22.30 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
Wenn es ein »Klassikstück« außer der »Kleinen Nachtmusik« gibt, das wirklich jeder kennt, sind es die »Carmina Burana«. Spätestens seit der Nestlé-Werbung und dem Hickhack um die Techno-Version, die per einstweiliger Verfügung aus dem Verkehr gezogen wurde. Daß die extreme Bekanntheit natürlich ausgerechnet Justus Frantz dazu treibt, monumentale Open- air-Massen mit dem Gassenhauer von Carl Orff zu beschallen, dürfte niemanden überraschen. Denn genauso, wie sich die Experten streiten, ob Frantz ein halbwegs guter Klassik-Interpret ist, weiß jeder, daß er sich für nichts zu blöde ist, wenn es nur Knete und Nachschub für die Profilneurose bringt. Zur Aufführung kommt zusätzlich noch das Klavierkonzert Nr. 21 C-Dur von Mozart, damit Justus auch noch als Solist glänzen kann, und — man höre und staune ungläubig — Benjamin Britten. So ein wenig Moderneres macht sich ja immer ganz gut. Übrigens ist da doch jemand, der sich nicht so genau auskennt. Meinte doch letzthin eine Bekannte: „Ich kenn' da auch was. Heißt Carmina Burata.“ Hätte eben mehr Schokolade essen sollen.
Am 18.7. um 20 Uhr auf dem Maifeld, U-Bahn Olympiastadion
Selbst in Weinheim an der Bergstraße (wo immer das auch liegen mag) ist man dem Ska verfallen. Gerade in den heißen Monaten scheint eine Inflation von Auftritten von Ska-Bands unvermeidlich, weil sie dazu so klasse die Transpiration steigern läßt. Ngobo Ngobo spielen dabei eine Variante, die schon im Sound Schweißiges ahnen läßt, denn ihre Rhythmen fließen rund und schwammig dahin, das Saxophon lullt schön um den Off-Beat herum, und das Tempo ist so moderat, daß man sich gepflegt wiegen kann. Mit dem von vielen aktuellen Bands bevorzugten, auf die TwoTone-Tradition zurückgehenden, hardboppenden Ska haben Ngobo Ngobo nicht viel am Filzhütchen. Höhepunkt eines jeden Konzertes ist eine schnulzige, afrikanisierte Coverversion aus Teilen von Horror-Songs wie »Dream« und »The Lion Sleeps Tonight«. Wir können schon jetzt garantieren, daß an diesem Abend sich auf den Scheiben des K.O.B. das Kondenswasser sammeln wird.
Am 17.7. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
Wer am Samstag nicht schlafen kann, weil es zu heiß ist oder sich ein Geschwader Mücken — wie bei mir — im Schlafzimmer rumtreibt, kann die Gelegenheit nutzen und das erste Mal am Sonntag morgen zu unchristlicher Zeit Joe am Wedding aufsuchen. Dort spielt an so gut wie jedem heiligen Feiertag eine der ungezählten Rock'n'Roll-Kapellen der Stadt, deren einziges Plaisier es ist, die glorreichen fünfziger Jahre noch einmal möglichst stilecht aufleben zu lassen. Wenn also im Hintergrund die Tollen und die Petticoats wippen, kann man voll Unbehagen Nackenspoiler zählen, sich mit Frühstücksbierchen betäuben, was essen, einfach im Garten rumlungern oder andere unsinnige Dinge tun. Wer danach immer noch nicht schlafen kann, sollte dann vielleicht besser mal zum Arzt gehen.
Am 19.7. um 9 Uhr Frühschoppen bei Joe am Wedding, Seestraße, Ecke Amrumer Straße, Wedding
Eigentlich fing alles so gut an. Ihren ersten Auftritt hatten die Dire Straits, damals noch als Cafe Racers, bei einem Punkfestival vor Squeeze, ihre erste Englandtournee fand als Vorgruppe der Talking Heads statt. „Sultans of Swing“ war einer der schönsten Songs 1988, und ich versuchte immer, meiner Mutter dieses Lied anzudienen, wenn sie schon nichts mit den Clash anfangen konnte. Der Missionierungsversuch schlug fehl, aber auch ohne meine Mutter machten die Dire Straits eine unvergleichliche Karriere und wurden schon mal als die Band der Achtziger bezeichnet. 1985 erscheint »Brothers in Arms« mit der Single »Money For Nothing«, ein Album, das demonstriert, daß man mit den richtigen Gastmusikern (Sting), einem halbwegs innovativen Video und einem leidlich zünftigen Gitarrenriff (genau die Sorte, die man schon tausendmal gehört zu haben glaubt, aber es will einem partout nicht einfallen, wo) den Erfolg erzwingen kann. »Brothers In Arms« wurde Nr.1 in England, den USA, Kanada, Brasilien, Österreich, Belgien, Dänemark, Irland, Finnland, Frankreich, der BRD, Griechenland, Island, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, Schweiz, der Türkei, Jugoslawien, Australien, Neuseeland, Hongkong und Israel. Auf der anschließenden Tournee wurden drei Millionen Karten für 248 Shows in 23 Ländern verkauft. Danach schien die Welt halbwegs verschont zu bleiben. Mark Knopfler machte den einen oder anderen Soundtrack, die Band trat noch bei den obligatorischen Benefizkonzerten für Bäume und Kinder auf und ersparte weitere sphärische Ergüsse zum Thema »Ich und meine Gitarre weepen mal wieder sanft«. Nun ist es wieder soweit: Die neue Platte »On Every Street« ist genauso langweilig oder gefühlvoll (je nach Standpunkt) wie alles bisherige, die Tournee wird wieder alle Rekorde schlagen. Trotzdem gibt es einen Grund, in die Waldbühne zu pilgern. Als Vorgruppe wurden Was (Not Was) verpflichtet, die eigentlich nur ein Produzenten- und Songwriterpaar sind, das sich für ihre Platten die entsprechenden Musiker und Sänger ins Studio holt. Konsequenterweise kommen David und Don Was (nur ein Pseudonym, das sind keine Brüder) gar nicht erst mit auf Tour. Einige im Publikum dürften überrascht sein, wie viele der Songs sie kennen, auch wenn sie noch nie etwas von Was (Not Was) gehört haben.
Am 20., 21. und 22.7. um 18.30 Uhr in der Waldbühne
Thomas Winkler
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