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INTERVIEW„Maastricht führt zum Krieg“

■ Henryk Goryszewski, polnischer Vizepremier, zur Zukunft Europas, zur Wirtschaftspolitik und zu Versuchungen, denen es zu widerstehen gilt

Vor wenigen Jahren noch war Henryk Goryszewski einfacher Abteilungsleiter im Transportministerium. In seiner Freizeit engagierte er sich an Warschauer Pfarreien und als Redakteur bei der Monatszeitung 'Slowo Narodowe‘, einer Publikation aus dem Umfeld der 'Nationalen Partei‘, deren Führung Primas Glemp nahesteht und gegen die im Wahlkampf 1991 wegen Volksverhetzung und Verbreitung von Rassismus ermittelt wurde. 1989 kandidierte Goryszewski vergeblich als Unabhängiger außerhalb der Solidarność-Listen. Erst 1991 gelang ihm der Sprung ins Parlament auf der Liste der von der Kirche unterstützten „Katholischen Wahlaktion“. Danach begann eine Blitzkarriere: Er wurde Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Parlament und in der Regierung Suchocka quasi zweiter Mann der Regierung: Als Stellvertretender Ministerpräsident ist er nun verantwortlich für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik.

taz: Einige Gewerkschaftszentralen bereiten gerade einen Generalstreik vor. Wie will die Regierung darauf reagieren?

Henryk Goryszewski: Das sind nicht gerade die Zentralen, die über den größten Einfluß verfügen. Mit einer Ausnahme, der OPZZ, bei der aber einen bedeutenden Teil der Mitglieder Rentner und mittleres Management bilden. Der Versuch eines fünfzehnminütigen landesweiten Proteststreiks ist gerade vor kurzem gescheitert. Ein Generalstreik ist zur Zeit für die Gewerkschaften ein riskanteres Unternehmen als für die Regierung.

Protestierende Bauern und auch einige Gewerkschaften fordern einen besseren Schutz des Binnenmarktes, zum Beispiel vor dem Import billiger Lebensmittel aus der EG. Ihre Partei verteilt Plakate mit der Aufforderung „Kauft nur polnische Waren“. Sie selbst sind Vizechef der „Christlich-Nationalen Partei“ (ZCHN) und ein scharfer Kritiker des Assoziierungsvertrags mit der EG und der Vereinbarungen von Maastricht. Wendet sich Polen von Europa, von der EG ab?

Im letzten Jahr hatten wir zweimal eine Krise in den Verhandlungen mit der EG. Einmal ging es um den Export von polnischen Himbeeren in die EG, das andere mal um 150 Tonnen Hammelfleisch. Wenn sich also die Länder der EG gegen polnische Himbeeren und polnisches Hammelfleisch wehren, weshalb sollte es dann unmoralisch sein, wenn ich als Vizepremier der polnischen Regierung, der 2,5 Millionen Arbeitslose im Genick und Aussicht auf weitere anderthalb Millionen hat, die Nachfrage nach einheimischen Waren ankurbeln möchte? Ich bin nicht gegen die Assoziierung mit der EG, ich kritisiere nur den Vertrag, den wir unterschrieben haben. Man hätte bessere Bedingungen aushandeln können. Noch kein Land, das einen Assoziierungsvertrag unterzeichnet hat, hat eine faktisch nur sechsjährige Karenzzeit für die Aufhebung der Zollbarrieren akzeptiert. Ich fürchte einfach, daß unsere Industrie, die mit einer veralteten Technologie und dem ganzen kommunistischen Erbe belastet ist, nach diesen sechs Jahren durch die Konkurrenz der EG kaputtgemacht wird. Wir hätten einen längeren Anpassungszeitraum gebraucht, so wie Spanien, Portugal und Griechenland.

Es gibt zwei Konzeptionen von Europa. Ein übernationales Europa und ein Europa der Vaterländer, dessen bekanntester Befürworter zur Zeit Margaret Thatcher ist. Mir gefällt diese zweite Version ganz entschieden besser. Ein übernationales Europa hieße, daß an die Stelle der bisherigen Kulturen und Sprachen eine Kultur und eine Sprache treten wird. Und da fürchte ich, daß das die deutsche Sprache sein wird und ganz gewiß nicht die polnische. Deshalb verstehe ich, daß den Deutschen diese Vision eines Europa sehr sympathisch ist, aber ich zögere nicht, sie „das vereinte Europa deutscher Nation“ zu nennen, so wie es früher das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ gab.

Behandelt Polen Deutsche anders als andere?

Ja. Genauso, wie Litauen Polen anders behandelt als andere. Obwohl es in Wilna keine Kirche gibt, aus der man viereinhalb Tonnen menschlicher Asche hinausgetragen hat — und so eine Kirche gibt es in Warschau, wo man in den ersten Tagen des August 1944 so viele Menschen erschossen und verbrannt hat, daß man viereinhalb Tonnen Asche abtransportieren mußte. Und das haben Ihre Landsleute getan. Ich wäre sehr verbunden, wenn wir versuchen würden, unsere gegenseitigen Vorurteile zu verstehen. Ich verstehe, daß ihr welche habt, weil Szczecin und Wroclaw längere Zeit einmal anders hießen. Aber ihr habt auch die Pflicht, unsere Vorurteile zu verstehen.

Wie stehen Sie da zu dem Vorschlag, in Schlesien zweisprachige Ortstafeln aufzustellen?

Ich bin dagegen. Aber zurück zur Europadiskussion: Daß ich gegen ein übernationales Europa bin, hat noch einen anderen Grund. Oft wird das Beispiel der Vereinigten Staaten angeführt. Aber in Amerika gab es kein Nationengemisch, sondern ein Mischen von Emigranten. Und daraus konnte sich tatsächlich so etwas wie eine gemeinsame Identität bilden. Ein Nationengemisch beschert uns ein Europa ähnlich dem titoistischen Jugoslawien. Die Erbauer eines übernationalen Europa bescheren uns unweigerlich einen europäischen Bürgerkrieg.

Es gab in der letzten Zeit in Polen einige Maßnahmen, die potentielle ausländische Investoren erschreckt haben. Das Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das ausländische Investoren zum Verkauf ihrer Anteile an polnischen Kasinos zwingt. Sie waren ein sehr entschiedener Verfechter dieses Gesetzes. Können Sie garantieren, daß sich das nicht wiederholt, daß Polen nicht irgendwann, wenn sich zeigt, daß eine Branche, in die ausländisches Kapital investiert hat, sehr rentabel ist, der Staat wiederum die ausländischen Anteilseigner zum Rückzug zwingen wird? Zum Beispiel im Bankensektor?

Heute, nachdem das Gesetz verabschiedet ist, kommen die Investoren und beklagen sich, daß ihnen Polen die Kasinos nimmt, weil die doch so gewinnträchtig seien. Ich könnte Ihnen einen ganzen Stoß an Dokumenten aus dem letzten Jahr zeigen, aus denen hervorgeht, daß z.B. die Kasinos in Szczecin, Krakow und Wroclaw alle überhaupt keinen Gewinn bringen, sondern Verluste einfahren und deshalb keine Steuern bezahlen können. In der Mehrheit der Fälle wurden die Betriebsgenehmigungen darüber hinaus rechtswidrig vergeben.

Polen hat das aber vier Jahre lang toleriert.

Richtig. Erst dann fand sich im Sejm so jemand wie Goryszewski, der das ans Licht brachte. Für mich ist das nur eine Etappe bei der Abschaffung der Kasinos in Polen überhaupt. Mir schwebt eine Ordnung wie in der Schweiz vor, wo der Betrieb von Kasinos überhaupt verboten ist.

Und die Polen dann zum Spielen in die Tschechoslowakei und nach Deutschland fahren werden, so wie heute die Schweizer ans andere Ufer des Bodensees?

Da kann man nichts machen, sollen sie fahren, aber in Polen wird's das nicht geben.

Das ist eine ähnliche Argumentation wie bei der Abtreibungsdebatte: Man kann das machen, Hauptsache, nicht in Polen.

Natürlich. Das ist der Grundsatz, daß man alles tun muß, um den Menschen vor dem Bösen zu bewahren. Wir tun alles, um die Menschen vor der Versuchung zu schützen. Wenn der Mensch trotzdem Böses tun will, ist das dann seine Sache. Ein Katholik hat die Pflicht, Versuchungen zu widerstehen. Interview: Klaus Bachmann

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