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DURCHS DRÖHNLANDDas knarzende Tor zum Glück

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Ach, ich weiß noch, wie der von Jimmi Cliff dargestellte Outlaw sich am Ende von »The Harder They Come« todesverachtend in die Schießerei wirft, um sie nicht zu überleben. Was haben wir geweint. Man kann von dem Film halten, was man will, vor allem markierte er 1972 den Startschuß für den weltweiten Erfolg von Reggae. Das Ende setzte der Tod von Bob Marley, aber seitdem ist der Reggae als Einfluß aus der Pop-Landkarte nicht mehr wegzudenken, die Musiker über die ganze Welt verstreut, der Off-Beat längst Allgemeingut außerhalb der Slums von Kingston. Auch die Mitglieder der Soul Liberators kommen aus der Karibik, sind aber inzwischen in Berlin zu Hause und verweisen nicht nur im Namen auf die schon in »The Harder They Come« dokumentierte revolutionäre Kraft des Reggae. Die Soul Liberators haben nichts mit den aktuellen Entwicklungen am Strickmützchen und von Dub oder Dancehall scheinbar noch nie etwas gehört. Ihr Reggae ist ganz traditionell, ganz klassisch, ganz Cliff oder Marley oder Tosh. Die Retro-Party wird dann natürlich auch mit »The Harder They Come« abgerundet. Guter Razzia-Tip für den Polizeipräsidenten.

Am 21.8. um 20 Uhr im Sputnik Wedding, Reinickendorfer Straße 113

Das größte musikalische Ereignis in Brasilien ist natürlich der Karneval. Neben den die klassische Tradition repräsentierenden Samba-Schulen vor allem aus Rio de Janeiro haben sich in Salvador da Bahia, der schwärzesten Stadt des Landes, die »Blocos Afro« entwickelt. Diese vermischen den Samba Brasiliens mit Reggae und anderen auf afrikanische Ursprünge zurückgehenden Musiken. Olodum sind die momentan erfolgreichste »Grupo« dieses afrikanischen Karnevals, sind aber auch mehr als einfach nur eine Band. Olodum haben über eintausend feste Mitglieder, treten in ihrer Heimat oft mit einer bis zu 100köpfigen Percussiongruppe auf und spielen vor Zehntausenden von Zuschauern. Olodum werden in Brasilien eher als Kulturvereinigung wahrgenommen, die das ganze Jahr über politische und kulturelle Veranstaltungen organisiert und von demokratisch gewählten Vorsitzenden und -innen geleitet wird. Die Nachwuchsgruppen der Organisation bringen den Kindern nicht nur das Trommeln bei, sondern erweitern auch das dürftige Bildungsangebot öffentlicher Einrichtungen. Bei den Konzerten in Berlin steht allerdings nur eine kleinere Besetzung auf der Bühne: Neun Trommler, drei Sänger und ein Bläser werden den logischerweise extrem rhythmuslastigen Afro-Samba präsentieren. Im Vorprogramm spielen Odudua, ein Projekt des auch nicht ganz unbekannten brasilianischen Percussionisten Dudu Tucci mit der Ostberliner Jazz- Kapelle Bajazzo, die sonst gerne und oft mit der Vokalistin Pascal de Wroblewsky zusammenarbeiten.

Am 21.8. um 22 Uhr im SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg, und am 22.8. um 19 Uhr im Hof der Kulturbrauerei, Knaackstraße/ Ecke Dimitroffstraße, Prenzlauer Berg (bei Regen im Saal der Kulturbrauerei)

Immer noch die besten Verbindungen zum baskischen Untergrund haben die K.O.B.ler. Die in Euskadi existierende Punkszene ist nicht nur die politisch aktivste in Spanien, sondern vielleicht auch die am stärksten den klassischen Traditionen des Polit-Punk verhaftete. Ob nun Sutagar, Negu Gorriak oder deren Vorläufer Kortatu, allen war und ist eine unüberhörbare Affinität zu The Clash eigen. So auch bei E.H.Sukarra, die auf demselben Label wie die vorher genannten erscheinen und ihre natürlich politischen Parolen zu schon fast altertümlich bratzenden Gitarren herausstoßen. Bestenfalls im Songaufbau unterscheiden sie sich wesentlich von den Geistesverwandten: Sie beginnen oft langsam und steigern sich erst dann ins gewohnt flotte Tempo, das nur selten durch Breaks unterbrochen, aber öfter durch eine nette Melodie angereichert wird. Die Sprache versteht natürlich so gut wie niemand hier, aber für die politisch korrekte Haltung können wir garantieren. Letztes Jahr spielten sie übrigens schon in Berlin, und zwar im Wydoks-Club, auch ein der fröhlich ausgelebten Anarchie verpflichteter Ort.

Am 21.8. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 158, Schöneberg

Daß der Metal in den letzten Jahren boomt, ist augenfällig, nur die Berliner haben irgendwie den Anschluß verpaßt. Die Metallschaffenden der Stadt selbst fühlen sich allerdings zu Unrecht übergangen und meinen, daß die westdeutsche Provinz und die amerikanischen Invasoren zu hoch gehandelt werden. Deshalb haben einige Rührige in der Szene ein zweitägiges Festival organisiert, das den Berliner Metallikern einen größeren Rahmen verschaffen soll. So ganz auf Fremdhilfe wollte man aber doch nicht verzichten und lud sich deshalb Rage aus Herne, eine der erfolgreichsten deutschen Heavy-Metal-Combos, und Pungent Stench, die wichtigste Trash-Metal-Band Österreichs, ein. Die beiden Abende sind zwar wahrscheinlich nicht vollständig durchzustehen, aber dafür konkurrenzlos billig: 15 DM für einen, 25 DM für beide Tage öffnen einem das knarzende Tor zum Glück aus Leder, Nieten, Totenschädeln und geplatzten Trommelfellen.

Am 21.8. Rage, Orth, Chor Chorea, Graaf, Pungent Stench, Gracious Violence und Gom Jabbar, am 22.8. Wotan, Solar Flares, Forsaken, Born, X-Tra Inches und Murain, jeweils ab 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Wie das bei allen großen Rockern so ist, haben auch die Godfathers jetzt eine Live-Platte gemacht. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen, ist halt eine Live- Platte, aber immerhin mit einer grandiosen Version von Lennons »Cold Turkey«. Ihre großen Zeiten sind sowieso vorbei, die knalligen Hits gehen ihnen nicht mehr so leicht von der Hand, und von der schieren Größe ihres Klassikers »Birth, School, Work, Death« waren sie auf ihren folgenden Veröffentlichungen leider Lichtjahre entfernt. Da es aber zum guten Ton gehört, bei Konzerten auch die alten Reißer zu spielen, kann man sie immer wieder beehren, denn die Godfathers waren und bleiben die beste puristische Hardrock-Band (ich nenne es Pubrock) der ausgehenden achtziger Jahre, und allein durch »Cause I Said So« sind sie unsterblich geworden.

Am 27.8. um 21 Uhr im Huxley's

Das Konzertgeschehen schlägt manchmal irrwitzige Kapriolen. Als Forguette Mi Note vor zwei Jahren im K.O.B. auftraten, war der Club so überfüllt, daß kurzfristig noch ein zweites Konzert in derselben Nacht angesetzt wurde. Dieses war ebenfalls voll, und all das war so gut wie ohne Werbung geschehen. Im folgenden Jahr setzten dieselben Veranstalter vorsorglich zwei Termine an, die beide eher leidlich gefüllt waren, obwohl die gemischtgeschlechtliche Band aus Frankreich immer einen stimmungsvollen Abend garantiert. Versteh das, wer will. Dieses Jahr nun an einem anderen Ort und hoffentlich mit mehr Glück auf ein neues. Sie hätten es verdient, denn ihre verwegene Mischung aus Jazz, harschen, rockigen Tönen und Chanson-Seligkeit ist so unerhört wie gut, ein völlig fremder Farbkleckser auf der scheinbar unendlich ausdehnbaren Stilpalette. Selbst das sprachimmanente Problem der Franzosen, daß sich, was immer sie spielen, alles irgendwie nach Comic anhört, kehren Forguette Mi Note ins Positive. Hier kann man tanzen und zuhören, schwelgen und schwitzen.

Am 22.8. um 22.30 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Während sich auf Jamaica und in London die Vokalartisten des Dancehall ihre Wortschlachten liefern, gibt es immer noch Dub, die zuvor beherrschende Richtung im Reggae. African Headcharge waren vielleicht die bedeutendste Band dieses Stils, die den langsam dümpelnden, mit Geräuschen und Samples angereicherten Rhythmus am konsequentesten vorantrieb. Der nahezu völlige Verzicht auf Melodie und Gesang erhöht die Bereitschaft, auf den Beat zu hören — oder besser zu fühlen —, ihn in sich aufzunehmen, ihn wirken zu lassen und wieder freizusetzen. Das kann man dann Trance oder Tanz nennen. Die letzte Studio-LP von African Headcharge wurde zwar nicht mehr vom Dub-Guru Adrian Sherwood produziert, aber für die »Live Pride And Joy« saß er wieder am Mischpult. Natürlich kommen sie aber noch immer auf Sherwoods »On — U Sound«-Label heraus, und immer noch wird das eher lose Projekt, an dessen Platten immer Dutzende von Musikern beteiligt sind, vor allem von Bonjo Iyabinghi Noah und dessen reduziertem Toasting bestimmt. Alles beim alten bei African Headcharge, und auch wenn die Zeit etwas an ihnen vorbeigegangen ist: Das Beste im Dub.

Am 23.8. um 21 Uhr im Huxley's

Selten wohl gab es ein so frisches Jubiläum. Die Haut wird zehn Jahre alt, und man hört es ihnen nicht an. Schon allein deshalb, weil sich die Gitarrenkünstler nie allein auf den Sound ihrer Sechssaiter verlassen haben, sondern schon immer gerne Blutauffrischung per Gastvokalisten und -musiker besorgten. Das Konzept von Die Haut bestand zwar schon immer zu einem Gutteil darin, Backing Band für bekanntere Namen zu spielen, aber immer drückten sie eher den Stars ihren Stempel auf als umgekehrt. Zum Zehnjährigen gibt es dann auch eine standesgemäße Veröffentlichung: Es agieren Die Haut und Kim Gordon (Sonic Youth), Alan Vega, Anita Lane, Debbie Harry, Jeffrey Lee Pierce, Kid Congo Powers, Blixa Bargeld, Lydia Lunch und andere. Beim Konzert werden immerhin Bargeld, Lunch, Pierce, Kid Congo, Lane und zusätzlich Nick Cave erwartet. Und das alles auf einem Haufen. Im Vorprogramm die neuformierten The Last mit dem Ex-Legendary Golden Vampire, Ex- Nirvana Devil, Noch(?)-Swan, Auch-Kool King Christoph Hahn, dem tollsten Gitarristen Berlins.

Am 24.8. um 19.30 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten

Thomas Winkler

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