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Nicht überall, wo chlorfrei draufsteht, ist auch chlorfrei drin

■ In "gesunden Bereich" gebleicht

In „gesunden Bereich“ gebleicht

Hamburg (taz) — Wie niemand sonst steht der Hamburger Dr.Michael Otto (48) für konsequentes Öko-Management. So ziemlich alles in seinem Versandhaus ist umweltgerecht eingerichtet, von Recyclingpapier im internen Schriftverkehr bis zu FCKW-reduzierten Kühlgeräten im Produkt-Angebot. Seit Juli nun ist sein neuer Herbst-Katalog auf dem Markt. Zehn Millionen mal, 1.179 Seiten, 1.855 Gramm schwer und chlorfrei „gemäß Eurostandard der CEPI“. Wieder ein Pluspunkt für den „Umweltmanager des Jahres“.

Konkurrent Quelle in Nürnberg, der seinen Katalog traditionell zwei Wochen nach Otto an die Haushalte verschickt, macht es sich nicht so schwer wie die Hamburger Konkurrenz. „Dieser Katalog ist auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt“, wird der Kunde schlicht auf die neue Herbst-Kollektion eingestimmt.

Ob nun Vorsatz, Zusatz oder aus Versehen, die Verbraucherinformation „chlorfrei“ ist ebenso irreführend wie inhaltlich falsch. Beschlossen hat die beschönigende Verbraucherinformation die „Confederation of European Paper Industries“ (CEPI) Anfang des Jahres: Alles, was unter 0,1 kg Chloreinleitung pro Tonne Papier bleibt, darf fortan in die begehrte Kategorie „chlorfrei“ eingestuft werden.

Der Kunstgriff ist hinlänglich bekannt. Chlor, Ozon, Dezibel oder Radioaktivität — was einen willkürlich gesetzten Wert unterschreitet, wird per Beschluß in den „gesunden“ Bereich genormt. Im Fall Otto-Katalog heißt das: Bei einem geschätzten Gesamtumsatz von 60.000 Tonnen Papier dürfen bei einer Zellstoffherstellung 6.000 Kilo reines Chlor in die Gewässer geleitet werden. Unter dem offiziellen Deckmantel der Chlorfreiheit.

Den Mangel an „sauberem“ Papier auf dem deutschen Markt (Gesamtumsatz 1991 in den alten Bundesländern: 17,5 Milliarden DM) begründet die Stora Feldmühle in Düsseldorf, Europas umsatzstärkster Papierproduzent und gewichtiges Mitglied in der CEPI, mit der „bedingten Verfügbarkeit des Zellstoffs“.

„Die ursächlichen Chlorverschmutzer sind die Zellstoffabriken“, erklärt Dr.Christoph Thies (35), Papier-Experte bei Greenpeace, die komplexe Streitlage. „Aber die richten sich natürlich nach dem, was die Großkundschaft von ihnen fordert.“ Tatsächlich ist auf Druck der Umweltorganisation, einer zunehmend kritischen Verbraucherschaft und damit auch des Handels einiges passiert in den leztzten Jahren. Dr.Thies: „Die reduzierten Chloreinleitungen bisher sind schon ein großer Fortschritt. Aber mit dem gefälschten „Chlorfrei-Standard“ will die Papierindustrie suggerieren, sie hätte genug getan.“

Weltweit bieten 25 Fabriken mittlerweile chlorfreien Zellstoff an, zehn weitere haben die Umstellung ihrer Produktion angekündigt. Allein die schwedische Zellstoffabrik Södra könnte nach eigenen Angaben rund eine Million chlorfrei gebleichten Zellstoff liefern. Fast soviel, wie für die gesamte deutsche Tonnage der Druck- und Pressepapiere (1991: 6.633.000 Tonnen) benötigt wird. Nur ganze 100.000 Tonnen sind geordert worden, chlorfreier Zellstoff ist noch immer rund acht Prozent teurer als der herkömmliche.

Aus skandinavischem Zellstoff ist auch das chlorlose Drittel des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel. „Können tun sie es meiner Meinung nach alle“, zeigt sich Herstellungsleiter Rolf Niemeyer enttäuscht von der deutschen Papierbranche, es „ist nur die Frage, ob sie es wollen können.“ Jetzt will das Verlagshaus (Bedarf: 38.000 Tonnen jährlich) „verstärkt Druck auf die deutschen Lieferanten machen“, um spätestens 1993 auf hundert Prozent chlorfrei gebleichtem Papier drucken zu können.

Den Großversandhäusern Otto und Quelle schickte Greenpeace derweil eine Abmahnung für ihre fälschliche Öko-Werbung ins Haus. Mit Erfolg: Beide erklärten vergangene Woche schriftlich ihre Bereitschaft, in zukünftigen Ausgaben ihrer Kataloge auf den umstrittenen Passus zu verzichten. Es sei denn, sie haben es bis dahin — wie der skandinavische Einrichtungskonzern Ikea schon in diesem Jahr — geschafft, vollständig chlorfrei gebleichtes Papier in ausreichenden Mengen einzukaufen. Clemens v. Luck

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