: Virtuell daneben
„Der Rasenmäher-Mann“ nach einer Kurzgeschichte von Stephen King ist der 1. Spielfilm über den Cyberspace und seine Schrecken ■ Von Thomas Winkler
Im Jahre 1984 gründete Jaron Lanier seine Firma VPL Research Inc., die den sogenannten Data- Glove entwickelte, den ersten Baustein für die „Virtuelle Realität“. Ebenfalls 1984 erschien der von William Gibson auf Schreibmaschine verfaßte Science-fiction-Roman „Neuromancer“, wo zum ersten Mal eine Zukunft entworfen wurde, in der die computergenerierte virtuelle Realität als Lebensraum gleichberechtigt neben der stofflichen steht.
An der Mensch-Maschine- Schnittstelle, die erst den direkten Zugang in den Cyberspace, den in Computern vorhandenen und visuell dargestellten Datenraum, möglich macht, wird bisher zwar noch geforscht und viele Wissenschaftler bestreiten auch, daß sie möglich ist. Aber mit Datenanzügen, die die Bewegungen des Cypernauten registrieren, an den Rechner weiterleiten und genauso Signale des Rechners zum Körper zurückleiten können, und dem Eye-Phone, das Kopfbewegungen registriert und die computergenerierte Realität auf Bildschirmen vor den Augen visualisiert, ist zumindest eine Ahnung davon vorhanden, was möglich ist, wenn die Rechenzeiten kurz genug, die Bildschirmauflösungen gut genug und die Übertragungsmechanismen fein genug sein werden.
Nachdem im letztjährigen Sommer das Thema die Medien beherrschte und die Meinungen zwischen begeisterten und alptraumhaften Visionen hin und herpendelten, führte die US-Army sehr schnell vor Augen, welche Anwendungsmöglichkeiten sie dazu bewegte, nicht unwesentliche Summen in die Entwicklung von „Virtual Reality“ zu stecken: Die Bomberpiloten von Bagdad waren ausnahmslos an Flugsimulatoren geschult, die die neue Technik integriert hatten.
Um so erstaunlicher, daß erst jetzt, acht Jahre nach dem ersten textlichen Entwurf in „Neuromancer“ und zehn Jahre nach dem Walt-Disney-Film „Tron“, die ersten Filme zum Thema entstehen. Trotzdem hatten die Studiobosse nicht allzuviel Vertrauen in ein Drehbuch namens „Cybergod“ und gaben den Autoren Brett Leonard und Gimel Everett kurzerhand den Auftrag, es mit Motiven aus der Kurzgeschichte „The Lawnmower Man“ von Stephen King zu vermatschen, um mit dem Namen des Horror-Meisters auf Werbereise gehen zu können.
Die Rechte an der nur sieben Seiten langen Short story lagen nach einer Odyssee durch einige Studios praktischerweise gerade brach. Die Idee, Stephen King zu verfilmen, ist zwar bekanntermaßen nicht gerade die neueste, aber doch immer recht erfolgreich. Bisher wurden 27 Vorlagen von King verfilmt oder sind avisiert. Allein fünf in diesem Jahr, „Der Rasenmäher-Mann“ ist eine von ihnen. — Pierce Brosnan, Schönling aus „Taipan“ und „Remington Steele“, leiht sein Gesicht dem Forscher Lawrence Angelo, der im Auftrag der Armee und mit Hilfe von Drogen und virtueller Realität Intelligenz-Steigerungsversuche an Affen veranstaltet. Doch als kritischer Wissenschaftler ist er gar nicht mit der Verwendung seiner Ergebnisse einverstanden und sperrt sich gegen die von der Army verordneten Aggressionsprogramme für die Affen. Nachdem eines der Versuchstiere bei einem Ausbruchsversuch einen Wächter erschießt, wird Angelo beurlaubt.
Aber natürlich treibt ihn der Forscherdrang auch in seiner Freizeit dazu, herumzuexperimentieren. Als Versuchskarnickel erkürt er den Rasenmäher-Mann, ein blondes Riesenbaby, das in seiner geistigen Entwicklung auf dem Niveau eines Sechsjährigen stehengeblieben ist und in der Gemeinde die Vorgärten bearbeitet. Das Experiment läuft aus dem Ruder, und der Proband Jobe Smith durchläuft rasant eine Entwicklung vom Dorftrottel zur Intelligenzbestie, die nicht nur Gedanken lesen und telekinetisch Gegenstände bewegen kann, sondern auch noch der Meinung ist, Gott zu sein oder zumindest dessen Schöpfung ein wenig verbessern zu müssen. Zu diesem Zwecke programmiert sich Jobe ins Computersystem, um von dort aus den gesamten Datenraum, den Cyberspace und damit die einzige bestimmende Realität zu infizieren...
Der Großteil der 20 Millionen DM, die „Der Rasenmäher-Mann“ kostete, wurde für die Special Effects verwendet. Da kann man denn auch erwarten, daß die Computeranimation ansprechend ist. Das ist sie, aber auch nicht allzu fantasievoll. Und anstatt die visuellen Darstellungsmöglichkeiten einer virtuellen Realität auszunutzen, beschränkt sich der Film auf die üblichen Action-Elemente.
Zwar bemüht sich „Der Rasenmäher-Mann“ um eine differenzierte Darstellung der Versuchung und der Gefahren der schönen neuen Welt, ist aber zu sehr den Gesetzen des Hollywood-Kinos verhaftet, um eine wirklich beklemmende Atmosphäre zu schaffen. Das Labor ist in stahlblaues, unnatürliches Licht getaucht, um mit den saftig-bunten Vorgärten zu kontrastieren, in denen Jobe den Rasen mäht. Erzählt wird die Mär vom herzensguten Wissenschaftler, dessen hehre Forschungsideale von dunklen Mächten pervertiert werden. Doch nach dem Sinn der Forschung selbst wird nicht gefragt. Eher geben sich die Bilder ungehemmt der Faszination virtueller Realität hin: Schön bunt ist es dort, wenn auch nicht ganz klar wird, was denn nun das Tolle daran ist.
Einzig die Darstellung von Jeff Fahey als zurückgebliebenem Jobe verschafft diesem glatten High- Tech-Inferno eine Spur von Persönlichkeit. Aber ein Film mit einem solchen Thema darf nicht einfach wie Dutzendware aussehen.
„Der Rasenmäher-Mann.“ Regie und Drehbuch: Brett Leonard, Produktion und Drehbuch: Gimel Everett. Mit Jeff Fahey, Pierce Brosnan, Jenny Wright, Geoffrey Lewis u.a. USA 1992.
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