Vance in Südafrika

Der UN-Sonderbeauftragte wird mit unterschiedlichen Erwartungen von Regierung und ANC konfrontiert  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Cyrus Vance, Sonderbeauftragter von UN-Generalskretär Butros Ghali, ist gestern in Pretoria mit dem südafrikanischen Präsidenten Frederick de Klerk und Außenminister Pik Botha zusammengetroffen. Während seines zehntägigen Besuchs will Vance auch Gespräche mit Vertretern des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und anderer Parteien führen. Der UN-Emissär soll im Auftrag des Weltsicherheitsrates Vorschläge erarbeiten, die die politische Gewalt unter Kontrolle bringen und die festgefahrenen Verfassungsverhandlungen wieder in Bewegung bringen können.

Sowohl die südafrikanische Regierung als auch der ANC haben den Vance-Besuch begrüßt. Aber die beiden wichtigsten Parteien in Südafrika sind sehr unterschiedlicher Meinung über den genauen Auftrag des Sonderbotschafters. Der Regierung zufolge ist das vorrangige Ziel der Vance-Mission die dringende Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Zukunft des Landes. Der ANC betont demgegenüber, daß die Eindämmung politischer Gewalt wichtiger sei. In der letzte Woche verabschiedeten UN-Resolution werden allerdings beide Ziele kombiniert: Vance soll Vorschläge machen, „die dazu beitragen, der Gewalt ein effektives Ende zu machen und die Bedingungen zu schaffen für Verhandlungen, die zu einem friedlichen Übergang zu einem demokratischen, nichtrassistischen und vereinten Südafrika führen“.

Der ANC hofft, eine ständige Überwachung der südafrikanischen Sicherheitskräfte durch UN-Beobachter durchsetzen zu können. Regierungssprecher haben angedeutet, das zu tolerieren. Die Regierung will andererseits über die UNO und die internationale Gemeinschaft Druck auf den ANC zur Wiederaufnahme der Verhandlungen ausüben. Auf die Frage, ob seine Mission zu einer stärkeren internationalen Beteiligung am Verhandlungsprozeß in Südafrika führen könnte, meinte Vance bei seiner Ankunft am Dienstag: „Ich hoffe, das wird nicht der Fall sein.“

Der ANC hatte die Verhandlungen abgebrochen, nachdem Mitte Juni mehr als 40 Menschen bei einem Massaker in einer Slumsiedlung südlich von Johannesburg ermordet wurden. Die Organisation hat die Kontrolle politischer Gewalt zur Vorbedingung für die Wiederaufnahme von Gesprächen gemacht. Indessen hat der ANC mit einer Serie von Demonstrationen begonnen. Dabei wurden mehrere hundert Menschen verhaftet.

Die Proteste sollen mit einem Generalstreik Anfang August ihren Höhepunkt erreichen. Seit mehr als zwei Wochen laufen Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, um das Ausmaß des Streiks einzuschränken. Ein Abkommen mit diesem Ziel sollte am Mittwoch abend von den Verbänden ratifiziert werden. Aber einige Geschäftsleute glauben, daß sie sich mit einem solchen Abkommen zu sehr dem ANC und seinen Verbündeten annähern würden.