: „Dafür find' ick keene Worte“
Mit Hilfe von Günter, der Maus, holte die 14jährige Franziska van Almsick überraschend Bronze über 100 Meter Freistil ■ Aus Barcelona Michaela Schießl
Eigentlich war das Ganze ein großes Versehen. Franziska van Almsick, die 14jährige Berlinerin, wollte gar nicht starten über 100 Meter Freistil. „Ich schwimm hier schon jeden Tag, aber als Deutsche Vizemeisterin mußte ich antreten. Man sieht ja, was daraus geworden ist.“
Das Ergebnis ist unübersehbar: rund, aus Bronze, hängt um den Hals des jüngsten Teammitglieds und ist der Grund dafür, daß sie nach dem Rennen „so viele anstrengende Interviews“ geben muß. Aber witzig findet sie den ganzen Rummel schon: „Als ich neun war, hat mir mein Papi einen Aufkleber Barcelona 1992 mitgebracht. Den hab ich mir ans Fenster geklebt und gedacht: Da fahr ich hin. Obwohl ich damals im Wasser nur so rumgepaddelt bin.“
Am Sonntag paddelten nur noch zwei schneller als sie: die Chinesin Yong Zhuang, und die favorisierte Weltrekordhalterin Jennifer Thompson (USA). Untröstlich klammerte sich Thompson nach dem verlorenen Rennen an die Poolbande und weinte ihrem im Vorlauf aufgestellten neuen olympischen Rekord (54:69 Sekunden) hinterher. Den hatte soeben die Chinesin in 54:64 Sekunden gebrochen.
Während Zhuang vor Glück das Wasser auspeitschte, wußte Franziska nach 54:94 wilden Sekunden nichts rechtes anzufangen mit ihrem Erfolg. Schließlich reckte sie die Faust aus den Fluten, wie sie es so oft bei anderen gesehen hatte. Was sie gefühlt hatte, auf dem Siegerpodest? „Dafür find ick keene Worte. Da müssen sie schon selber mal gewinnen.“
Das Berliner Kindl ist erfrischend direkt, nur manchmal etwas schüchtern. Ruhig sitzt der zierliche, hübsche Lockenkopf auf dem Podium, stemmt die Fäuste ins Gesicht und schielt mißtrauisch zu der überaus kräftigen Zhuong mit der tiefen Stimme.
Doch in Fallen tritt sie nicht: Die Chinesin sei eben schon 20, und hat, „wie soll ich sagen, viel mehr Kraft“. Im Wasser habe sie sie noch nicht beobachtet, „wenn die schwimmt, schwimm ich auch“.
Weniger sehen ist ohnehin mehr, weiß die Neuntkläßlerin. Kürzlich hatte sie ärgerlicherweise ein Rennen verloren, weil sie immerfort nach den anderen gelugt hatte. „Nun schwimme ich ganz allein für mich. Ich schau nicht nach rechts und links, bloß stur nach unten. Und schwimm.“ Wie ein Rennpferd mit Scheuklappen.
An Land jedoch sind die Augen offen: „Schon schöner hier als bei einer Kreisspartakiade.“ Doch statt ihrem Alter gemäß zu kichern und zu feiern, analysiert die Entdeckung der Saison das Rennen: Fest sei sie geworden gegen Ende, aber sonst schlau geschwommen, nach hinten raus stark. Besser als im Vorlauf. Da war es umgekehrt, und ihr Trainer meint, da sei sie psychisch festgefahren. Der Teenager mit 1,75 Meter Körpergröße und 22 Trainingseinheiten pro Woche wirkt erstaunlich erwachsen. Sogar ihren Papi hat sie daheimgelassen, der stört nur. „Schwimmen ist meine Sache. Da muß sich keiner reinmischen.“ Alles was sie braucht, sind Glücksbringer, und die sind dabei: Ihr Liebling, das Plüschschwein und Günter, die Maus.
Fast so wichtig wie Günter, die Maus dürfte Dieter, der Coach gewesen sein. Bis kurz vor Beginn der Olympischen Spiele war die Teilnahme des Heimtrainers ungewiß. Weil er beim ehemaligen SC Dynamo Berlin in Führungsgremien saß, wird ihm die Beteiligung an Doping vorgeworfen. Der 41jährige, der verdächtig viele verdächtig große Erfolge vorweisen kann, bestreitet dies.
Doch der Landessportbund Berlin ließ seinen Vertrag im Juni auslaufen. „Eine tolle Idee, so kurz vor den Spielen“, schimpfte Franziska damals im Stern. „Wissen die Funktionäre eigentlich, daß du als Sportler vor allem 'nen klaren Kopf brauchst?“ Letztendlich setzte sich der Schwimmverband erfolgreich beim NOK für eine Nominierung Lindemanns ein, der seit drei Jahren mit „dem Bewegungstalent“ Almsick übt. So ist die Bronzemedaille auch für ihn eine Genugtuung. „Das ist schon ein Spaß, denen eins auszuwischen.“
Und der Spaß geht weiter: Franziska startet noch über 50 und 200 Meter Freistil, 100 Meter Schmetterling und in der Staffel. Günter, dein Einsatz!
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