QUERSPALTE: Rettet den Ku'damm
■ CDU-Tarzan kämpft gegen den Dschungel der Großstadt
Der Abgeordnete Uwe Goetze kann einem wirklich leid tun. Was der Christdemokrat am Freitag erleiden mußte, dafür zahlen ansonsten Manager und Zivilisationsmüde auf Survival-Kursen und Abenteuerurlauben einen Haufen Geld: die Hölle pur. Abgespielt aber hat sich das Drama nicht im Dschungel kurz hinter Borneo, sondern auf dem Kurfürstendamm zwischen Europa-Center und Uhlandstraße. Was Goetze am vergangenen Freitag zwischen 20 und 21 Uhr erlebte, hat der gelernte Betriebswirt akribisch aufnotiert. Begegnet sind ihm in dieser Zeit »17 Prostituierte, 9 Gruppen aktiver Hütchenspieler, 8 Militaria-Händler, 72 Stände mit Schmuckangebot, 13 Bekleidungshändler, 13 Spielwarenhändler, 9 Wurst- und Getränkeverkäufer, 30 Portraitmaler, 6 Bilderverkäufer und 10 Zopfdreher«. Wow, wir sind beeindruckt und machen uns Gedanken über die unergründliche Tiefe menschlicher Leidensfähigkeit angesichts soviel furchterregenden Gewusels — zumal der Abgeordnete Goetze dies alles, wie er uns mitteilt, ertragen mußte, ohne daß in dieser Stunde »auch nur ein einziger Polizeimannschaftswagen« zu sehen war.
Das muß Konsequenzen haben. Was fordert der im Jahr des Mauerbaus in Berlin geborene Jungabgeordnete deshalb? Richtig: eine Krisensitzung von Senat und Polizei unter dem Titel »Rettet den Ku'damm«. Recht so. Wir können den Ruf des Abgeordneten nach einem »freundlichen Boulevard« nur unterstützen. Wir schlagen vor, künftig alle fünfzig Meter eine Wanne auf dem Ku'damm zu postieren, Straßenhändler auszuweisen, als Geschäfte nur noch Banken zuzulassen, Berufsnachweise für Spaziergänger (wg. Prostituierten) einzuführen und in den Seitenstraßen Zugangskontrollstellen einzurichten, damit unser Prachtboulevard künftig sauber und geleckt wie das ganzjährig für Kinder gesperrte elterliche Wohnzimmer ausschaut. Vor allem aber empfehlen wir dem Krisenausschuß des Senats eine Studienreise zu unseren Nachbarn. Schließlich machen die uns vor, wie ein freundlicher Boulevard aussehen muß: ein besenreiner Picadilly Circus ohne Mob in London, gepflegte Stille vor dem Centre Pompidou in Paris und eine romantisch und verlassen daliegende spanische Treppe in Rom. Berlin muß sich mächtig anstrengen: Ohne das große Reinemachen bleiben die Touristen weg. »Ich will endlich Ergebnisse sehen«, sagt Uwe Goetze. Genau. Gerd Nowakowski
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