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„Die Kinder des Windes“

Ein Lyriker aus dem Iran schlägt Brücken zwischen Ost und West  ■ Von Peter Schütt

Persische Literatur wird heutzutage nur zu einem Teil im Iran selber geschrieben, veröffentlicht und gelesen. Zu einem vermutlich größeren Teil wird sie in Sydney, Los Angeles, Istanbul, Paris, London, Köln und Hamburg zu Papier gebracht, in alle jenen Zentren der Emigration, in die die Intellektuellenverfolgung zu Beginn der Islamischen Republik viele Schriftsteller des Landes getrieben hat. Auch in der Bundesrepublik lebt eine ganze Reihe namhafter Autoren des Iran im Exil, so die Schriftstellerinnen Fahime Farsaie und Torkan und ihre Kollegen Bahman Nirumand, Said, Mani, Mahmud Falaki, Freidoun Tonekaboni, Mohammed Ali, Mojtaba Schamsrizi — und als vermutlich jüngster unter den Exilierten der 1955 im aserbaidschanischen Täbriz geborene Parviz Sadighi, der sich in diesem Frühjahr mit einem bemerkenswerten zweisprachigen Lyrikdebüt im Hamburger Dölling und Galitz Verlag zu Wort gemeldet hat.

Zu den existentiellen Nöten der iranischen Gegenwartsliteratur kommen spezifische literarische Probleme. Die persische Dichtkunst verfügt über eine mehr als tausendjährige Tradition, deren bedeutendste Vertreter — Firdousi, Hafez und Chajam — schon seit Goethes Zeiten zum Kernbestand der Weltliteratur gehören. Diese poetischen Traditionen, die sich vor allem in der Lyrik durch eine unerschöpfliche Fülle orientalischer und arabesker Metaphern ausdrückt, lastet mehr und mehr wie ein Alp auf den iranischen Gegenwartsautoren, zumal sich die überlieferte Bildlichkeit schon aufgrund ihres überreichen Bestandes immer weniger als geeignet erweist, zeitgenössische Erfahrungen und Befindlichkeiten zum Ausdruck zu bringen. Im Exil wird dieser Konflikt in der Regel doppelt intensiv erfahren, so daß immer mehr emigrierte Autoren dazu übergehen, in der Sprache ihres Gastlandes zu schreiben. In diesem Zwiespalt steht auch der seit 1984 in Hamburg lebende Parviz Sadighi. Er schreibt sowohl Farsi als auch deutsch, und er schafft, was nur wenige Autoren fertigbringen, er übersetzt seine eigenen, ursprünglich auf Persisch geschriebenen Gedichte kongenial ins Deutsche.

Diese Doppelbegabung hat jetzt Früchte getragen: in einem ansprechenden und kunstreich gestalteten deutsch-persischen Gedichtband, „Die Kinder des Windes“, mit dem der Dölling und Galitz Verlag seine „Viadukt“-Reihe mit zweisprachigen Veröffentlichungen von in Deutschland lebenden Exilautoren eröffnet. Die deutschen und persischen Fassungen der Gedichte sind nicht spiegelbildlich angeordnet, sondern aufgeteilt in eine deutsche und persische Hälfte: deutsch vorn und persisch hinten — oder umgekehrt, je nachdem wie man das Buch in die Hand nimmt; denn die persische Schrift wird bekanntlich von rechts nach links geschrieben. So trägt dieses schöne Buch den Namen „Viadukt“ zu Recht. Es ist ein buchkünstlerischer Brückenschlag zwischen Ost und West, so wie es sich Goethe einmal von einer endgültigen Ausgabe seiner „Diwan“-Gedichte gewünscht hatte.

„Die Kinder des Windes“ stellen in mehrfacher Beziehung den Versuch einer kulturellen Symbiose zwischen Abend- und Morgenland dar. Uwe Friesel, der amtierende Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, hat in seiner Einführung sachkundig erklärt, wie sehr Parviz Sadighi in beiden Kulturen verwurzelt ist und mit welchem Geschick er Westliches und Östliches in Beziehung setzt. „Die Kinder des Windes“ sind in der traditionellen Dichtung des Iran die heimatlosen Zigeuner. Sadighi gibt der traditionellen Metapher einen aktuellen Sinn und wendet sie auf sich selbst und seine vielen Leidensgenossen an, die aus ihren Heimatländern vertrieben wurden. Ähnlich verfährt der Lyriker mit anderen Bildern aus dem Museum seiner Poesie. Die Fledermäuse, die in der Dichtkunst des Orients den Anbruch der Nacht symbolisiert haben, werden mit den schwarzen Umhängen der Richter und Henker im Mullah-Gewand gleichgesetzt, die sich beim Heben der Arme wie die Flughäute der Fledermäuse vom Körper abspreizen und ihren Trägern dadurch das Aussehen von blutsaugerischen Vampiren verleihen. Leila und Medschun, die klassischen Geliebten, die nicht zueinander kommen konnten, tauchen bei Sadighi in einer zeitgemäßen Verwandlung auf. Medschun ist Armutsflüchtling und „Gastarbeiter“ in einer Fabrik im fernen Europa, Leila wartet ein Leben lang — vergeblich — auf seine Rückkehr.

Auch thematisch mischt der Lyriker westliche und orientalische Erfahrungen und Empfindungen. Er schildert die „Straße der Islamischen Republik“ im Zentrum Teherans voller Bitterkeit, Traurigkeit und Empörung, und er widmet seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort Hamburg ein lyrisches Porträt in oprientalisch verfremdeten Bildern:

...Er wartet nicht lange/ der Riese/ der kommt von den schwarzen Küsten/ kommt/ und mit Asche und Licht/ mit den Schuppen der Lampen/ die Augen der Nachtwandler füllt

Entwertete Briefmarken/ bittere Worte/ gewickelt in alte Zeitungsblätter/ Augenblau/ Frauen und Männerherden/ im Lichthof der Farben/ und die Kinder des Windes/ die ununterbrochen unter/ dem Fuß der eisernen Statue/ Fluchtmelodien spielen

Die trunkenen Mädchen/ Lederpuppen/ platzen hinter den Schaufenstern/ wie alltägliche Wörter.

Der „fischschuppigen spröden Schönen“ an der Elbmündung hat schon mancher Dichter seine poetische Reverenz erwiesen. Nicht alle haben Hamburg, auch wenn sie dort jahrzehntelang zu Hause waren, so einfühlsam dargestellt wie der iranische Emigrant Parviz Sadighi, dessen Asylantenpaß die Nummer 0387415 trägt, eine Zahl, die ihn „wie ein Muttermal auf der Hand“ nach überallhin begleitet.

Parvoz Sadighi: „Die Kinder des Windes. Gedichte“. Deutsch und persisch, mit einer Einführung von Uwe Friesel. Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1992, Buchreihe ViaduktI, 96Seiten, 22DM.

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