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■ ARTUR, BERLINOIDMarktforschung

Gepflegtes Äußeres, höfliche Umgangsformen und ein freundliches Wesen, das waren die Ansprüche, die das Meinungsforschungsinstitut an potentielle Interviewer stellte. Per Kleinanzeige wurde man aufgefordert, sich telefonisch für diese leichte Tätigkeit zu melden.

»Angemessene Honorierung und Fahrgeld für eine streßfreie Arbeit«, las Artur weiter. Die gestellten Anforderungen könnte er mit ein bißchen Mühe ja erfüllen, prinzipiell jedenfalls, und... angemessene Honorierung? Die benötigte er durchaus dringlich.

Der Anruf bestätigte Arturs furchtbarste Ahnungen. Das Forschungsinstitut führte für einen »namhaften Getränkehersteller« — so drückte sich die Dame am anderen Ende der Leitung wahrhaftig aus —, »einen Hersteller anspruchsvoller alkoholischer Getränke« sogar noch, eine Umfrage mit Geschmacksprobe durch. Man händigte Artur umfangreiches Fragebogenmaterial sowie mehrere Klinikpackungen eines kräuterschnapsähnlichen Getränks aus.

Bei der ersten anberaumten Interviewsitzung entpuppte sich das Getränk als Destillat allerärgster Sorte. Arturs Gesprächspartner nippte daran, sprang auf, öffnete die Fenster, empfahl kategorisch, diesen Stoff unter gar keinen Umständen in geschlossenen Räumen zu verkonsumieren und verlangte ein zweites Gläschen.

Insgesamt hat Artur wohl vier oder sechs originale Interviews durchgeführt, aber die Erfahrung, daß durchaus phlegmatische und kommunikationsarme Naturen zu rasenden Tierstimmenimitatoren wurden und hartnäckig auf weiteren Kostproben des Magenbitters bestanden, hat ihn dann von weiteren Direktbefragungen absehen lassen.

Er hat die restlichen Flaschen des streng riechenden Getränks, das ihm selbst gar fürchterlich auf der Zunge brannte und dessen magenschleimhautberuhigende und die Peristaltik anregende Wirkung wohl nur der Hersteller verspürt hat, mit nach Hause genommen. Nur ab und zu bietet er unerwarteten Besuchern ein Pröbchen an, scheel grinsend sagt er dazu: »Erst prob's, dann lob's.«

Die restlichen fünfundvierzig Fragebögen hat er zusammen mit Zora in Heimarbeit sorgfältig individuell ausgefüllt, schließlich weiß man ja, was bei solchen Erhebungen rauskommt.

Gegen den Widerstand der Schorlefraktion hat dieser Schnaps inzwischen einen bemerkenswerten Status erreicht: Für bestimmte Kreise bedeutet es eine schwere Mutprobe, mehr als einen davon zu sich zu nehmen. Normalerweise ist das nur unter außergewöhnlichen Verrenkungen der Gesichtsmuskulatur möglich; dennoch soll in süddeutschen Landschaften die Fangemeinde stetig zunehmen. Clemens Walter

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