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Die Anderen

■ Betr.: "Die Rückkehr von Erich Honecker..." / Berlingske Tidende, Kopenhagen/ El Mundo, Madrid/ L'Humanite, Paris/ The Guardian, London/ Liberation, Paris

Die Rückkehr von Erich Honecker nach Deutschland stößt überall in Europa auf breites Interesse:

Es geht nicht darum, daß Deutschland sich an Honecker rächen will, sondern darum, klarzulegen, daß die Handlungen einer Reihe der DDR- Führer ungesetzlich waren, und darum, zu zeigen, daß die Gesetze für alle gelten — ohne Rücksicht auf Rang und Status. (Berlingske Tidende — Kopenhagen)

Für seine direkte und unbestreitbare Verantwortung am Tod von mindestens 49 Menschen an der Mauer muß er zur Rechenschaft gezogen werden. (El Mundo — Madrid)

Nur das Volk seines Landes könnte über Honecker urteilen. Doch die DDR besteht nicht mehr, und jeder weiß, was seinem Volk in den Ruinen seiner Wirtschaft und seines gesellschaftlichen Lebens zu sagen bleibt. (L'Humanité — Paris)

Man braucht mit Honecker kein Mitleid zu haben, doch ist es vielleicht nicht so einfach — wie in Fällen von Kriegsverbrechen oder Massentötungen — zu argumentieren, daß der Prozeß gegen ihn (und seine Mitarbeiter) ein moralisches Muß ist. Es lohnt sich auch nicht, nach konsequenter Vorgehensweise zu suchen. Tausende von anderen vermeintlichen Verbrechen des Staatsapparats in der DDR werden nicht bis zum selben bitteren Ende verfolgt, ähnliche Fälle in anderen Ostblockländern erst recht nicht. Im Licht und Schatten eines anderen Europas haben die neuen Regierungen genug Probleme, ohne auch noch die zweifelhaften Fäden der Vergangenheit auseinanderzusortieren. (The Guardian — London)

Die Anklage Erich Honeckers stellt Deutschland vor ein unlösbares Dilemma, mit dem es bereits 1945 konfrontiert war. Wer trägt die Schuld? Ist die DDR kollektiv verantwortlich? Reicht es aus, einem hochrangigen Sündenbock die Schuld in die Schuhe zu schieben, um 16 Millionen „Mitläufer“ weißzuwaschen, die sich vierzig Jahre lang nicht gerührt haben? Es wäre auch schwer annehmbar, über der Verurteilung Erich Honeckers den Widerstandskämpfer gegen das III. Reich, der zehn Jahre seines Lebens in den Gefängnissen und Nazi-Lagern verbracht hat, völlig zu vergessen. (Libération — Paris)

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