VILLAGE VOICE: Pomprock mit Teenappeal
■ Fast erwachsen, aber eben nur fast: „Make It Grow“ von No Harms
Früher war alles anders. Natürlich. Vielleicht war es auch besser. Weiß ich nicht. Zu beobachten ist nur, daß sich heutzutage junge Menschen oft schon mit Anfang 20 aufs Altenteil zurückziehen. Die Geschwister Schumacher und ihr Kumpel Kasi, besser bekannt unter dem Namen No Harms, wehrten sich seit Jahren wenig erfolgreich gegen eine Schubladisierung als Hüsker-Dü-Epigonen. Dumm nur, daß sie das auch waren, und sie selbst dürften auch so ziemlich die einzigen gewesen sein, die ihnen daraus einen Vorwurf gemacht hätten. Zu irgendwelchen radikalen Änderungen konnten sie sich aber auch nicht entschließen.
Auf ihrer neuesten, zweiten LP »Make It Grow« entfernen sie sich zwar musikalisch leicht von den verehrten Übervätern, machen aber nichtmal atlastechnisch einen großen Schritt: Destination Minneapolis. Der neue Haupteinfluß kommt da her, nur heißt er diesmal Soul Asylum. Versteht man das Titelstück, das auch die Platte eröffnet, programmatisch, ist die Liebe der drei Jungspunde neuerdings zum leicht verschnörkelten Riffrock mit leichtem Hang zum Pomp entbrannt. Wobei Pomp nicht mit Geigen und ähnlichem Schnickschnack gleichgesetzt werden darf. Gitarre, Bass, Schlagzeug, Stimme — mehr ist da nicht, nur eine andere Empfindung. Beherrschte früher einfaches und plattes Sentiment die Veröffentlichungen von No Harms, ist es diesmal ein eher großes, gewaltiges Gefühl, das so gar keine Entsprechung im wirklichen Leben hat, sondern eine Überhöhung tatsächlich vorhandener Gefühle darstellt. Pathos ist dicht dran.
So wie Soul Asylum vor allem auf ihrer LP »Hang Time« hauen No Harms wahre Klötze von Songs. Das hier ist kein Spannbeton, das steht vor dir wie ein Hünengrab, an dem du dir den Schädel einrennst. Der Effekt, daß etwas vor die erscheint, was ganz einfach groß klingt — was nicht mit einem Qualitätsmerkmal verwechselt werden sollte. Kann auch Mist sein, auch wenn bei dieser Platte der Fall nicht so einfach liegt. Ersteinmal ist man von der schieren Größe und Schwere überwältigt. Wenn man unter einem Blauwal liegt, hat man auch wenig Zeit, über Tierversuche nachzudenken.
Die Produktion ist nicht unbedingt großartig, aber angemessen. Der Knackpunkt ist die zu jugendliche Stimme von Sven Schumacher, die erhebliche Probleme bei den unvermeidlichen lustvollen „Yeahs“ offenbart. Das paßt nicht und eben deswegen paßt es wieder, hat es einen eigenen Reiz. Diese Stücke (vor allem »Piece Of You« und »Make It Grow«) sind so etwas wie Bubblegum-Hardrock, wie siebziger ohne Drogen, wie Led Zeppelin ohne die prallen Eier von Robert Plant.
Die andere, immer noch mindestens gleichberechtigte Seite von No Harms ist die ihrem Alter angemessenere. Es sind die leicht flirrenden, verträumten Nummern mit dem gelegentlichen Lärmausbruch wie »She's Going Down«. Dem penetranten Sülz der ersten Platte haben sie diesmal weniger Platz gelassen, auch wenn Svens ohne Zweifel schöne Stimme und deren Gefühlsausbrüche noch oft im Mittelpunkt stehen. Doch öfter verbinden sie auf das Wunderhübscheste das ungestüme, wildromantische Drängen der Jugend mit den harschen Klängen des Erwachsenwerdens. Im glücklichsten Fall vereinen sie beide Pole in einem Song. So geschehen bei der Coverversion. »Eternal Flame« wird metallisiert, ohne dabei nur ein Jota vom kalifornischen Flirren und dem Kitsch des Originals der Bangles zu verlieren.
No Harms weigern sich nicht, erwachsen zu werden. Sie brauchen halt nur etwas länger. Nachdem sich die Strangemen in letzter Zeit auf eher folkiges Terrain gewagt haben, dürften No Harms in der Gewichtsklasse Pomprock mit Teenappeal in Berlin ihresgleichen suchen. Eine lobendes Artikelchen in der Bravo sollte wieder mal drin sein, denn »niedliche Jungs« sind sie ja immer noch.
Thomas Winkler
No Harms: „Make It Grow“ (Vielklang/EFA)
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