: „Versehentlich gelöscht“
Die „Pannen“ der Polizei und die weißen Mörderhände: In Südafrika wird das Massaker von Boipatong untersucht ■ Aus Vereeniging Hans Brandt
Die Locken ordentlich hochgesteckt, die smarte Tarnuniform frisch gebügelt sitzt sie am Zeugentisch, läßt im Kreuzverhör auch mal die Wimpern herunterklappern, schäkert mit den Anwälten. Aber was Sergeant Ilse O'Reilly da vor der Goldstone-Kommission zur Untersuchung des Boipatong-Massakers vom Juni vorträgt, ist eine Geschichte unfaßbarer Inkompetenz im täglichen Arbeitsbetrieb der südafrikanischen Polizei.
Mehr als 40 Menschen waren in der Nacht zum 18.Juni in Boipatong, 100 Kilometer südlich von Johannesburg, bei einem Angriff durch etwa 200 Männer ermordet worden. Augenzeugen behaupten, daß Polizei und Militär zur Zeit des Massakers vor Ort gewesen seien, aber nichts getan hätten, um es zu verhindern. Polizei und Militär dementieren das. Aber das entscheidende Beweisstück — eine Bandaufnahme der Radiogespräche der Polizei aus der fraglichen Nacht — wurde „versehentlich gelöscht“. Von Sergeant O'Reilly.
Daß es solche Aufnahmen überhaupt gab, verschwieg die Polizei bisher. Erst vor zwei Tagen erwähnte Major Christo Davidson, der die Polizeiuntersuchung des Massakers leitet, beiläufig im Kreuzverhör die Aufnahmen. Als Arthur Chaskalson, Anwalt des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) bei der Untersuchung, nach Einzelheiten fragte, mußte Davidson die Löschung der Bänder zugeben — „versehntlich“, nicht aus Absicht.
Sie habe die Tonbandkassetten zur Aufnahme der Radiogespräche immer auf beiden Seiten bespielt, sagt O'Reilly. Erst im Laufe der Untersuchung habe sie erfahren, daß Kassetten in diesem Gerät nur auf einer Seite bespielt werden dürfen. Eine Aufnahme auf der zweiten Seite löscht die erste Seite. Am Morgen nach dem Massaker, so O'Reilly, habe sie ihren zuständigen Offizier ausdrücklich gefragt, ob sie die Kassette von der vergangenen Nacht noch umdrehen sollte. Der gesamte Generalstab der Polizei habe sich bei der Polizei in Vereeniging gemeldet und Unterlagen über die Nacht angefordert. Sie wollte wissen, ob sie das Band nicht lieber doch sofort bereitstellen sollte. Aber der Offizier habe Anweisung gegeben, die Kassette erst voll zu bespielen.
Schauplatz der Untersuchung ist das Sitzungszimmer des Stadtrates von Vereeniging, Zentrum der südafrikanischen Schwerindustrie. Unter dem Stadtwappen mit dem Motto Per pacem ad industriam — etwa: Durch Frieden zum Wohlstand — sitzt Richter Richard Goldstone, neben ihm die beiden anderen Mitglieder der Kommission: Richter P.N.Bhagwati, ein ehemaliger Oberster Richter Indiens, und der schwarze südafrikanische Anwalt M.N.Sithole. Holztäfelung und Ledersessel vermitteln gedämpften Luxus und erhabene Autorität.
In ihren ersten Sitzungstagen befaßte sich die Kommission mit der Frage, ob Polizisten oder Soldaten an den Morden beteiligt waren. Eine Frau berichtet von einem kleinen Kind, dessen Kopf mit einer Machete aufgespalten wurde. Die Hand, die die Machete führte, war weiß, sagt sie. Auch ihr Bruder wurde ermordet. Emotionslos beschreibt sie, wie groß die Blutlache war, in der er lag.
Mehrere Augenzeugen sagten bisher aus, daß sie weiße Männer sowie Polizei- und Militärfahrzeuge zur Zeit des Massakers in Boipatong gesehen hätten. Polizei und Militär lehnen die Vorwürfe ab. Mehr als 80 Zulus aus einem bei Boipatong gelegenen Wohnheim für Wanderarbeiter sind schon wegen der Morde angeklagt worden. Der ANC hatte aufgrund des Massakers seine Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen.
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