: Politischer Streik in Südafrika
Aktionswoche des ANC/ Weiße Minderheitsregierung soll zu Kompromissen bei Verhandlungen gezwungen werden/ Gespräche zwischen Gewerkschaften und Unternehmern scheiterten ■ Aus Johannesburg Hans Brandt
Ein zweitägiger Generalstreik, danach Sit-Ins in Betrieben und Regierungsgebäuden, die Besetzung von Stadtzentren, Großdemonstrationen im ganzen Land: die Aktionswoche des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und seiner Verbündeten soll Südafrika sieben Tage lang lang aus seiner alltäglichen Routine herausreißen. Die Ziele der Kampagne sind politische: Die weiße Minderheitsregierung soll unter Druck gesetzt werden, um Zugeständnisse in Verhandlungen über die Zukunft des Landes zu machen. Aber Geschäftsleute warnen schon seit Wochen, daß die Aktionen der Wirtschaft des Landes schweren Schaden zufügen könnten.
Warnungen aus der Wirtschaft
„Dieser Streik ist ein sehr riskantes Manöver“, meint Raymond Parsons, Direktor der südafrikanischen Geschäftskammer Sacob. „Die Möglichkeit, daß es zu Gewalttaten kommen könnte, daß bestimmte Betriebe in den Bankrott gezwungen werden könnten, die Auswirkungen auf das Investitionsklima, auf das Interesse internationaler Investoren — all das sind Bereiche, über die sich Geschäftsleute Sorgen machen.“
Wirtschaftsverbände haben in den letzten Wochen in intensiven Verhandlungen mit dem Gewerkschaftsverband Cosatu versucht, die ökonomischen Auswirkungen des Streiks zu reduzieren. „Eine Modifizierung der ANC-Position ist erkennbar“, meint dazu Parsons. „Anfangs war von einem einwöchigen Streik die Rede, jetzt sind die Ziele etwas bescheidener.“ Zwar kam ein Abkommen zwischen dem Arbeitgeberverband Saccola und Cosatu nicht zustande. „Aber die Gespräche haben ein besseres Klima geschaffen, in dem der Streik stattfinden kann“, betont Parsons.
Die Geschäftswelt hat sich damit abgefunden, daß der Streik nicht mehr zu verhindern ist. „Man kann den Streik auch rationalisieren als einen Meinungstest“, sagt Parsons. „Das ist sozusagen das schwarze Referendum.“ Damit zieht er einen Vergleich mit dem Referendum für Weiße, das im März abgehalten wurde. Damals unterstützte eine überwältigende Mehrheit aller weißen Wähler die Abschaffung der Apartheid. Und Wirtschaftsverbände spielten eine entscheidende Rolle, indem sie erhebliche Mittel in eine Werbekampagne für die Unterstützung des Reformprozesses steckten.
Für den ANC und seine Verbündeten von Cosatu und der südafrikanischen Kommunistischen Partei demonstriert das die Unterstützung der Geschäftswelt für Präsident Frederick De Klerk und seine Nationale Partei. Denn eine formale Unterstützung für das „schwarze Referendum“ verweigerten Geschäftsleute vor zwei Wochen. Damals kam es fast zur Unterzeichnung eines Abkommens zwischen Cosatu und Saccola, in dem Geschäftsleute im Tausch für einen nur eintägigen Streik verschiedene politische Forderungen des ANC unterstützt hätten. Das Abkommen wurde jedoch in letzter Minute gekippt, nachdem die Regierung Druck auf Saccola ausgeübt hatte.
„Die Arbeitgeber haben eine historische Gelegenheit verspielt“, hieß es anschließend in einer Cosatu- Erklärung. „Während sie erklären, die Demokratie zu unterstützen, unterstützen sie in Wirklichkeit den Versuch der Regierung, sich an der Macht festzuklammern.“
Im schlimmsten Fall könnte die Aktionswoche nach Saccola-Berechnungen verursachen, daß das Brutto-Sozialprodukt in diesem Jahr zusätzlich um ein halbes Prozent sinkt. Das würde bedeuten, daß Südafrikas Wirtschaft 1992 um 1,5 bis zwei Prozent schrumpft.
Düstere Prognosen
Politische Unsicherheit ist für den Abschwung in diesem Jahr allerdings nicht verantwortlich. Zu Beginn des Jahres hatten Wirtschaftsexperten sogar ein Wachstum von ein bis zwei Prozent vorausgesagt. Aber die schwere Dürre, die das gesamte südliche Afrika heimsucht, hat die Wachstumsprognosen umgekehrt. Das Land befindet sich jetzt in der schlimmsten Rezession seit 50 Jahren.
Hinzu kommt die Unsicherheit in der Weltwirtschaft. „Südafrika ist abhängig von der internationalen Nachfrage nach seinen Rohstoffen“, betont Tony Twine, Direktor der Johannesburger Beratungsfirma Econometrix. „Solange sich da nichts tut, ist eine Erholung in Südafrika unwahrscheinlich.“ Sogar der Anstieg im Goldpreis in den letzten Wochen hat kaum eine Auswirkung, da er vor allem auf eine Schwäche des US- Dollar zurückzuführen ist.
Für den ANC ist der schlechte Zustand der Wirtschaft kein Anlaß, die Streikwoche abzusagen. „Die Mißwirtschaft in Südafrika ist so massiv, daß der Streik sie kaum noch verschlechtern kann“, sagte ANC-Präsident Nelson Mandela vor kurzem.
Bei allen Alarmrufen südafrikanischer Experten scheinen politische Überlegungen und eine allgemeine Ablehnung der Politik des ANC eine große Rolle zu spielen. Denn alle Experten bestätigen auch, daß die Auswirkungen des Streiks durch eine Reihe von pragmatischen Maßnahmen eingeschränkt werden können. Produktionsverluste an Streiktagen können beispielsweise an späteren Tagen eingeholt werden. Viele Betriebe können aufgrund der schlechten Wirtschaftslage ihre Produktionskapazität ohnehin nicht voll auslasten.
Auch die Warnungen, daß internationale Investoren aufgrund des Streiks verschreckt werden könnten, sind nur beschränkt richtig. „Die Unternehmen, die schon hier sind, werden sich von kurzfristigen Faktoren nicht beeinflussen lassen“, sagt Matthias Boddenberg, Hauptgeschäftsführer der deutsch-südafrikanischen Handelskammer in Johannesburg. Die Zurückhaltung von Investoren habe mehr mit der Rezession als mit dem Streik zu tun: „Das Interesse ist nach wie vor groß. Aber das allgemeine Klima ist denkbar schlecht.“
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