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Im Wespennest

Surinam, der Ministaat im Nordosten Südamerikas, liegt im Klammergriff von Drogenmafiosi/ Der allmächtige Armeechef Desi Bouterse klüngelt gewinnbringend mit dem kolumbianischen Drogenkartell von Medellin  ■ VON HENK RAIJER

Auf den ersten Blick ist in Paramaribo von einer Krise nichts zu spüren. Die 180.000 Einwohner der Hauptstadt Surinams, der einstigen niederländischen Kolonie an der Nordostküste Südamerikas, scheinen sich mit dem Unausweichlichen abzufinden. Zwar sind die Regale in den Geschäften meistens leer, die Schlangen vor den Tankstellen lang. Zucker wird unter strenger Aufsicht vor der Tür des Polizeipräsidiums zugeteilt. Aber auf dem zentralen Markt der Hauptstadt gibt es fast alles zu kaufen, wenn man nur in der Lage ist, gigantische Summen hinzublättern. So zahlt dort ein Beamter, der im Monat knappe 1.000 Gulden verdient, zwei Gulden für ein Ei, für ein Huhn 60 Gulden pro Kilo, Zigaretten werden einzeln verkauft, in den wenigsten Kneipen sind Cola (zehn Gulden) oder gar Bier (25 Gulden pro Flasche) noch im Angebot, weil es ohnehin kaum noch verlangt wird. Die Kaufkraft der meisten Familien ist unter die Armutsgrenze gerutscht, sie überleben nur noch durch die finanziellen Zuwendungen von Verwandten, die mittlerweile zu Hunderttausenden die niederländischen Betonsilos von Amsterdam, Utrecht oder Den Haag bevölkern.

Aber wer in diesen Tagen auf den Straßen und Plätzen des idyllischen Küstenorts voller Holzbauten im holländischen Kolonialstil über die anstehende Sanierung der Wirtschaft diskutieren will, steckt seine Finger in ein Wespennest. Denn entweder sein Gesprächspartner gehört zu der großen Gruppe verarmter Surinamer, die in den vergangenen fünf Jahren Preissteigerungen von 700 Prozent haben hinnehmen müssen — während Löhne und Gehälter derer, die Arbeit haben, um läppische 50 Prozent angehoben wurden. Oder aber man trifft auf einen jener Lebenskünstler, die vom beklagenswerten Zustand der Ökonomie noch profitieren, indem sie sich auf dem einzig noch funktionierenden Markt des Landes engagieren: dem von der Regierung tolerierten und genutzten Devisenschwarzmarkt. So unterschiedliche Interessen sie beide haben: Keiner von ihnen ist gut zu sprechen auf die geplante Roßkur, der Surinams Regierung die heimische Wirtschaft unterziehen will.

Devisenschwarzmarkt — ein Gottesgeschenk

Produziert wird in dem Kleinstaat am Atlantik kaum noch. Die Reis-, Zucker-, Bananen- und Kaffeeplantagen haben seit längerem keine Devisen mehr, um ihre Anlagen instandzuhalten. Auch macht es für immer weniger Arbeiter Sinn, gegen Bezahlung mit Surinam-Gulden, für die man sich kaum noch etwas leisten kann, einer regulären Beschäftigung nachzugehen. Noch ist die Bauxit- Industrie Surinams wichtigstes Standbein — immerhin verdankt das Land über 80 Prozent seiner Deviseneinnahmen zwei Bauxitproduzenten: der Shell-Tochter Billiton und der US-amerikanischen Alcoa- Tochter Suralco. Doch auch die erholt sich erst seit gut drei Jahren wieder vom Preiseinbruch zu Beginn der achtziger Jahre. Schließlich der Behörden-Wasserkopf: Zwischen 40 und 50 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung des 400.000-Einwohner-Landes arbeitet für den Staat, die Gehälter von Angestellten und Beamten schlucken 65 Prozent des Staatsbudgets. Die daraus erwachsenen Defizite wurden nach bewährtem Rezept mit Überstunden an der Notenpresse wettgemacht.

Der Devisenschwarzmarkt ist daher für nicht wenige Surinamer ein Gottesgeschenk. Die Regierung gewährt ihren Bürgern entsprechend den eingegangenen Anträgen auch schon einmal eine bestimmte Summe US-Dollar — zu einem Offiziellen Kurs von 1:1,80. Mit diesen preiswerten Dollar können sich die Begünstigten nach jahrelanger Warterei ihren Herzenswunsch erfüllen und sich einen japanischen Mittelklassewagen bestellen. Kaum haben sie den am Kai von Paramaribo in Empfang genommen, verkaufen sie ihn auf dem Schwarzmarkt zu einem Kurs von 1:1,20 — womit sie, fürs erste, saniert sind.

Die Umsetzung eines im Auftrag der EG jüngst vorgelegten Sanierungsprogramms, mit dem sich Präsident Ronald Venetiaan, 55, die Wiederaufnahme der während der Militärdiktatur von 1980 bis 1987 gesperrten internationalen Entwicklungshilfe verdienen will, ist nicht einfach. Wirtschaftspolitik ist in Surinam vor allem ein Lavieren zwischen den ökonomischen Einflußzonen der verschiedenen Ethnien. Zwar wissen die Mitglieder aller Parteien, daß diesmal ohne wirklich durchgreifende Maßnahmen mit Unterstützung aus dem Ausland, namentlich aus den Niederlanden, nicht zu rechnen ist.

Surinam wurde auf seltsame Weise souverän

Aber eine Reform, die die radikale Abwertung des Surinam-Guldens und damit die Beseitigung des Devisenschwarzmarkts, die Entlassung etwa der Hälfte der Beamtenschaft sowie vor allem eine gründliche Aufklärung der Verwicklung der Armeeführung in das Drogengeschäft vorsieht, wird Kreolen (Bevölkerungsanteil: 31,3 Prozent), Javaner (14,2), Chinesen (2,8) und Indo-Pakistaner (37) fast zwangsläufig gegeneinander aufbringen. Vor allem die Armeeführung um Surinams starken Mann Desi Bouterse hat einiges zu verlieren. Von den ersten Zivilregierungen nach 1987 wurde sie noch geschont — nicht zuletzt, weil die von ihr getragenen Politiker an den weitverzweigten Geschäften des Bouterse-Clans ganz gut mitverdienten.

Sollte Präsident Venetiaan, der der kreolisch dominierten NPS angehört, ernst machen mit seiner Ankündigung vom Dezember 1991, er werde für den Fall, daß die Armeeführung erneut die Demokratie bedroht, in Den Haag um die Entsendung von Truppen nachsuchen, ja sogar die amerikanische Drogenpolizei (DEA) zwecks Aufklärung der Kokain-Verbindungen der Militärs nach Paramaribo bitten, geht es ans Eingemachte. Spätestens seit den Enthüllungen der DEA im Juli 1991 läßt sich mit großer Sicherheit nachweisen, daß der ehemalige Diktator Desi Bouterse und seine beiden Stellvertreter Ivan Graanoogst und Ruben Rozendaal Surinam zu einem Umschlagplatz für den internationalen Kokainhandel ausgebaut haben.

Nach Erkenntnissen von DEA- Fahndern und ihren niederländischen Kollegen befindet sich Surinam in den Händen einer Drogenmafia — mit Armeechef Bouterse an der Spitze. Auf Dutzende Millionen Dollar wird sein persönliches Vermögen geschätzt, das er durch seine guten Kontakte zum Medellin-Kartell aufgebaut hat. Über die Surinam- Connection sind in den vergangenen Jahren mindestens einige zehntausend Kilo Kokain nach Europa und in die USA gelangt. 90 Prozent allen Kokains, das auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol beschlagnahmt wird, stammt aus dem Zwischenlager Surinam.

Wenn zur Neuordnung der Wirtschaft nun also die Schattenwirtschaft beseitigt werden soll, wird sich die Regierungskoalition aus Venetiaans NPS, der javanischen KTPI, der Hindu-Partei VHP sowie der sozialdemokratischen SPA mit dem mächtigen Kartell anlegen müssen. Zur Zeit werden auf Surinams Schwarzmarkt jährlich etwa 175 Millionen Dollar umgesetzt. Über ihn werden nicht nur Devisengeschäfte abgewickelt. Den größten Posten bilden die Erträge aus dem Drogenhandel. Nach Informationen aus dem Justizministerium sowie der Polizei stammen 40 bis 50 Prozent der 175 Millionen Dollar aus dem Geschäft mit dem begehrten Stoff.

Surinam hat die typische Biographie einer niederländischen Kolonie: Die Holländer häuften Reichtümer nicht in der Produktion an, sondern im Handel. Der Staat war seit 1667, als die Holländer den Landstrich gegen Neu Amsterdam (New York) eintauschten, nichts weiter als eine Ansammlung von Plantagen, abhängig von der Arbeit schwarzer Sklaven, die auf holländischen Schiffen in Massen über die Weltmeere transportiert worden waren. Aber bereits Mitte des 18. Jahrhunderts verfiel das Land zusehends, weil Investitionen ausblieben und die Preise für Zucker, Kaffee oder Kakao fielen. Hätte es nicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Bauxit-Industrie noch mal einen Follow-up gegeben, Holland hätte seine südamerikanische Kolonie schon zur Jahrhundertwende abgeschrieben.

1916 vergab Den Haag für einen Spottpreis die Bauxit-Schürfrechte an eine große US-amerikanische Firma — für 40 Jahre. Nicht mal als das dynamische Unternehmen in den dreißiger Jahren den Behörden in Den Haag den Vorschlag machte, zwecks Stromgewinnung das Wasser des Marowijne-Flusses zu nutzen, um den kostbaren Rohstoff vor Ort zu Aluminium zu verarbeiten, griffen die Niederländer zu. So verschifften die investitionswilligen Amerikaner die rohen Erze weiterhin mit ihrer eigenen Flotte gen Norden — und die Kolonie dämmerte dahin. Auch als die niederländische Bergbaugesellschaft Billiton ab Mitte der fünfziger Jahre das Geschäft mit den begehrten Erzen übernahm und der Bevölkerung Surinams relativen Wohlstand brachte, verwehrte Den Haag seine Zustimmung zur Errichtung einer verarbeitenden Industrie. Lieber subventionierte man die immer teurer werdende Kolonie.

1975 verabschiedeten sich dann die ehemaligen Herren aus dem fernen Holland mit einem goldenen Händedruck: der Zusage für 3,7 Milliarden königliche Gulden Wirtschaftshilfe im folgenden Jahrzehnt. Dennoch hat kein Land der Welt auf so seltsame Weise seine politische Souveränität erlangt wie Surinam. Das Ende der niederländischen Vormundschaft entsprang ausschließlich dem Wunsch der Regierenden in Den Haag, die das Zusatzgeschäft in den fernen Tropen loswerden und dem stetig wachsenden Strom von Zuwanderern mit niederländischem Paß Einhalt gebieten wollten. Seit 1955 waren die Niederlande, Surinam und die Niederländischen Antillen gleiche Partner im Königreich. Die Surinamer selbst waren mit dem Commenwealth-Status durchaus zufrieden. Das Parlament in Paramaribo akzeptierte mit nur einer Stimme Mehrheit das Danaergeschenk Unabhängigkeit aus Übersee.

Von einer Nation konnte von Anfang an keine Rede sein, zu verschieden waren die wirtschaftlichen Aussichten und politischen Ambitionen der einzelnen ethnischen Gruppen, die mit Ausnahme der Ureinwohner (heutiger Bevölkerungsanteil: 3,1 Prozent) im Laufe der Jahrhunderte als Sklaven oder Vertragsarbeiter nach Südamerika verschleppt wurden. In den ersten fünf Jahren nach der Entlassung in die Unabhängigkeit polarisierten sich die beiden größten Bevölkerungsgruppen, Kreolen und Indo-Pakistaner, immer mehr. Sie organisierten sich streng entlang ethnischer Grundlinien in ihren jeweiligen Parteien — und bereicherten sich, so gut sie konnten. Die hochgesteckten Erwartungen der ersten Regierung unter Henck Arron, mit den Milliarden aus Den Haag die neugewonnene Souveränität auch wirtschaftlich untermauern zu können, wurden nicht erfüllt.

USA wollen Drogensumpf trockenlegen lassen

Wie eine Erleichterung erschien es da, als der kreolische Feldwebel Desi Bouterse zusammen mit 15 weiteren Unteroffizieren im Februar 1980 einen Putsch ohne Blutvergießen inszenierte. Anfangs genoß Bouterse mit seinen verquasten Vorstellungen von einer sozialistischen Gesellschaft die Sympathie des Volkes, und Den Haag hoffte, daß ein starker Mann in der ehemaligen Kolonie Ordnung schaffen würde. Aus Ordnung jedoch wurde schnell Repression. Als im Dezember 1982 die neuen Machthaber 15 Oppositionelle umbringen ließen, stellte die niederländische Regierung ihre Zahlungen ein: 1,7 Milliarden Gulden wurden erst mal eingefroren.

Durch das Ausbleiben der Entwicklungshilfegelder und weil zur gleichen Zeit der Weltmarktpreis für Bauxit in den Keller rutschte, verarmte das Volk. Das Regime suchte nach neuen Geldquellen. Und fand sie schließlich auch beim Medellin- Kartell in Kolumbien.

Mehrmals in den acht Jahren seiner Herrschaft versprach Bouterse Wahlen. 1987 war es dann soweit, und Bouterses NDP, der verlängerte politische Arm der Militärs, erlitt erwartungsgemäß eine vernichtende Niederlage. Aber die „Front für Demokratie und Entwicklung“, ein Regierungsbündnis aus den traditionellen Parteien, das auch schon vor dem Putsch von 1980 die Amtsgeschäfte geführt hatte, vermochte die wirtschaftliche Misere Surinams nicht ansatzweise zu beseitigen. Im Gegenteil: der neuen Regierung unter Ramsewak Shankar (VHP) gelang es nicht, die Interessengegensätze zwischen Kreolen und Indo-Pakistanern zu überbrücken. An Heiligabend 1990 rief die Armeeführung bei Shankar an, der gerade mit seinem Vize — dem bereits bekannten Henck Arron — und dem Parlamentspräsidenten Jagernath Lachmon zum Abendessen zusammensaß, und teilte den höchsten Politikern des Landes formlos mit, sie sollten sich als abgesetzt betrachten. Der „Weihnachtscoup per Telefon“ war nach Meinung der Militärs kein Putsch; schließlich hätten sie nur ihrer in der Verfassung verankerten Verantwortung für das Land Rechnung getragen, um „Mißwirtschaft und Korruption Einhalt zu gebieten“. In den Tagen bis Silvester bastelte Bouterse dann ein Marionettenkabinett, mußte aber auf internationalen Druck hin und weil die Niederlande für die Wiederaufnahme der 1982 gesperrten Entwicklungsgelder ernsthafte Schritte in Richtung Demokratie und Wirtschaftsreform verlangten, für den Mai 1991 Wahlen ausschreiben.

„Nieuw Front“ heißt das neue alte Bündnis, das seither regiert; es sind dieselben Parteien (NPS, KTPI und VHP) wie schon vor dem Weihnachtscoup, erweitert lediglich um die sozialdemokratische SPA, die der Koalition zur absoluten Mehrheit verhilft. Ronald Venetiaan weiß um die Ochsentour, scheut aber nicht die offene Konfrontation mit dem mächtigen Armeechef Bouterse. Er ist sich der Tatsache bewußt, daß die Gelder, die er braucht für den Neuaufbau der Wirtschaft, nicht fließen werden, solange die Militärs in die Geschicke des Landes hineinregieren. Zwei Drittel der geschätzten 6.000 Armeeangehörigen sollen entlassen werden. Im Entwurf für eine Verfassungsänderung ist schon die Abschaffung der Wehrpflicht vorgesehen. Und nicht nur die Niederlande befürchten, daß ihr Geld, wenn sie es nicht „projektgebunden und unter fachmännischer Aufsicht“ in Surinam anlegen, wieder in die Hände der Militärs gelangt; auch die USA, denen Bouterse als zweiter Noriega gilt, wollen, bevor sie über Kredite reden, erst mal den tropischen Drogensumpf trockengelegt wissen.

Anders als in vielen Entwicklungsländern hat nicht der Internationale Währungsfonds (IWF), sondern die EG die Federführung bei der Sanierung der Wirtschaft übernommen. Im Vergleich zu den üblichen IWF-Auflagen kommen die Forderungen des EG-Gutachtens noch sozialverträglich daher. Vorgesehen sind eine Abwertung der Währung, die Halbierung der Beamtenschaft, die Abschaffung des Devisenschwarzmarkts, Privatisierung staatlicher Betriebe und Reformierung der Besteuerung der Bauxit-Industrie. Aber Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung stehen schnellen Entscheidungen im Weg. Die Koalitionspartner VHP und KTPI wollen eine Währungsabwertung erst nach Ankurbelung der Wirtschaft und eine soziale Abfederung der Sanierung. Denn ein Sozialversicherungssystem gibt es in Surinam nicht. Massenentlassungen könnten zu Unruhen führen — und davon könnte die Armee profitieren.

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