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Die dunklen Jahre des Boykotts

■ Kleine Geschichte der Olympischen Sommerspiele von Athen 1896 bis Barcelona 1992, Teil IV

Hamburg (dpa/taz) — Noch in Mexiko hatte das IOC 1968 beschlossen, daß die DDR künftig mit eigener Hymne und Fahne teilnehmen durfte. Die „Spalterflagge“ war ausgerechnet für die Spiele beim „Klassenfeind“ salonfähig geworden. Und die DDR zeigte es mit 20 Gold-, 23 Silber- und 23 Bronzemedaillen den Bundesdeutschen (13/11/16) 1972 in München. Renate Stecher aus Jena gewann beide Sprints, verlor als Schlußläuferin der Staffel aber gegen die Leverkusenerin Heide Rosendahl, die schon den Weitsprung gewonnen hatte. Ulrike Meyfarth holte sich als 16jährige den Olympiasieg im Hochsprung, den sie zwölf Jahre später wiederholte. Der amerikanische Schwimmer Mark Spitz setzte ein neues Maß: sieben Siege bei einer Olympiade. Doch was so heiter begann, wurde unversehens zum blutigen Drama. Palästinensische Freiheitskämpfer überfielen das olympische Dorf, zwölf Israelis, ein Polizist und fünf der Attentäter kamen ums Leben. Die Spiele wurden nach einem Trauertag fortgesetzt. IOC-Präsident Avery Brundage sagte: „The games must go on!“

Die Spiele gingen auch 1976 in Montreal weiter, obwohl Schwarzafrika die Serie der Olympia-Boykotts aus Protest gegen die Teilnahme Neuseelands einleitete. Die „Kiwis“ unterhielten Sportkontakte zu dem vom IOC wegen der Rassentrennungspolitik ausgeschlossenen Südafrika. Die rumänische Turnerin Nadia Comaneci verzauberte die Sportwelt, der Finne Lasse Viren wiederholte über 5.000 und 10.000 Meter seine Erfolge von München.

Danach folgte ein weiteres dunkles Kapitel der olympischen Geschichte: US-Präsident Jimmy Carter setzte 1980 bei rund 50 Ländern einen Boykott der Spiele von Moskau durch, weil sowjetische Truppen Afghanistan besetzt hatten. Vier Jahre später revanchierten sich die Sowjets und blieben mit ihren Verbündeten (Ausnahme: Rumänien) den Spielen von Los Angeles fern.

Nach der Eröffnungsfeier im Leninstadion entbrannte 1980 der Bruderkampf um die Vormachtstellung. Das Ergebnis: Sowjetunion (80) und DDR (47) holten in Abwesenheit von USA und Bundesrepublik weit über die Hälfte der 203 vergebenen Goldmedaillen. Die Glanzlichter setzten aber die Briten Sebastian Coe und Steve Ovett mit packenden Mittelstreckenduellen und ihr Landsmann Daley Thompson, der seine Dominanz im Zehnkampf antrat. Noch ein die Zukunft prägendes Ereignis bleibt mit den Spielen von Moskau verbunden: Der Spanier Juan Antonio Samaranch wurde als Nachfolger des irischen Lords Killanin zum IOC-Präsidenten gewählt.

Mit den ersten frei finanzierten Spielen in Kalifornien brachen alle Dämme des Kommerzes. Das Organisationskomitee erwirtschaftete ein Plus von über 200 Millionen Dollar, was die Begehrlichkeit des IOC für künftige Spiele nur erhöhte. Was bei Olympischen Spielen zu verdienen ist, wurde am Beispiel des Fernsehsenders ABC deutlich: Er hatte 225 Millionen Dollar für die Übertragungsrechte bezahlt, 615 Millionen nahm er für verkaufte Werbeminuten ein. Die USA feierten 83mal Gold, viermal stand Owens-Nachfolger Carl Lewis auf dem obersten Treppchen. Von den 59 bundesdeutschen Medaillen holte der Schwimmer Michael Groß allein vier.

Ganz ohne Boykott kamen auch die XXIV. Olympischen Spiele 1988 in Seoul nicht davon. Weil Nordkorea im Süden des Landes nicht dabei war, führte Kubas Diktator Fidel Castro ein kleines Häufchen von Boykotteuren an. Dennoch wurden in der südkoreanischen Hauptstadt alle Rekorde gebrochen: 9.101 Sportler (knapp 2.000 mehr als beim bisherigen Rekord von München) aus 160 Ländern kämpften in 23 Sportarten um 237 Goldmedaillen. Die Vergabe der attraktivsten im 100-m-Sprint der Männer führte zum größten Skandal: Der Kanadier Ben Johnson, der mit 9,79 Sekunden Weltrekord lief, wurde des Dopings überführt. Mit der Teilnahme der Tennisprofis wurden die Berufssportler endgültig hoffähig. Kristin Otto ahnte bei ihren sechs Siegen im Schwimmbassin noch nicht, daß dies die olympische Abschiedsvorstellung der DDR sein würde. Mit dem Mannschaftserfolg wurde Dressurreiter Reiner Klimke, der erstmals 1964 dabei war, zum erfolgreichsten Deutschen (6/0/2) aller Olympischen Spiele.

In Barcelona wird nun ein neues Kapitel einer faszinierenden Geschichte geschrieben: noch mehr Wettbewerbe, Teilnehmer und Kommerz. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen, denn mit der Wahl von „Coca-Cola City“ Atlanta zum Ausrichter der Spiele von 1996 hat das IOC ein weiteres Zeichen für die Zukunft gesetzt. Hans-Hermann Mädler

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