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Vom kleinen Grenzverkehr und Seebrücken

■ Der letzte Teil der taz-Sommerserie: Wo Deutschland aufhört, fängt die Ostsee erst richtig an

„Na, hier is' det Zentrum“, berlinert die Verkäuferin im Kiosk auf der Lubminer Strandpromenade. Sie guckt direkt auf einen geschlossenen Kiosk mit der Aufschrift „creazioni cröhnert“, der locker drapierte Schuhpaare der Marke „unverkäuflich“ ausstellt. Mitten im Zentrum nur Brachland, auf dem Imbißwagen oder Kaufhallen-Container stehen: Der Aufschwung hat noch viel Platz in Lubmin. Vor allem liegt das Juwel des Ortes, die neue Seebrücke, stolze 350 Meter lang. Allerorten an der Küste wird Pfahl für Pfahl ins Meer gemetert, was das Zeug hält, das Land bezahlt: Eine Seebrücke gilt neben einer Reha- Klinik als Garant für eine goldene Tourismus- Zukunft. Früher, als man sich den Ferienplatz nicht aussuchen konnte, war Lubmin ausgebucht, heute ist es mit seiner immer noch vorherrschenden Betriebserholungsheim-Struktur eines der letzten Beispiele für DDR-Tourismus: Trotz Planwirtschaft sieht das wenige wie vollkommen zufällig aus. Im Kiosk läuft „It's my life“, die Hymne der Jugend-Ost, der Wind bläst die Paar Besucher fast von der neuen Seebrücke.

Die historischste aller Seebrücken steht vor Ahlbeck auf Usedom und gelangte erst durch den Loriot-Film, danach durch ihren Pächter zu einiger Berühmtheit: kurz nach der Wende zog der Ami Tom Doley, dessen Familie drüben aus Müll Millionen gemacht haben soll, die Gemeinde mit einem 25-Jahres-Vertrag über den Tisch. Mittlerweile hat er sich selber ausgebootet: die neue Landungsbrücke baut jetzt die Gemeinde.

„Nur Heringe, aber harte Arbeit“, wirft der Professor aus Greifswald am Kneipentisch ein, als die goldene Vergangenheit der Usedomer Fischer diskutiert wird. „Die Fischer haben getrunken und die Frauen den Fisch verkauft“, ergänzt der Defa-Filmer mit Nationalpreis, der einen Kulturfilm über die Insel vorbereitet. Solange die örtlichen Restaurants lieber den tiefgefrorenen Fisch aus Schleswig-Holstein verbraten, wird sich die Situation der Fischer nicht bessern, ist man sich einig. Ein Fischer und seine Frau haben aus ihrer Aal-Verkaufsbude flink einen Kiosk gemauert, die Rechnung aber ohne die Kurdirektion gemacht: „Wenn wir das durchgehen lassen, haben wir bald zwanzig ,heiße Hexen‘ an der Strandpromenade stehen.“

Das Maschinengewehr rattert: Ein Kind probiert sein neues Spielzeug aus, während der Vater einen Riesen-Gartenzwerg auf der Schulter schleppt. An der Grenze zu Polen kurz hinter Ahlbeck herrscht Jahrmarktatmosphäre. An den Eternit-Baracken der Grenzabfertigung ziehen täglich Tausende von Menschen lang, die schwer bepackt zurückkommen: Zigaretten, Nähkästchen aus Holz, geflochtene Wäschekörbe. Die Szene erinnert fatal an die Kaufhaus-Überfälle mit Begrüßungsgeld Ende '89, doch ein Leipziger mit neuer Lampe sieht die Sache ganz nüchtern: „Wenn's andersrum wäre, würden die es genauso machen.“ Die Zollbeamtin am Packtisch hinter dem Schlagbaum schüttelt nur den Kopf: „Ich weiß nicht, was die Menschen treibt.“ „Alles Idioten“, nennt sie der Händler vom Grenzmarkt auf deutscher Seite, der sich gerade eine Flasche Krimsekt für 13,50 DM genehmigt: „Das einzig Vernünftige, was es hier zu kaufen gibt.“ Die Standmieten seien viel zu hoch, und überhaupt habe der Rummel an der Grenze schon erheblich nachgelassen. Ein gerodeter Grenzstreifen zwischen Maschendraht geht von hier runter zum Strand, über dem ein verlassener Wachturm thront. Neugierige Touristen verschaffen sich da, wo die Welt des DDR-Bürgers zu Ende war, noch mal den Kitzel des Kalten Krieges. Das letzte Stück ist der Hundestrand, auf dem zwei Camper friedlich ihre Dosengerichte löffeln. Am Horizont die Schiffe nach Szeczin: Wo Deutschland aufhört, geht die Ostsee erst richtig los. Lutz Ehrlich

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