: „Wenn so einer draufgeht, ist's mir egal“
Prozeß gegen Skins und Heavys in Eberswalde: Die Angeklagten sind angeödet, die Zeugen nur widerwillig zur Aussage bereit, das Gericht oft hilflos/ Wer den Angolaner Amadeu Antonio totgeschlagen und -getreten hat, ist noch ungeklärt ■ Aus Eberswalde Bascha Mika
„Komm jetzt endlich, Amadeu!“ Amadeu Antonio trödelt. Eigentlich hat er noch keine Lust, den „Hüttengasthof“ zu verlassen. Er plaudert noch ein bißchen, läßt sich Zeit mit der Gaderobe. Seine Freunde zerren ihn nach draußen. Kalt ist es, schon nach Mitternacht. Sie sollten sich schnellstens nach Hause machen, hat der Wirt ihnen geraten. Eine Bande Neonazis sei auf dem Weg zum Gasthof, um „Neger“ aufzumischen.
Die Schwarzen und zwei deutsche Freundinnen laufen nebeneinander her. Sie haben sich an den Händen gefaßt. Da kommt die Meute. Grölt: „Deutschland den Deutschen!“ „Neger, verpißt euch!“ Ein Baseballschläger, Messer, Zaunlatten, Schreckschußpistolen, Fäuste, Stiefel. Schläge, Tritte, Stiche. Zwei Mosambikaner werden schwer verletzt. Von Amadeu Antonio aus Angola bleibt ein blutiges, bewußtloses Bündel. Er stirbt. Am 6. Dezember 1990 in Eberswalde.
Es ist ein zäher Prozeß vor dem 5. Strafsenat des Bezirksgerichts Frankfurt/Oder. Im Eberswalder Ratssaal, zum Ort des Gerichts umfunktioniert, steht die Luft dumpf und stickig. Vom Innenhof dröhnt das Palaver der Müllmänner. Staatsanwalt: „Bedeuten Ihnen Menschenleben nichts?“ Zeuge: „Kein Schwarzer. Wenn so einer drauf geht, ist's mir egal.“ Richter: „Worüber wurde nach der Schlägerei gesprochen?“ Zeuge: „Die haben gefeixt, daß sie sich jetzt wieder die Schuhe putzen müssen.“ Die Fußtritte ins Gesicht haben Antonio endgültig umgebracht, sagt der Gerichtsmediziner.
Auf der Anklagebank sitzen fünf der sechs jungen Männer, die das Verbrechen begangen haben sollen. Zerknirscht gucken sie nicht gerade. Angeödet schon eher. Sven B. (20), dessen feistes Gesicht sich nur zum Kaugummi kauen und abfälligen Grienen verzieht. Er hat gestanden, auf einen der Mosambikaner mit dem Messer losgegangen zu sein; Antonio will er nicht angerührt haben. Steffen H. (18), der mit weißblonden Haaren aussieht wie Heino in jungen Jahren. Eigentlich sei er nicht gewalttätig, sagt er, „eher lustig“. Marek J. (19), der sich bei Zeugenaussagen amüsiert und dann schnelle Blicke wirft, ob ihn jemand beobachtet hat. Er hat zugegeben, Antonio geprügelt zu haben, aber „nur“ mit der Faust. Ronny J. (20), der wie Omis Liebling schaut und mit der Zaunlatte draufgeschlagen haben soll. Gordon K. (21), der verständnislos den Kopf schüttelt, als habe ihn ein böses Schicksal in den Gerichtssaal verschlagen.
Der sechste fehlt. Kay-Nando B. (21), Hauptangeklagter und Bruder von Sven hat es vorgezogen, sich vor der Verhandlung abzusetzen. Er soll in jener Nacht mit der Baseballkeule gewütet haben. Seit zweieinhalb Wochen wird er mit Haftbefehl gesucht. Untersuchungshaft wurde den Tatverdächtigen erspart. Sven B. hockt hinter Gittern — weil er einen Weißen erschlagen haben soll.
Nichts eigentlich läuft richtig bei diesem Verfahren. Da sind die Zeugen, von denen die meisten etwas zu vertuschen haben. Sowohl die aus der Szene, die alle irgendwie bei dem Überfall mitgemischt haben, als auch die Polizisten, die die Jugendlichen in jener Novembernacht überwachen sollten. Statt dessen sahen die Ordnungshüter tatenlos zu, wie der Mob Jagd auf die Schwarzen machte und verschleppte anschließend die Ermittlungen. O-Ton eines Skins auf die Frage nach den Ereignissen des Abends: „Bier getrunken, Rangeleien gehabt, Polizei gekommen. Das war's.“ O-Ton eines Polizisten auf die Frage, was für ihn der Auftrag „Rechtsradikale zu beobachten“ bedeutet habe: „Das kommt darauf an, wie viele das sind.“
Kleinlaut, mit hängenden Schultern, und beständig murmelnd, sitzen die, die sich als „Skins“, „Faschos“, „rechtsradikale Jugendliche“ oder „Heavys“ bezeichnen, auf dem Zeugenstuhl. Kaum dürfen sie aufstehen, ermannen sie sich — das Gericht im Rücken — zu triumphierendem Grinsen.
Von anderem Kaliber sind die, die eher zur organisierten Neonazi- Szene zählen. Matthias A. zum Beispiel. Kaltschnäuzig präsentiert sich der ordentliche junge Mann. Richter: „Sie haben ausgesagt, daß sie im Hüttengasthof einkehren wollten. Was heißt das?“ Matthias A. hämisch: „Bier trinken vielleicht?“
Sind die Zeugen vom Gericht entlassen, werden sie sofort von ihren „Kameraden“ und „Kumpels“ in Empfang genommen, im Saal oder vor der Tür. Ob es so klug von Richter Kamp war, den Verhandlungsort von Frankfurt an der Oder in die brandenburgische Kleinstadt zu verlegen? Hier sind die meisten Zeugen vor Ort, aber hier funktioniert der Informationsfluß eben auch reibungslos — und die Einschüchterung.
Richter Hartmut Kamp hat seine eigenen Methoden. Er steckt die Zeugen zur Polizei ins Kabuff, um sie mürbe zu machen. Er maßregelt pastoral-pädagogisch — und oft die Falschen. Immer wieder unterbricht er die juristischen KollegInnen. Das freut die Verschleierer auf dem Zeugenstuhl und die Tatverdächtigen.
Denen ist bisher eine Anklage wegen Totschlags erspart geblieben. Lediglich Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche Körperverletzung, Landfriedensbruch und Diebstahl wird ihnen vorgeworfen. Daß die rund 50 Jugendlichen aus der Skin- und Heavy-Metal-Szene mit der Parole losgezogen waren, „Neger aufzuklatschen“, genügte der Staatsanwaltschaft offenbar nicht, um einen Tötungsvorsatz abzuleiten. Während der Verhandlung dann assoziiert Staatsanwalt Henry Möller das „Aufklatschen“ durchaus naheliegend mit „Fliegenklatsche“. Bekanntlich bleibt da von der Fliege auch nicht viel übrig.
Vor allem Ronald Reimann — der als Nebenkläger den einjährigen Sohn von Amadeu Antonio vertritt — versucht die politischen und rassistischen Motive der Tat zu beleuchten. Und macht sich unbeliebt. Von den VerteidigerInnen erntet er gähnende Münder und den Vorwurf, er halte unnötig den Prozeß auf. Mit dem angegrauten Richter muß er einen Privatzwist ausfechten. Kamp (gereizt): „Herr Nebenkläger! Sie vertreten hier nur die Rechte eines einjährigen Kindes.“ Kamp (stöhnend): „Erst ist der Staatsanwalt dran. Dann, leider Gottes, der Herr Nebenkläger.“
Zugegeben: Auch Richter Kamp versucht durchaus, die politischen Hintergründe des Verbrechens zu erforschen. Aber das fällt ihm nicht gerade leicht. Ungeniert spricht er am ersten Verhandlungstag wie die Angeklagten von „Negern“, als wäre die damit verbundene Diskriminierung noch nie an seine rheinischen Ohren gedrungen. Am zweiten Verhandlungstag hat ihn dann die Erkenntnis ereilt. Von stund an erwähnt er die „Neger“ nicht ohne den Zusatz: „...ehem, um im Jargon zu bleiben.“
Mühsam versuchen die Hartrocker, dem Jugendrichter zu verklickern, was Heavy-Metal ist. Kamp hält den Brutalo-Rock für eine Art Jazz. Vielleicht ist ihm noch nicht einmal aufgegangen, was das Ungewöhnliche an diesem Prozeß ist: Daß hier Jugendliche gemeinsam ein Verbrechen begangen haben, die eigentlich aus völlig verschiedenen Szenen stammen. Skins und organisierte Neonazis auf der einen, Heavys auf der anderen Seite — vereint im trauten Ausländerhaß und weil sie sich seit Kleinstadtjahren kennen.
Nur rund um Eberswalde gibt es dieses Phänomen, daß sich die Hardrocker bestens mit den Rechtsradikalen verstehen. Genauer: bestens verstanden. Nach dem Tod von Amadeu Antonio fingen die „Freundschaften“ an, beträchtlich zu knirschen — aber weiß Gott nicht aus Schuldgefühlen. Absprachen soll es gegeben haben, der jeweils anderen Gruppe die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Dementsprechend wurden Aussagen widerrufen, neue konstruiert, vor Gericht eine dritte Version erzählt. Kein Wunder, daß nach über zwei Wochen Verhandlung noch immer nicht eindeutig geklärt ist, was genau in der Nacht vom 24. auf den 25. November 1990 passiert ist, wer auf Amadeu Antonio einschlug und -trat, bis er so gut wie tot war. Vorgestern sollte ursprünglich das Urteil verkündet werden. Tatsächlich vertagt sich das Gericht heute erst einmal für dreißig Tage.
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