: „Grüne Außenpolitik aus dem Bauch“
■ Grüne Vorschläge für ein gewaltsames Eingreifen im ehemaligen Jugosalwien entfachen die innerparteiliche Kontroverse/ Trittin lehnt Intervention ab/ Poppe begrüßt außenpolitische Debatte „ohne Tabus“
Bonn/Berlin (taz) — Die Forderung grüner Politiker nach einer gewaltsamen Intervention im ehemaligen Jugoslawien hat heftige innerparteiliche Reaktionen provoziert. Als „Fortsetzung des unsäglichen Trends grüner Außenpolitik aus dem Bauch heraus“ wertete gestern der niedersächsische Minister für Bundesangelegenheiten, Jürgen Trittin, die am Vortag von seinen Parteifreunden Claudia Roth und Helmut Lippelt veröffentlichte Erklärung (siehe Dokumentation). Beide hatten nach einer Reise nach Serbien die gewaltsame Auflösung der dortigen Internierungslager gefordert; möglicherweise könne nur noch eine Intervention unter UNO-Kommando dem Morden ein Ende bereiten.
Während Claudia Roth militärische Einsätze „im klassischen Sinne“ von „quasi-polizeilichen Maßnahmen“, etwa zur Entwaffnung marodierender Kämpfer unterschieden wissen will, erklärte Trittin eine solche Differenzierung für fadenscheinig. Die Umsetzung der Vorschläge von Roth und Lippelt laufe auf einen massiven militärischen Einsatz hinaus. In der Konsequenz aber bedeute die militärische Intervention nur noch mehr Leid für die Zivilbevölkerung.
Auch der Bundestagsabgeordnete Poppe (Bündnis 90) vertrat die Auffassung, daß ein militärisches Eingreifen nur zu einer weiteren Eskalation führen werde. Anders als Trittin jedoch wertete Poppe den Vorstoß von Roth und Lippelt als „beachtlichen Versuch“, sich „nicht hinter reinen, pazifistischen Prinzipien zu verbarrikadieren“, sondern eine außen- und sicherheitspolitische Debatte innerhalb der Grünen anzustoßen. Die Veränderungen seit dem Ende der Blockkonfrontation müßten zur Kenntnis genommen und die bisherigen Prinzipien der Friedensbewegung überdacht werden. Bei der Diskussion dieser Frage dürfe es „keine Tabus“ geben. Das Bündnis hat kürzlich einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Beteiligung deutscher Soldaten an Blauhelmeinsätzen vorsieht.
Auch die politische Geschäftsführerin der Grünen Heide Rühle erklärte unter Bezug auf einen Beschluß des Grünen Länderrates, die Partei müsse jetzt debattieren, „ob ein grundsätzlicher Pazifismus“ der Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien noch gerecht werden könne.
Eine Absage erteilte Trittin allen Überlegungen innerhalb der Grünen, der UNO ein globales Gewaltmonopol einzuräumen. Dabei werde die Rolle der UNO sowie ihr gewandeltes Selbstverständnis seit Wegfall der Blockkonfrontation ausgeblendet. So habe die UNO beispielsweise im Golfkrieg einen „Freifahrtschein zum Schießen“ ausgestellt. Nach wie vor sei die UNO am „Grundkonsens der reichen Länder“ orientiert.
Die grüne Vorständlerin Angelika Beer warf ihren Parteifreunden Lippelt und Roth vor, sie instrumentalisierten den Krieg in Jugoslawien füe eine innergrüne Auseinandersetzung. Man dürfe diese Debatte „nicht mit der Brechstange“ führen und der Friedensbewegung „nicht in den Rücken fallen“. Militärische Maßnahmen seien verfehlt, solange friedensfördernde Maßnahmen, wie das Embargo, noch nicht einmal ausgeschöpft würden. Die EG müsse jetzt ihre Grenzen für die flüchtenden Menschen öffnen. Zudem müsse jetzt dort gehandelt werden, wo mit gewaltfreien Mitteln noch etwas erreicht werden könne. Der Grüne Manfred Stenner vom Netztwerk Friedenskooperative forderte ebenfalls, die „Debatte um nicht-militärische Eingreifmöglichkeiten in die Öffentlichkeit zu tragen.“ eis
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