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Warten auf Thekla Carola

Eine Leidensgeschichte aus der deutschen TV- und Medienlandschaft  ■ Von Thomas Winkler

Ich habe sie ja immer bewundert für ihre Langmut in „Ich heirate eine Familie“. Wie kann man nur einen solch drögen Mann und — noch viel schlimmer — diese vorlaute, geldgeile Schnepfe von Tochter ertragen und dabei immer noch so allesverstehend lächeln? Die Güte stand Thekla Carola Wied natürlich auch bei ihrer Rolle als Nonne Maria gut zu Gesicht, und — kein Wunder bei meiner Schwäche für ältere Frauen — entsprechend nervös rutschte ich beim Pressetermin im Berliner Grunewald auf meinem weißlackierten Holzklappstuhl hin und her.

Doch erstmal muß die versammelte Horde aus älteren Damen von Gong und BZ mit Produzentin Regina Ziegler vorlieb nehmen, die vor mehr als zweieinhalb Jahren die Serie „Auf eigene Gefahr“ auf den Weg schickte. Huldvoll lauscht sie den Fragen nach der Besetzung und läßt nicht unerwähnt, daß man sich bemüht hat, möglichst viele „Darsteller aus den neuen Bundesländern“ einzubauen. Frau Wied spielt in der Serie eine Klatschreporterin mit „journalistischer Neugier und weiblicher Intuition“ (Pressetext), die vornehmlich durch ihr Privatleben auf allerlei drängende Probleme geschubst wird. Die Reporterin Anna Marx, diesen poetischen Namen trägt Frau Wied in der von mehreren ARD-Anstalten unter Federführung des WDR gerade in der Produktion befindlichen Serie, vermischt das Private mit dem Politischen: Da trifft das adoptierte Kind aus der sogenannten Dritten Welt auf Giftgas oder der neue Wagen des Geliebten auf Autoschieber aus Polen. Ihre Profession und die Liebe zu einem verheirateten Ministerialdirektor mit zwei Kindern läßt sie nicht nur zwischen neuer und alter Hauptstadt taumeln, sondern führt sie auch nach Mecklenburg-Vorpommern und die ehemaligen Ostgebiete („Danzig“). Während wir all dies hören, wird gerade im Restaurant, in dessen Vorgarten wir sitzen, gedreht. Allerlei wohlfeil gekleidete Personen sitzen herum und haben offensichtlich eine Aufgabe. Doch Frau Wied ist nicht darunter, dicke Mauern schützen den Drehort und den Star selbst vor neugierigen Blicken.

Derweil erzählt Produzentin Ziegler, daß sie bei der Entwicklung der Rolle immer an „die Thekla“ gedacht habe. Bei dieser vertraut klingenden Bezeichnung hebt sich eifersüchtig meine rechte Augenbraue, ein altes Familienleiden. Das wäre uns ja bestimmt nicht unbekannt: Wenn man jemanden so gut kennen würde wie „die Thekla“, würde man an diejenige natürlich auch die Rolle anpassen. Das Auditorium nickt wissend, sowas ist uns natürlich nicht fremd. Die Informationen prasseln weiter: Der Ministerialdirektor und „die Thekla“ schaffen es, daß Frau Ministerialdirektorin 13 Folgen lang nichts vom Verhältnis ihres Mannes mitkriegt. „Die Thekla“ hat in der Serie einen Ohrring-Fimmel, überall läßt sie die Dinger liegen, wir würden das ja kennen. „Die Thekla“ ist engagiert und tritt ihren männlichen Kollegen in der Bonner Zeitung auch schon mal auf die Füße. Das wühlt die Kollegin vom Gong auf: „Sie hat doch hoffentlich nichts Emanzenhaftes an sich?“ „Nein nein“, wehrt die Produzentin schelmisch entrüstet ab, „können Sie sich das vorstellen, wenn Sie die Thekla so sehen?“ Nein, das können wir natürlich nicht, erleichtert lächeln wir alle. Aber immer noch schwebt nur ihr Geist gleichsam über uns.

Frau Ziegler will jetzt mal sehen, ob sie „die Thekla“ loseisen kann, aber wir wissen ja, Termine, Termine und dann noch das Drehen. Zehn Minuten Audienz werden uns dann gewährt, man weiß ja, wie das ist, und eine Mittagspause will „die Thekla“ ja auch haben. Doch da ist sie. Riesige goldene Ohrringe hat sie an , wahre Monster, und erkundigt sich erstmal, ob wir schon alles über die Rolle erfahren haben, man will ja nicht alles doppelt erzählen. Ja ja, wissen wir schon alles. Ob ihr denn der Beruf Journalistin Spaß machen würde? Ja, schon, aber ihrer macht ihr mehr Spaß. Und wie würde sie Anna Marx beschreiben? Sie hat eine „journalistische Ethik“, aber da wartet schon der Fototermin, und weggehuscht ist sie. Hinfort, keine zwei Minuten. Wenn wir warten würden, hätte „die Thekla“ vielleicht noch mal Zeit. Und wir warten, warten bis zum Herbst '93, bis zum Pilotfilm, denn der hat dann gleich 90 Minuten.

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